KARSAMSTAG
"Richte deine Augen auf Jesus, der abgestiegen ist in das Reich des Todes. Lerne dein Vertrauen nicht auf dich selbst, sondern auf Gott zu setzen, der die Toten zum Leben erweckt."
Lebensbuch von Jerusalem § 103
Heute sind wir vor dem Grab und schauen in großer Stille Jesus, der hinabsteigt in das Reich des Todes.
Grabesruhe
alles ist getan,
der letzte Dienst erwiesen,
die Erinnerung bleibt.
In Stille verweilen,
nach innen schauen,
Abschied nehmen:
von Liebgewordenem,
von Schwerem,
von Hoffnungen,
von Enttäuschungen.
Frei werden, Raum schaffen,
offen bleiben:
sich ausstrecken nach vorn,
Leben wagen,
aufbrechen.
Nicht sofort.
Nicht zu schnell.
Doch mit Bestimmtheit,
sobald die Stunde da ist.
Offizium vom Abstieg in das Reich des Todes
AUFNAMEN VOM LETZTEN JAHR 2021 | Wenn Sie mitbeten möchten, bevor wir die aktuellen Gebetszeiten nach der gefeierten Liturgie hochladen.
Was ist dies?
Großes Schweigen herrscht heute über der Erde,
großes Schweigen und Einsamkeit;
großes Schweigen, denn der König schlummert:
„die Erde erbebte und wurde still.“
Denn Gott schläft dem Fleische nach und ging hin,
um die seit Urzeiten Schlummernden aufzuerwecken.
Gott ist gestorben im Fleisch, und die Unterwelt erzittert.
Gott ist für ein kurzes entschlafen
und hat die Bewohner der Unterwelt aus dem Schlaf geweckt.
Pseudo-Epiphanius, 5. Jahrhundert
Das Offizium vom Abstieg in das Reich des Todes ist umhüllt von der Stille der Grabesruhe am Karsamstag. In diesem Jahr ist die Stille noch größer, da auch die äußere Stille so still geworden ist und die Stadt so still ist, wie noch nie. Eine Gebetszeit zum Abstieg Jesu in das Reich des Todes gibt es in der Westkirche so nicht - es ist angelehnt an das Offizium der Ostkirche. So beginnt es mit dem Troparion, einem Gesang der in großer Ruhe diesen ABSTIEG INS REICH DES TODES besingt.
Es ist die einzige Gebetszeit im Jahr, in der wir die Psalmen nicht mehrstimmig singen, sondern nur auf einem recto tono kantillieren. Die beiden Kirchenväterlesungen von Epiphanius umschreiben das Geheimnis des Abstiegs ins Reich des Todes.
Dieses Offizium führt uns hinab in großer Stille auf die Schwelle zwischen Tod und Leben. Das Leben setzt ganz unten an. Jesus ist wirklich tot und teilt diesen Tod mit all jenen die im Grabe ruhen. Aber das göttliche Leben bricht das Grab, alle Fesseln und Mächte des Todes. Wie es auch auf der Ikone dargestellt ist. Jesus holt Adam und Eva, die ersten Menschen aus den Gräbern. Er führt sie nicht an der Hand herauf, sondern am Handgelenk, am Lebenspuls der Pulsader greift er sie. Das Leben bricht sich leise die Bahn.
Der Choral "Im Frieden seiner Liebe schläft voll Sanftmut mein geliebter Herr, der Gott, den meine Seele liebt." besingt dann diese HOFFNUNG DER AUFERSTEHUNG, die Psalmen und Gesänge ebenso. Der Antwortgesang zur Lesung aus dem 1. Petrusbrief und dem Kommentar "Am siebten Tag ruhte Gott der Herr, nach all seinem Werke, das er vollendet hatte." führen zurück in die Stille, die noch bis zu den Vigilien der Auferstehung des Herrn heute Nacht anhält.
Offizium vom Abstieg in das Reich des Todes 2023
Offizium vom Abstieg in das Reich des Todes
Offizium vom Abstieg in das Reich des Todes
Kirchenväterlesung I | Von Epiphanius im 5. Jh.
