ZEITGENÖSSISCHE LESUNG

IM MITTAGSGEBET

Pierre Claverie - Christsein an den Bruchstellen

aus: P. Claverie, in: J.-J. Pérennès, Pierre Claverie – Dominikaner und Bischof in Algerien. Leipzig 2014

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Aschermittwoch 02.03.21

Seit Beginn der Gewalttätigkeiten hat man mich oft gefragt: Was macht ihr dort? Schüttelt den Staub von euren Sandalen!

Wir haben keine Macht, aber wir sind da wie am Krankenbett eines Freundes, in Stille, wir halten ihm die Hand, wischen ihm die Stirn ab. Wir sind da wegen Jesus, denn er ist es, der da leidet, in dieser Gewalt, die niemanden ausspart, gekreuzigt von Neuem im Fleisch der unzähligen Unschuldigen. Ist nicht wesentlich für Christen, an den Orten der Verlassenheit gegenwärtig zu sein?

Wie könnten wir Frieden stiften, wenn wir voll von uns selbst sind, von unseren materiellen und intellektuellen Reichtümern … Unsere Chance liegt in unserer Ohnmacht und Schwachheit.

Von unseren Reichtümern, von unseren Ansprüchen und von unserer Selbstgefällig-keit befreit, können wir hören, empfangen und teilen von dem, was wir haben. Es ist nicht nötig, dass wir fortwährend damit beschäftigt sind, uns zu verteidigen. Was haben wir zu verteidigen? Unser Glück? Unsere Gebäude? Unseren Einfluss? All dies ist lächerlich im Vergleich zum Evangelium der Seligpreisungen ...

Wir wollen Gott danken, dass er seine Kirche zur einfachen Menschlichkeit führt ... Wir wollen uns freuen an all dem, was uns empfänglich und verfügbar macht, mehr besorgt darum, uns zu geben, als uns zu verteidigen.

Ermes Ronchi - Beten ist menschlich

aus: Ermes RONCHI, Vater Unser - Neue Zugänge; München 2020

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Samstag 13.11.21

Zwischen Gott, dem Urheber allen Lebens, der das Leben liebt, und der schwangeren Frau, die neues Leben in sich trägt und bald gebären wird, gibt es eine ganz eigene Verbindung: Beide stehen für das „Evangelium des Lebens“, für die frohe Botschaft vom Leben. Eine wahrscheinlich sogar etymologische Verbindung besteht auch zwischen dem griechischen Wort für „Herr“, kyrios, und dem Verb kyein, schwanger sein: Gott ist Kyrios, weil er voller Leben ist und Leben hervorbringt, weil er Leben schenkt und das Leben schützt. Die Frauen haben schon insofern einen besonderen Platz in der Heilsgeschichte, als sie eine „natürliche Prophetie“ in sich tragen: eben die frohe Botschaft vom Leben. Die Bezeichnung „Kyrios – Herr“ steht nur dem zu, der liebender Urgrund des Lebens ist, der Leben mehrt, erhält und weiterschenkt. Jesus hat Teil an dieser „Herrschaft“, auch er ist Kyrios, denn er ist gekommen, damit wir „das Leben haben und es in Fülle haben“ (Joh 10,10).

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Freitag 12.11.21

Die Freundschaft mit Gott hat eine spezielle Form: die Form eines Kreuzes, eine Vertikale und eine Horizontale. Wir sehen es an Jesus, wie er ausgestreckt ist auf Gott und auf die Menschen; sein Herz ist der Kreuzungspunkt. In seiner innigen Freundschaft mit dem Vater und dem Angebot der Freundschaft an uns liegt das „Kreuz der Freundschaft“, das heilt und erlöst, das Freude schenkt. Und wir sind berufen, dieses „Kreuz“, die Horizontale und die Vertikale der Freundschaft mitzuleben.

Stehe ich mit Gott in einer freundschaftlichen Beziehung? Ein untrügliches Indiz dafür ist die Freude; sie ist eine Frucht wahrer Freundschaft. Schenkt Gott mir Freude? Wie viele Christen sind aufrichtige und doch eher traurige Menschen, weil sie noch nicht die Freude gefunden haben, die im „Kreuz der Freundschaft“ liegt! Das Beten versteht, wer die Freundschaft versteht, jenes Reservoir der Freude, das es uns ermöglicht, das Gebot der Liebe mit frohem Herzen zu leben. Die Freundschaft ist gewissermaßen eine Lehrmeisterin fürs Beten.

Freunde lassen uns menschlicher werden. Und wie ist es erst, wenn Gott für uns ein Freund ist! Wie viel an Menschlichkeit kann er in unser oft so defizitäres Leben bringen!

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Dienstag 09.11.21

Durst haben ist menschlich. Adam hat Durst: Alle Tiere im Garten Eden genügen ihm nicht, der gesamte „irdische Garten“ ist ihm immer noch zu wenig.

Durst ist aber auch Gottes Befindlichkeit: Die Unendlichkeit des Himmels genügt ihm nicht, er erschafft die Welt, er sehnt sich nach uns Menschen.

Der Durst des Menschen kommt wie gesagt nicht irgendwann auf, sondern ist von Anfang an da; er ist kein gelegentliches Phänomen, sondern gehört als existenzielles Bedürfnis nach Leben zu unserer menschlichen Struktur. Und daraus erwächst das Gebet: Beten ist der mehr oder weniger „ausdrückliche“ Wunsch, jemand möge das Verlangen, das dem Leben innewohnt, stillen: ein Mensch, ein Mann oder eine Frau, ein Gott.

Beten ist Sehnsucht nach einer Quelle, an der wir unseren Durst stillen können, nach einem Brunnen, nach einem vollen Gefäß.

„Gott dürstet danach, dass wir nach ihm dürsten“ (KKK 2560, nach Gregor von Nazianz und Augustinus).

Die Urform des Betens ist das Verlangen nach Gemeinschaft – noch vor der Unterscheidung zwischen einer Bitte an einen Menschen und jener an Gott. Gebet ist ursprünglich Frucht jenes Dursts, der im Buch Genesis in die Worte gekleidet ist: „Es ist nicht gut, dass der Mensch allein ist“ (2,18). Es ist der Durst nach Liebe, nach Begegnung, nach Blicken, die sich begegnen. Durst nach einem Gott, der hinabsteigt, um in der frischen Abendluft im Garten umherzugehen (vgl. Genesis 3,8).

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Samstag 06.11.21

Gott „gehört die Erde und was sie erfüllt“. Und wir sind Gäste auf dieser Erde; wir leben dank der kosmischen Gastfreundschaft. Mit der Bitte um dieses Brot bekennen wir, dass wir „kosmische Bettler“ sind: angewiesen auf die Gastfreundschaft und die Gaben der Schöpfung.

Das Vaterunser ist auch das Gebet des Bettlers namens Mensch. „Brot“ steht für alles, was uns leben lässt. Wenn ich selbst darüber nachdenke, dass ich lebe, immer noch lebe, dann geht mir auf, dass ich das einem schier unglaublichen Bündel unterschiedlichster günstiger Umstände verdanke. Wie oft hätte ich sterben können! Wie oft wäre ich fast gestorben! Denkbare und reale Gründe, nicht mehr unter den Lebenden zu sein, hätte bzw. hat es im Leben von uns allen zur Genüge gegeben: Unfälle, Kriege, Katastrophen, Infarkte, Tumore, Fehler eines Technikers, Versuchungen, sich das Leben zu nehmen und so weiter und so fort. Dieses zerbrechliche Wunder namens Leben, das Brot und Liebe braucht, Nahrung und Schönheit ... – wir haben es uns weder selber gegeben, noch haben wir es in der Hand. Es ist uns geschenkt. Wenn wir den Vater um „unser tägliches Brot“ bitten, bekennen wir: Es ist uns von Gott geschenkt. „Gib es uns heute ...!“, beten wir. Noch einfacher könnten wir sagen:

„Gib uns das Heute!“

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Freitag 05.11.21

Brot für mich ist etwas Materielles, Brot für meinen Nächsten auch etwas Spirituelles.

Mit der Bitte um das tägliche Brot beginnt der zweite Teil des Vaterunsers. Während der erste Teil den Blick auf den Himmel, auf den transzendenten und nahen Vater, auf sein Reich und seinen Willen lenkt, kommen im zweiten Teil unmittelbarer die Erde und der Mensch ins Blickfeld, das menschliche Leben mit seiner Mühe und Not, seinem Verlangen nach Brot und Vergebung, mit dem Kampf gegen alles Lebensfeindliche. All das gehört zum Vaterunser: Unser vielfältig bedrohtes Leben ist nicht nur Gegenstand menschlicher Sorge, auch Gott interessiert sich dafür!

Im Vaterunser finden wir das ganz Große und das Alltägliche, hohe geistige Dinge und Leiblich Materielles. Dies ist das Geniale im Christentum: Gott und Mensch, Göttliches und Menschliches stehen nicht gegeneinander, sie „umarmen sich“.

Brot steht für die Nahrung des Menschen, es ist etwas Essenzielles, es verweist uns auf die materielle Dimension menschlichen Lebens, von der es nicht getrennt werden kann. Denn bei allen geistigen und mystischen Höhenflügen braucht menschliches Leben immer auch ein Stück Brot und ein Glas Wasser.

Schämen wir uns nicht unserer Bedürfnisse: Unser Hunger ist Gottes Sorge; unser Glück liegt in seinem Interesse. „Dem Herrn gehört die Erde und was sie erfüllt“ (Ps 24,1).

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Donnerstag 04.11.21

Mein Reich ist wie ein Riss in der Dunkelheit, durch den Licht fällt.

„Dein Reich komme!“ – Diese Bitte ist die innere Mitte des Vaterunsers, der bloßgelegte Kern der Botschaft Jesu und seines Wirkens. Daraus, dafür lebte er.

Königreich, Königtum, (Gottes-)Herrschaft, dieses Wort markiert die Wurzel seiner Botschaft. Den Schlüssel dazu werden weniger die Theologen und Exegeten finden als vielmehr Menschen, die das Vaterunser mit dem Herzen beten. „Dein Reich komme“:

Es komme „eine neue Architektur“ der Welt und der Beziehungen unter den Menschen! Es ist eine Bitte, die aus den tiefsten Tiefen des Leids und der Hoffnung hervorbricht.

König ist Gott im Glauben des alten Israels deshalb, weil er das Chaos überwunden hat. Und sein größter Triumph ist der Mensch. Von daher ist jeder Mensch per se Zeichen, dass Gott der Herr und König ist; jeder Mensch verkündet durch sein Dasein diesen Gott, und er weist jedes Mal auf ihn hin, wenn er seinerseits vom Dunkel zum Licht kommt, aus der Sinnlosigkeit zur Sinnfülle, aus der Orientierungslosigkeit zu neuen Plänen, aus dem Gefühl der Absurdität zum Mysterium. Anders gesagt: immer dann, wenn sich in seinem Leben eine Art Ostern, eine Auferstehung ereignet.

Jeder Mensch ist ja ein kleiner Kosmos, gewoben aus Chaos und Schönheit, und Leben heißt: sich einüben, die „inneren Ozeane“ zu beherrschen, die bedrohlich und fruchtbar zugleich sind.

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Mittwoch 03.11.21

Zu allen Zeiten haben Christen versucht, zum Wesenskern des Christentums vorzudringen. Nun, das Evangelium zeigt uns diese Herzmitte im Vaterunser. In einem Gebet ist die Botschaft Jesu auf den Punkt gebracht, nicht etwa in einem Lehrsatz oder einer Dogmensammlung.

Schon dies kann uns Wichtiges sagen: Im Beten liegt eine frohe Botschaft. Eine gute, zutiefst menschliche Botschaft auch für heute, in einem kulturellen Klima, in dem vielfach Vertrauen geschwunden ist.

Beten ist Beziehung. Die Synthese des Evangeliums, der Frohen Botschaft, findet sich nicht in einer Wahrheit, sondern in einer Beziehung.

Und ein Weiteres: „Beten“, das meint zunächst einmal nicht das Aufsagen einer Gebetsformel. Am Anfang steht kein formuliertes Gebet, sondern eine lebendige Erfahrung: Beten ist Frucht des Lebens. Am Anfang steht, wie Leonardo Boff einmal sagte, ein „existenzieller Schock“, eine eindrückliche Erfahrung, ein Schrei, das Erleben von Schmerz und von Liebe, von Zärtlichkeit und Freude.

Solches Erleben ist der Quell, aus dem das Beten hervorgeht – als flehentliche Bitte, als freudiges Lied oder auch als Protest. Man muss lebendig sein, um beten zu können.

Das gilt auch für das Gebet, das Jesus uns gelehrt hat. Sein eigenes Gebet zum Vater („Abba“) entspringt der radikalsten und tiefsten Erfahrung, die er gemacht hat.

Den Tod vor Augen, im Ölgarten, sprach Jesus Gott mit diesem vertrauten Namen an: Abba, lieber Vater!