Kirchenväterlesung II | Von Epiphanius im 5. Jh.
Kommentar zur Lesung (1 Petr. 3, 18-20)
18Denn auch Christus ist der Sünden wegen ein einziges Mal gestorben, er, der Gerechte, für die Ungerechten, um euch zu Gott hinzuführen; dem Fleisch nach wurde er getötet, dem Geist nach lebendig gemacht. 19So ist er auch zu den Geistern gegangen, die im Gefängnis waren, und hat ihnen gepredigt. 20Diese waren einst ungehorsam, als Gott in den Tagen Noachs geduldig wartete, während die Arche gebaut wurde; in ihr wurden nur wenige, nämlich acht Menschen, durch das Wasser gerettet.
Wir stehen an einem Grab – haben also jemanden und immer auch etwas begraben: Hoffnungen, Erwartungen, eine für uns wichtige Nähe – oder konnten bewusst ein gutes Ende setzen. Auch Ärger und Streit kann man begraben.
Der Karsamstag darf uns als Zwischenzeit wertvoll sein. Es braucht das Ankommenlassen der Seele im Jetzt, nachdem ein Weg zu Ende gegangen ist und der letzte Dienst erwiesen. Ein ruhiges Verweilen, um zu verinnerlichen, dass wirklich etwas unwiederbringlich zu Ende ist. Zu Ende sein darf. Einsickern lassen, dass unsere Endlichkeit Raum braucht. Dass Begrenztheit ein Wesensmerkmal jedes Lebewesens ist und Gottes Sohn da keine Ausnahme macht, sondern ganz Mensch war, gerade um uns bis in diese letzte Grenze hinein zu umfangen – und im Glauben der kommenden Nacht noch darüber hinaus. Auch er ist ein einziges Mal gestorben, doch damit er uns zu Gott hinführe, sagt die gerade gehörte Lesung. Er wurde dem Fleisch nach zwar getötet, aber dem Geist nach lebendig gemacht.
So dürfen wir den Karsamstag feiern als ein stilles Fest der Mitmenschlichkeit unseres Gottes, der keine halben Sachen macht
und keine Lebensetappe einfach überspringt, sondern unser Menschsein wirklich ganz umfassen wollte, es von innen heraus wandelt. Die Zerbrechlichkeit des Lebens geht Hand in Hand mit der Zusage: ich rufe dich heraus aus den Abgründen, sogar denen des Todes, zu neuem Leben.
Abschiedsräumen Zeit zu gewähren und nicht zu schnell weiterzugehen, der Leer-Stelle Raum zu geben, auch das ist menschlich. Wir brauchen dieses Verweilen im Hier und jetzt. Verweilen in meinem Leben, wie es eben ist mit all seinen Umständen und Zuständen; Verweilen auch in meiner Gottesbeziehung, wie sie eben ist. Genau diese meine Realität will der Boden werden, wo Wandlung geschieht, wo das verheißene neue Leben wachsen möchte.
Denn Ostern feiern heißt ja nicht einfach: alles ist wieder wie vorher, als wäre nichts geschehen. Sondern es geht um neues, unbekanntes,
sogar unvorstellbar anderes Leben, das sich Bahn bricht.
Solche Neuaufbrüche brauchen freien Raum, brauchen Spielraum, der nicht vorgeprägt ist und sich vielleicht auch erst langsam leeren muss. Trauer, Abschiednehmen und Neubeginn gehören in je eigenem Tempo und untrennbar zusammen.
Der Karsamstag darf mir eine von Gott geschenkte Erinnerungszeit werden, dass meine Seele einen solchen Freiraum immer wieder braucht, um wirklich Abschied zu nehmen; von dem, was mich innerlich binden mag, von einer Person, von etwas, was nicht mehr ist, von einer Geschichte, die ihr Ende gefunden hat.
Um dann, wenn die Stunde da ist, offen zu sein und mit Bestimmtheit neues, unerforschtes Leben zu wagen, das mir geschenkt wird, in dankbarem Bewahren all dessen, was erinnert und weitergegeben werden will und so lebendig in und unter uns weiterlebt.