Pater Johannes Kopp - Zum Fest Allerseelen

https://zen-kontemplation.de/allerheiligen-allerseelen/

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Dienstag 02.11.21

“Mit ihnen lass auch uns – wie du verheißen hast – zu Tische sitzen.”

Das ist eine Bitte in der Feier der Eucharistie im Gedenken an die Verstorbenen.

Was ist wohl mit dieser Bitte gemeint ist. Mit den Verstorbenen zu Tische sitzen, wie soll das gehen?

Soviel lässt sich sagen, dass dies eine symbolische Benennung ist, für eine Gemeinsamkeit, die ihren Ausdruck findet in einem festlich frohen Miteinander bei Tisch. Können wir ein Miteinander mit unseren lieben Verstorbenen erfahren?

In tiefem Gebet, in Fühlung mit sich erfährt man sich anders, als wenn man über sich nachdenkt.

Auf diesem Weg kann man zu einer Erfahrung kommen, in der man die Wirklichkeit in sich findet, wie sie dem Verstand nicht zugänglich ist. In unserem eigenen wahren Wesen finden wir uns als Ganze.

Als Ganze finden wir uns nicht nur in unserem Zeitlichen. Es ist etwas in uns, das nicht stirbt. Dafür gibt es keinen Beweis, aber es gibt eine Erfahrung, die bis zur Gewissheit erlebt werden kann. Wenn wir so in Berührung kommen mit dem Ewigen in uns – in Herzberührung, dann finden wir uns auch in einer Gemeinsamkeit mit unseren Lieben, die bereits im Ewigen sind. Wir können die Toten lieben in einer wahren Beziehung. Diese Liebe kommt an – im Geben und Empfangen.

Wir können unsere Beziehung zu den Verstorbenen leben und ihnen alles Gute, das Allerbeste und Schönste wünschen und für sie beten. “Nimm sie auf in deine Herrlichkeit” beten wir für sie in der Feier der Eucharistie und gleichzeitig auch für uns, unsere innige Gemeinschaft mit ihnen, symbolisch ausgedrückend: “Und mit ihnen lass auch uns, wie du verheißen hast, zu Tische sitzen in deinem Reich.” Das ist auch eine Menschheitserfahrung, dass wir in Herzberührung mit dem Ewigen in uns die Grenzen der Zeit überschreiten und bereits jetzt schon mit denen, die uns vorangegangen sind, eine Gemeinsamkeit erleben.

Aus dem Vorbereitungsdokument

„Für eine synodale Kirche: Gemeinschaft, Teilhabe und Sendung“

https://press.vatican.va/content/salastampa/it/bollettino/pubblico/2021/09/07/0540/01156.html#tedescook

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Samstag 23.10.21

Der Geist Gottes, der das „gemeinsame Gehen“ der Kirchen erleuchtet und lebendig macht, ist der gleiche Geist, der auch in der Sendung Jesu wirkt und den Aposteln sowie den Generationen der Jünger verheißen wird, die das Wort Gottes hören und es befolgen.

Gemäß der Verheißung des Herrn beschränkt sich der Geist nicht darauf, die Kontinuität des Evangeliums Jesu zu bestätigen, sondern vertieft das Verständnis seiner Offenbarung und inspiriert die notwendigen Entscheidungen, um den Weg der Kirche zu unterstützen. Daher ist es angemessen, dass unser Weg des Aufbaus einer synodalen Kirche von zwei Bildern der Schrift inspiriert wird.

Eines tritt in der Darstellung der „Gemeinschaftsszene“ hervor, die beständig den Weg der Evangelisierung begleitet – Jesus, die Menge, die Apostel –; das andere bezieht sich auf die Erfahrung des Geistes, in der Petrus und die Urgemeinschaft das Risiko erkennen, das entsteht, wenn man ungerechtfertigte Grenzen für die Mitteilung des Glaubens zieht.

Die synodale Erfahrung des „gemeinsamen Gehens“ in der Nachfolge des Herrn und im Gehorsam gegenüber dem Geist kann hier eine entscheidende Anregung empfangen. (…) Kein menschliches Wesen ist in den Augen Gottes unwürdig, und der durch die Erwählung entstandene Unterschied bedeutet keine exklusive Bevorzugung, sondern Dienst und Zeugnis in weltumspannender Weise.

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Freitag 22.10.21

Der Sinn des Weges, auf den wir gerufen sind, ist es vor allem, das Antlitz und die Gestalt einer synodalen Kirche zu entdecken, in der jeder etwas zu lernen hat: das gläubige Volk, das Bischofskollegium, der Bischof von Rom – jeder im Hinhören auf die anderen und alle im Hören auf den Heiligen Geist, den Geist der Wahrheit, um zu erkennen, was er den Kirchen sagt. (…)

Bei diesem „gemeinsamen Gehen“ bitten wir den Geist, uns entdecken zu lassen, wie die Gemeinschaft, welche die Vielfalt der Gaben, der Charismen und der Dienste zur Einheit führt, der Sendung dient: Eine synodale Kirche ist eine Kirche „im Aufbruch“, eine missionarische Kirche, «mit offenen Türen».

Dies umfasst auch die Einladung, die Beziehung zu den anderen Kirchen und christlichen Gemeinschaften, mit denen wir in der einen Taufe verbunden sind, zu vertiefen. Die Perspektive des „gemeinsamen Gehens“ ist aber noch weiter und umgreift die ganze Menschheit, mit der wir die Freude und die Hoffnung, die Trauer und die Angst (GS, Nr. 1) teilen.

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Donnerstag 21.10.21

Was der Herr von uns verlangt, ist in gewisser Weise schon im Wort „Synode“ enthalten, das in der Tradition der Kirche ein altes und verehrungswürdiges Wort ist, dessen Bedeutung die tiefsten Inhalte der Offenbarung in Erinnerung ruft.

Es ist der Herr Jesus, der sich selbst als der Weg und die Wahrheit und das Leben offenbart. Und die Christen in seiner Nachfolge werden ursprünglich die Anhänger des Weges Jesu genannt“.

In dieser Perspektive ist die Synodalität weit mehr als die Feier kirchlicher Treffen und die Versammlungen von Bischöfen oder eine Frage der internen Verwaltung der Kirche; sie ist „der spezifische modus vivendi et operandi der Kirche als Gottesvolk, das seine Existenz als Gemeinschaft und Weggemeinschaft manifestiert und konkretisiert, indem es in der Versammlung zusammenkommt und indem alle seine Mitglieder aktiv an seinem Auftrag der Evangelisierung teilnehmen“.

Hier verbinden sich daher jene Elemente, die das Thema der Synode als tragende Achsen einer synodalen Kirche vorschlägt: Gemeinschaft, Teilhabe und Sendung.

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Mittwoch 20.10.21

Die Synodalität stellt für die Kirche, die dazu aufgerufen ist, sich unter der Wirkung des Heiligen Geistes und dank des Hörens auf das Wort zu erneuern, einen Königs-weg dar.

Die Fähigkeit, sich eine andere Zukunft für die Kirche und für ihre Institutionen vorstellen zu können, die auf der Höhe der Sendung ist, die sie empfangen hat, hängt zum großen Teil von der Entscheidung ab, Prozesse des Zuhörens, des Dialogs und der gemeinsamen Unterscheidung in Gang zu setzen, an denen alle teilnehmen und ihren Teil beitragen können.

Zugleich ist die Entscheidung, „gemeinsam zu gehen“ ein prophetisches Zeichen für eine Menschheitsfamilie, die eines gemeinsamen Projektes bedarf, das das Wohl aller verfolgt. Eine Kirche, die in Treue zu dem was sie verkündet, fähig ist zur Gemeinschaft und zur Geschwisterlichkeit, zur Teilhabe und Subsidiarität, kann sich an die Seite der Armen und der Letzten stellen, um ihnen ihre Stimme zu leihen.

Um „gemeinsam zu gehen“ ist es erforderlich, dass wir uns vom Geist zu einer wirklich synodalen Haltung erziehen lassen, um mit Mut und Freiheit des Herzens in einen Prozess der Bekehrung einzutreten, ohne den jene „dauernde Reform, derer die Kirche allzeit bedarf, soweit sie menschliche und irdische Einrichtung ist“ (…) nicht möglich ist.

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Dienstag 19.10.21

Die Kirche Gottes ist zu einer Synode zusammengerufen. (…)

Wenn sie gemeinsam unterwegs ist und gemeinsam über den zurückgelegten Weg nachdenkt, kann die Kirche aus ihren Erfahrungen lernen, welche Prozesse ihr helfen können, die Gemeinschaft zu leben, die Teilhabe aller umzusetzen und sich der Sendung zu öffnen.

Unser „gemeinsames Gehen“ ist tatsächlich das, was wesentlich die Natur der Kirche als pilgerndes und missionarisches Volk Gottes verwirklicht und darstellt. Eine grundlegende Fragestellung treibt uns voran: Wie gestaltet man heute, auf den ver-schiedenen Ebenen (…) jenes „gemeinsam Gehen“, das es der Kirche erlaubt, entsprechend der ihr anvertrauten Sendung das Evangelium zu verkünden; und: Welche Schritte lädt der Heilige Geist uns ein zu gehen, um als synodale Kirche zu wachsen?

Gemeinsam diese Fragestellung anzugehen erfordert, eine Haltung des Hörens auf den Heiligen Geist einzunehmen, der wie der Wind weht, wo er will, und dabei für die Überraschungen offenzubleiben, die er entlang des Weges sicher für uns bereit-hält.

Auf diese Weise kommt eine Dynamik in Gang, die es erlaubt, damit zu beginnen, einige Früchte zu ernten; Früchte einer synodalen Bekehrung, die nach und nach reifen werden.

Von Johannes Gerhartz - Über die Haltung der Entschiedenheit

in: GuL 68/4 (1995) 246-256

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Samstag 16.10.21

Gott ist nicht der Konkurrent des Menschen, gegen den ich mein Menschsein durchzusetzen habe, sondern der Garant, die Voraussetzung und Grundlage des Menschseins; derjenige, der will, dass ich voll Mensch bin, mehr als ich selbst. Anders formuliert: Je mehr ein Mensch sich glaubend, hoffend, liebend Gott über-lässt und derart nicht auf sich, sondern auf Gott ausgerichtet ist, desto mehr findet er seine Erfüllung, desto mehr gelingt sein Leben, desto freier wird er.

Klare Entschiedenheit also macht frei. Der Lohn des Gehorsams ist die Freiheit, die Gott mit dem teilt, der ihm dient. Diese Seite des „aufrechten Ganges“, diese Grundlegung wahrer Menschlichkeit und Freiheit des Menschen ist dem Menschen in seinem Denken und Lebensgefühl schwer einsichtig. Das ist nicht verwunder-lich. Der Mensch wird aufgefordert, ein Paradox zu leben: diene, um frei zu sein, um Du selbst zu sein. Das ist schwer nachvollziehbar. Das bedarf eines starken Glaubens und eines großen Vertrauens auf Gott. Allzu oft aber erfahren wir die Menschen, die als Glaubende sich selbst von Gott her verstehen, als ziemlich unfrohe Menschen, die ein enges Leben führen.

Doch der Hauptgrund der Schwierigkeit ist das Paradox, das in dem Evangelien-wort ausgedrückt ist vom Weizenkorn, das sterben muss, um lebendig zu sein und Leben zu stiften, und von dem Leben, das einer nur dann gewinnt, wenn er es hingibt. Diese Entschiedenheit ist wesentlich die ganz persönliche Haltung des Menschen. Ohne das wäre sie nichts.

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Freitag 15.10.21

Zwischen Entschiedenheit und Freiheit, Bestimmtheit und Offenheit, besteht ein Spannungsverhältnis. Entschiedenheit auf Gott hin umfasst - in der traditionellen Sprache - Gehorsam Gott gegenüber, d.h. des Menschen Wunsch und Wille, Gottes Willen nach Kräften zu erkennen und zu tun, möglichst so, wie Christus es getan hat, und zwar nicht nur hin und wieder, sondern als Lebenshaltung und Lebensziel. Das ist schwer. Das geht dem Menschen „gegen die Natur“. Aus verschiedenen Gründen. Einer davon und nicht der geringste ist der, dass der Mensch sein eigener Herr sein, frei sein, sich selbst bestimmen will, nicht eingegrenzt und bestimmt von fremdem Willen. Diese Autonomie als Leitvorstellung, für die der Mensch lebt und arbeitet, ist heute besonders stark ausgeprägt.

Nun kann keiner sagen, dass dieses Freiheitspathos heidnisch sei oder weltlich liberal. Es gehört zu den Fundamenten biblischen Glaubens. Das ist uns aus der Präambel der Zehn Gebote bekannt: „Ich bin der Herr, dein Gott, der dich heraus-geführt hat aus dem Sklavenhaus Ägypten,“ (Ex 20, 2).

Diese Stelle spricht also ganz entschieden davon: die Erlösungstat Gottes an Israel ist eine Tat der Befreiung. Gott hat sein Volk aufrecht gehen lassen. Dies ist Wort und Wille der Schrift. Diese freie, ungebeugte Haltung des Menschen, der aufrecht geht, weil er sich selbst bestimmt und nicht unter dem Sklavenjoch gebeugt ist. Doch dies ist nur eine Seite des biblischen Verständnisses von Freiheit des Menschen. Die Entschiedenheit für Gott bleibt ihre Voraussetzung und Grundlage.

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Donnerstag 14.10.21

Beim Lesen der Evangelien ist man erstaunt, die ruhige und klare Entschiedenheit festzustellen, in der Jesus seinen Weg geht, sein ruhiges und klares Ausgerichtet-Sein auf Gott, den Vater und seinen Auftrag, das Werk Gottes, das er zu erfüllen hat.

Diese ganz klare, gerade Haltung gab Jesu Leben seine Kraft, auch seine Überzeugungs- und Anziehungskraft. Aber letztlich war es auch das, was ihn zum Stein des Anstoßes für viele machte; das, was zur Katastrophe führte, in der sich dann diese seine Entschiedenheit erneut zeigte und zutiefst bewährte. Der Eindruck dieser Entschlossenheit Jesu auf seine Jünger und Hörer war groß.

Diese Ausrichtung auf Gott, seinen Vater hin, war das alles Bestimmende seines Lebens, in dem Sinn, dass sie die Grundlage für all das war, was wir an Jesus sehen und lieben: Seine unglaubliche Geborgenheit in Gott, seine Sanftheit, sein helfendes und barmherziges Sichhinwenden zum Nächsten, sein geradezu anstößiges Auf-brechen verkrusteter Traditionen und sein Freimachen des Menschlichen. Denn wer so rein und gerade ausgerichtet ist auf Gott, den Freien, Weiten, Liebenden, Barmherzigen, der ist oder der wird auch selber so: frei, weit, liebe- und verständ-nisvoll, barmherzig, dem Nächsten zugewandt. All diese Dinge sind geradezu Zeichen dafür, dass ein Mensch wirklich entschieden ist auf Gott hin und nicht bestimmt ist von einer anderen, eng und unfrei machenden Entscheidung.

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Mittwoch 13.10.21

Die Entschiedenheit ist eine Gabe Gottes, die auch erbetet werden will. Sie ist Objekt steten Bemühens, weil Gott selbst für den Menschen nie so Besitz ist, dass er nicht voller, tiefer erkannt werden kann. Sie ist also etwas anderes als Sturheit oder Starrheit, als Fanatismus oder Fundamentalismus, als sich nicht mehr auf andere oder anderes als das Gewohnte einlassen wollen oder einlassen können.

Entschiedenheit geht durchaus zusammen - wenn auch in einem guten Spannungsverhältnis - mit Milde und Sanftheit, mit Offenheit, Umsicht und Unterscheidung, ja, sie ist die Grundlage und Voraussetzung von all dem. Nur „wo die Mitte fest ist, können die Grenzen offen sein“ (R. Schneider). Im Grunde besagt diese Lebenshaltung nichts anderes als das größte und erste Gebot (Mt 22,38): „Du sollst den Herrn, Deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele, mit ganzer Kraft“, eben mit Entschiedenheit! (…)

Angesichts dieser Lebenshaltung der Liebe müssen wir eingestehen: Kaum einer wird sie auch nur annähernd erfüllen. Und doch können wir uns immer neu aufmachen zu ihr hin, aus ganzem Herzen und mit ganzer Kraft, eben entschieden.

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Dienstag 12.10.21

Der Mensch, der Christ zumal, braucht Haltungen, aus denen er lebt, die sein Leben tragen und gestalten, geistige Einstellungen und Ausrichtungen, die ihm Halt geben und Kraft, weil sie ihm Tugend verleihen, die Gewohnheit also und Geschicklichkeit, Gutes zu tun. Die Haltung der Entschiedenheit. Da ist aber sogleich zu warnen. Entschiedenheit ist heute ein gefährliches, weil leicht missverstandenes Wort, eine oft missbrauchte Haltung.

Die Entschiedenheit besagt Ausrichtung auf Gott und seinen Dienst, Entschiedenheit für das Evangelium und den Weg Jesu. Insofern handelt es sich bei ihr um eine grundlegende Haltung, um die Basis für alle weiteren Entscheidungen, gerade auch für die Lebensentscheidungen. Sie hat den Charakter des einen „Notwendigen“ (Lk 10,42), das dem menschlichen Leben sein Fundament, seine Klarheit und seine Richtung gibt. Und das, wie Jesus sagt, „nicht genommen werden“ kann, weil Gott es nicht nimmt, sondern gibt, und weil kein anderer Mensch bis in diese Tiefe des Menschen reichen kann.

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Samstag 02.10.21

Achte gut auf Dich!

„Nimm dich in acht, achte gut auf dich!“ (Dtn 4,9) „... und nimm dir zu Herzen“.

Vielleicht liegt hier ein Knackpunkt unseres modernen Lebenskonzepts: dass wir uns scheuen, uns tief auf etwas einzulassen, - uns etwas zu Herzen zu nehmen.

Ich erlebe es bei mir selbst, dass ich das Eine oder Andere um Himmels willen nicht zu nah an mich herankommen lassen will. Denn wenn ich es wirklich an mich heran- und mich darauf einließe, dann müsste ich mich mehr bewegen, als mir lieb ist. Es ist „gefährlich“, sich etwas zu Herzen gehen zu lassen, denn das hat Konsequenzen für mein Leben. Wo ich mit dem Herzen dabei bin, da bin ich herausgefordert – heraus-gefordert aus dem behaglichen Schneckenhaus – und verletzlich. Auf der anderen Seite gilt aber wohl genauso: Wo ich mit dem Herzen dabei bin, da bin ich erst wirklich lebendig.

Die Dichterin Nelly Sachs fragt am Ende eines ihrer Gedichte: „Wenn die Propheten aufständen / in der Nacht der Menschheit / wie Liebende, die das Herz des Geliebten suchen, / Nacht der Menschheit / würdest du ein Herz zu vergeben haben?“ Vielleicht müssen auch wir uns fragen: pflegen wir Gott wirklich in unseren Herzen?

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Freitag 01.10.21

Erde braucht der Mensch zum Glauben

In der alttestamentlichen Erzählung bittet der vom Aussatz geheilte Syrer Naaman,

so viel Erde vom Ort seiner Heilung mitnehmen zu dürfen, wie zwei seiner Maultiere tragen können.

Ist in dieser alten Vorstellung, dass Gott an ein Stück Land und an Erdklumpen dieses Landes gebunden ist, vielleicht eine urmenschliche Sehnsucht nach griffiger Gotteserfahrung verborgen?

Lassen Sie mich Naamans Gedanken als Gebet formulieren: „Gott, mein Gott, ich möchte dich greifbar erfahren! Mach dich mir erfahrbar! Zeig dich mir so deutlich, dass ich für meinen künftigen Lebensweg etwas in den Händen habe! Ich, Naaman, nehme ein paar Sack Erde mit in meine Heimat, damit mein Glaube an dich auch dort Boden unter den Füßen hat.“

Ein vermeintlich hochgeistiger und hochgeistlicher Glaube, der keine Zeichen braucht, geht nach meiner Überzeugung ziemlich am Menschen und seiner Wirklichkeit vorbei. Er traut dem Menschen eine reine Geistigkeit zu, die ihm so nicht gegeben ist. Meine Erfahrung hat mich einen bescheideneren Glauben gelehrt, der die Zeichen hoch schätzt. Ich brauche Orte, Zeiten, Menschen, und auch Andenken und sogar Reliquien, um den unendlich weiten Gott in meine Begrenztheiten eindenken und hineinleben zu können.

Ich stelle mir vor, Gott lächelt jetzt über mich und meinen ziemlich kleinen Glauben. Er lächelt, sendet sein Wort und lässt es in der Geburt Jesu Fleisch, Hand und Fuß werden. Jesus aus dem Dorf Nazareth in dem Provinzwinkel Galiläa ist Gottes großartige Antwort auf Naamans und mein eigenes Verlangen, Glaubensboden unter den Füßen zu bekommen.

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Donnerstag 30.09.21

Glaubenssuche heute: Mit Gott per Du

In jüngster Zeit konzentriert sich mir das Glaubenssuchen in ein einziges Wort hinein, - in die Gottesanrede „DU“. In diesem „DU“ bergen und verbergen sich Erfahrungen dem Bereich des zwischenmenschlichen „du“. Aus „kleinen ‚du’s“ mit ihren Geschenken, Grenzen und Enttäuschungen ist das Langen nach einem -, nach d e m großen „DU“ gewachsen. Das Viele der theoretischen Glaubensarbeit fällt in das Eine der erlebten und ersehnten Beziehung zusammen.

Hier setzt meine Übersetzungs-„Arbeit“ der biblischen Botschaft an. Mein Ziel ist es nicht, sie in Verkündigung an andere zu übersetzen. Ich suche mich selbst als Adressaten zu entdecken und den Briefkasten des eigenen Herzens zu beschicken. Wenn dort etwas angekommen ist, dann habe ich etwas, - dann habe ich auch etwas zu sagen: „DU“. Das „DU“, das in mir Melodie ist, ist auch die Melodie, die nach draußen klingt.

„Mystiker - das sind keine abgehobenen 'Typen'. Das sind Menschen, die Gott an sich heran- und in sich hereinlassen. Sie trauen sich, mit Gott auf DU zu stehen. Sie bekennen sich zu Gott und zu sich selbst. Sie sagen: 'DU, ich liebe dich.' Dazu, - zu solcher Mystik ist jeder Christ berufen - ohne Ausnahme.“

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Dienstag 28.09.21

Feiern, wie geht das?

Feiern – wie geht das? Ja, wenn man sich wirklich in die Tiefe fragen würde, was das eigentlich ist: „feiern“, - und wie man das eigentlich macht. Dabei sollte man es nicht bei der „man“-Formulierung belassen, sondern sich selbst ganz persönlich be- und hinterfragen: Was verstehe ich unter „feiern“? Wie feiere ich? Kann ich feiern? Wie geht es also mir, - ja, mir ganz persönlich mit dem Feiern? Manchmal habe ich den Eindruck, dass da irgendwas irgendwo und irgendwie gefeiert wird. Feiern scheint oft ein Happening zu sein. Und: oft ist der Anlass unwichtig; - Hauptsache: es wird gefeiert! Für mich ist Feiern zunächst und vor allem einmal mit dem Kopf verbunden. Ich muss, was ich feiern will, und seinen Anlass im Kopf haben. Das heißt, ich muss es bewusst haben und mir bewusst machen. Fast möchte ich sogar sagen: das wache und tiefe Bewusstsein von etwas, das ist mir das eigentliche Fest. Das lässt mich eine Sache feiern, ohne dass ich dafür das Drumherum brauche. Das Feiern und die freie Zeit sind die Chance, sich zu erholen. Man könnte das auch so übersetzen: Sie sind nicht dazu da, vor sich selbst wegzulaufen, sondern innezuhalten, um unserer Seele die Chance zu geben, uns einzuholen.

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Samstag 25.09.21

Wenn einer bei mir anklopft – oder ich bei ihm -, dann sucht er einen Ort, - ein Gespräch, - Gemeinschaft mit mir. Er ist – vielleicht nur für einen Moment – auf Herbergsuche.

Menschen können einander ‚Wallfahrtsort‘ sein.

Das ist Christsein im Wallfahrtsgedanken.

Das macht Kevelaer, Lourdes, Santiago ..., Rom oder Jerusalem als Wallfahrtsorte nicht überflüssig, aber es relativiert sie und bewahrt sie vor dem Irrglauben, dass von ihrem Besuch das Heil abhängig sei. Der von Gott geschenkte und vor ihm zu verantwortende Heilsort ist zuallererst die Situation des Alltags, nicht das Ereignis Wallfahrt.

Wer sich auf eine Wallfahrt begibt, darf sich als Christ auf Jesus und seine Wanderungen zu den Jerusalemer Festen berufen. Er sollte allerdings auch das wallfahrtskritische Gespräch Jesu mit der Samariterin am Jakobsbrunnen bedenken. Die Frau fragt ihn: „Unsere Väter haben auf diesem Berg Gott angebetet; ihr aber sagt, in Jerusalem sei die Stätte, wo man anbeten muss. Jesus sprach zu ihr: Glaube mir, Frau, die Stunde kommt, zu der ihr weder auf diesem Berg noch in Jerusalem den Vater anbeten werdet. Die Stunde kommt, und sie ist schon da, zu der die wahren Beter den Vater anbeten werden im Geist und in der Wahrheit; denn so will der Vater angebetet werden. Gott ist Geist, und alle, die ihn anbeten, müssen im Geist und in der Wahrheit anbeten“

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Freitag 24.09.21

Wallfahrt lebt in der Begegnung und sucht die Begegnung.

Ich könnte es auch Gefährtenschaft nennen.

Der oder die andere, mit denen ich unterwegs bin, stärken mich und geben mir Sicherheit. Den Heiligen, den ich am Wallfahrtsziel in besonderer Weise um Fürsprache anrufe, bitte ich um Wegbegleitung zu Gott hin. Und – ausgesprochen oder unausgesprochen – ist es auch nichts Anderes, um das ich Gott selbst bitte:

mir nahe zu sein mit seiner Gegenwart und mich in meinen Nöten nicht allein zu lassen.

Wallfahrten sind Intensivkurse der Communio, - der Gemeinschaft. Insofern sind es durchaus ‚gefährliche‘ Tage; denn nur allzu oft bleibt im Hintergrund die Devise:

Lieber Gott, sei mir ganz nahe ..., aber komm mir, bitte, nicht zu nahe! Gott aber will mir so nahe kommen, dass sich etwas ändert, ... – dass ich ein anderer werde.

Wenn die Wallfahrt dann vorbei ist, was dann? Ist alles an den Wallfahrtsort und den Wallfahrtszeitraum gebunden? Wartet zu Hause nur grauer Alltag mit der Wahrscheinlichkeit tiefdunkler Erfahrungen?

Unsere Gottesdienste zu Hause, - können wir sie nicht als Wallfahrtstunden verstehen? Ein Ort mit guten Erfahrungen gefüllt, - mit dem Gespräch der Gebete - mit ‚Kommunion‘, Gemeinschaft mit Gott und den Menschen?

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Donnerstag 23.09.21

Wallfahrten führen immer zu einem Einkehrort, in den große Hoffnungen gesetzt werden.

In besonders dichter Weise wird dort Gottes Nähe geglaubt. Nicht, dass Gott hier ‚mehr‘ gegenwärtig ist als anderswo, aber der Mensch ist hier offener für die ‚gute Botschaft‘.

Es sind Orte, an denen ‚Licht‘, - ‚Trost‘ geschenkt wird, - an denen mir der Himmel ‚offener‘ ist. Der Patriarch Jakob macht diese Erfahrung auf der Flucht vor seinem Bruder Esau in Beth-El: „Wirklich, der Herr ist an diesem Ort“ (Gen 28,16).

Orte sind wichtig, wo wir einkehren und zu Hause sein können.

Wallfahrten sind geprägt von sie begleitenden Worten, in denen die Menschen sich aussprechen. Sie sprechen sich aus auf den Ort hin, den sie aufsuchen. Sie sprechen ihre Sorgen vor Gott und seinen Heiligen aus. Sie machen nicht ‚fromme Worte‘, sondern sie sprechen sich selbst, wie sie in all ihrer kantigen, schartig-verletzten Situation sind, aus.

Gott sehnt sich nicht nach ‚frommen‘, sondern nach sich aussprechenden Menschen. Vielleicht sollte man manche Lieder und Gebete einmal darauf überprüfen, ob sie diesem Anspruch standhalten. Die Psalmen halten diesem Standard stand, weil sie den Menschen nicht frommer machen, als er ist.


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Mittwoch 22.09.21

Aus einem David-Gedicht von Nelly Sachs stammt folgender Vers:

„… im Mannesjahr

maß er, ein Vater der Dichter,

in Verzweiflung

die Entfernung zu Gott aus

und baute der Psalmen Nachtherbergen

für die Wegwunden.“

David – und nicht nur er – sehnt sich nach ‚Herbergen‘ auf dem Weg, - nach Orten des Ausruhens, - der Erholung. Auf Wanderungen und langen Reisen schaut der Mensch abends ganz einfach nach einem ‚Dach über dem Kopf‘ aus, um den Unbilden des Wetters nicht ausgesetzt zu sein, - nach ‚vier Wänden‘, die vor Angriffen schützen. Die ‚Nachtherbergen‘ sprechen von den Dunkelheiten und Dunkelzeiten des Lebens, wo alles ‚in schwarz‘ gemalt zu sein scheint und alles zuviel wird.

In Nelly Sachs‘ Gedicht findet David solche Herbergen nicht, er ‚baut‘ sie: die Psalmen.

In diesen alten Gebeten scheint die Dichterin ihrerseits Herbergen für die Nächte ihres Verzweifelns gefunden zu haben.

Wallfahren ist Herbergssuche auf den Lebenswegen.

Von Abt Albert Altenähr - Zum Fest des Hl. Apostels Matthäus - Fingerzeige Gottes

aus: https://abtei-kornelimuenster.de/spirituelles/weitere-impulse/berufung.html

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Dienstag 21.09.21

In dem alten Pfingsthymnus „Veni Creator Spiritus" findet sich der Vers „ du Finger Gottes, der uns führt“. Der Hymnus ist so bekannt, dass man ihn „im Schlaf“ singen kann und selbst das „Stolper-Bild“ vom Heiligen Geist als Finger Gottes verblüfft uns nicht sonderlich. Wir haben uns daran gewöhnt, … es steht da halt, … was soll’s? … singen wir es, … wir denken uns eh’ nichts dabei. Aber stolpern wir jetzt doch einmal und lassen uns aufstören: Der Heilige Geist ist der Zeigefinger Gottes. Oder in einem Wortdreher: er ist die Fingerzeige des Herrn.

Romfahrer strömen in Scharen in die Sixtinische Kapelle und in die Kirche S. Luigi dei Francesi und bewundern Michelangelos großartige Darstellung der Erschaffung Adams bzw. Caravaggios Bild der Berufung des Apostels Matthäus, dessen Fest dir heute feiern.

Zwei Fingerzeige Gottes... Zwei Berufungsgeschichten.

Der Adam Michelangelos ein im Körperbau kraftstrotzender Bau, der nicht ganz wach ist und nicht weiß, wo er ist und wohin er mit sich soll. Träumend lasch liegt er da, … schaut er hin zu dem was ihm da entgegen- und widerfährt, … ein noch nicht zu Männlichkeit und Lebendigkeit Geweckter.

Seine Berufung zum Leben, zu wachem Leben hat er noch nicht erkannt.

Auf dem Bild Caravaggios ist die „Berufung des Zöllners Levi / des Apostels Matthäus“ dargestellt.

Da sitzen fünf Männer um den Tisch und machen die Tagesabrechnung der Zollstelle. Sind es wirklich fünf Männer, oder ist es vielleicht doch nur der eine Levi, der in unterschiedlichen Lebensphasen oder –einstellungen auf fünf verschiedene Typen aufgeteilt wurde? Die super-kecke Jugend – gleich in zwei Personen dargestellt -, … der geld- und erfolgsorientierte junge Erwachsene, … der buchhalterische Fünfziger / Sechziger, … der wohlbetuchte Firmen-Patron?

Ihnen gegenüber die beiden anderen, die gleichsam aus dem dunklen „off“ ein neues Licht in die scheinhelle Geschäftigkeit einbringen.

Und dann die Haltung des alten Zollpächters. Sie ist nicht schlaff wie bei Adam, sondern hellwach und verschreckt zurückweichend. „Doch nicht etwa ich?“

Sein Zeigefinger weist gestreckt auf ihn selbst, … oder vielleicht doch an ihm vorbei auf einen anderen, seinen Buchalter?

Ist der Fingerzeig des Apostels präziser, weil Jesus durch andere Menschen ruft, selbst aber im Hintergrund bleibt? Wollte er andeuten, dass Berufung durch Menschen, … die Apostel, die Künder danach, durch Menschen heute, vielleicht durch mich und dich geschieht?

Von Christian Rutishauser - Aufmerksamkeit, Gehorsam und Freiheit

C. Rutishauser, Aufmerksamkeit, Gehorsam und Freiheit. Für eine spirituelle Leitungskultur in der Kirche. In: GuL 80/3 (2007) n. 436, 161-170

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Samstag 18.09.21

Freiräume werden in Entscheidungsprozesse, Diskussionen und Organisationsabläufe dadurch eingebaut, dass immer wieder Zeiten der Stille gesetzt werden. Sie helfen dem Einzelnen, innehaltend die laufenden Geschäfte zu überblicken, sich neben den rationalen Argumenten auf das eigene innere Empfinden zu besinnen.

Vor allem jedoch dienen Unterbrechungen dazu, die horizontale Ebene des Gesprächs und des Handelns auf die Vertikale hin zu öffnen, wenn nach dem Wirken des Heiligen Geistes gefragt wird. Über das Abwägen von Argumenten und innere Empfindungen hinaus wird Raum geschaffen, Gottes Geist wahrzunehmen, auf ihn aufzumerken.

Das hörende Herz, um das bereits König Salomo bat, soll in jedem Menschen geöffnet werden. Nicht nur Salomos Weisheit verdankt sich letztlich diesem Hören auf Gott, sondern jede geistlich verantwortete Führung und Entscheidung.

Wie das Sehen zu einem geistlichen Schauen sich steigert, so ist das Hören zu einem Horchen auf Gottes Willen zu lenken. Die Unterbrechung hat also eine eindeutige Ausrichtung und nichts mit Verstummen oder bloßer Stille zu tun. Sie dient dem Gehorchen, dem geistlichen Gehorsam des hörenden Herzens.

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Freitag 17.09.21

„Kürzeste Definition von Religion: Unterbrechung.“ So bringt Johann Baptist Metz die Funktion des christlichen Glaubens auf den Punkt. Das Alltagsleben, die Denkgebäude und Welterklärungen müssen immer wieder auf Gott hin aufgebrochen werden.

Dieses Prinzip der Unterbrechung gilt es, in einer geistlichen Lebensgestaltung erfahrbar zu machen. Gerade im Durchstoßen der menschlichen Gedanken-, Ideen- und Tatenwelt, und sei sie noch so gut, zeigt sich das Wirken Gottes, auf das hin sich der Mensch in der Haltung geistlicher Aufmerksamkeit öffnet.

In der Leitung von kirchlichen Institutionen geschah dies traditionell durch gemeinsames Gebet. Oft steht es noch als frommes Relikt am Anfang von Arbeitssitzungen. In deren weiterem Verlauf ist von diesem Bezug auf Gott hin kaum mehr etwas zu spüren …

Es gilt, inmitten von Entscheidungsprozessen und Verhandlungen Freiräume zu schaffen, damit Gottes Geist wirken kann. Inhaltlich sind sie explizit auf das tiefere und innerliche Abwägen der Sachgeschäfte auszurichten.

Das Denken, Fühlen und Handeln der Menschen soll sich dem Wirken Gottes öffnen. Eine Gottesbegegnung mitten in der Arbeit gilt es zu ermöglichen. Aus dem dialogischen Ineinander von menschlichem Engagement und göttlichem Wirken erwächst kirchliches Leben.

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Donnerstag 16.09.21

Mitten im Alltag die Haltung der geistlichen Aufmerksamkeit zu wahren und bei allem Tun ein kontemplativer Mensch zu werden, ist eine echte Herausforderung. Es braucht eine kontemplative Lebenskultur, wenn jemand auch im trockenen Geschäft von Leitungs- und Organisationsaufgaben offen bleiben will für den Heiligen Geist.

Wenn ich als Christ oder Christin in einem Wirtschaftsunternehmen oder an einer Ausbildungsstätte arbeite, ist geistliches Leben im Rahmen einer sich säkular verstehenden Gesellschaft zuerst eine persönliche Entscheidung. Sie hat erst in einem zweiten Moment Auswirkung auf das Umfeld.

In der Leitung und Führung von Kirche jedoch ist diese Öffnung auf den Heiligen Geistes hin nicht nur eine private spirituelle Option. Eine kontemplative Lebensform gehört konstitutiv zum kollektiven Leben, das Kirche darstellt.

Kirche würde sich selbst verraten und zu einer Institution neben anderen werden, wenn ihre Glieder nicht gemeinsam nach dem Willen Gottes suchten, um als Gemeinschaft explizit aus Gottes Führung zu leben.

Von Bischof Franz Kamphaus - Gott allein genügt

Franz Kamphaus, Zwischen Nacht und Tag. Österliche Inspirationen. Freiburg u.a. (Herder) 1998, 25f.

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zum Fest der Schmerzen Mariens

Mittwoch 15.09.21

"Immer wieder tragen wir das Todesleiden Jesu an unserem Leib ..." (2 Kor 4,10).

Wer so spricht, stellt sich dem Leid, nicht nur in der Kontemplation, sondern in den banalen alltäglichen Dingen; in dem, was Gott uns in unserem Leben zumutet bei unserem Bemühen, um die Verhältnisse zum Besseren zu führen. Indem wir so aufgerieben werden, kommt langsam, mühsam und nicht ohne Schmerzen das neue Leben durch.

Nicht dadurch wird der Mensch neu, dass er sich an den Realitäten des Lebens vorbeimogelt; nein, im alten Menschen will das Neue durchkommen. Der Weg zum heil geht durch das Kreuz hindurch, nicht dran vorbei.

Auch Maria hat erfahren:

Dieser österliche Wandlungsprozess, den wir an uns geschehen lassen und mit anderen durchmachen, ist weder einfach noch schmerzlos. Werden wir ihn nur in der Liturgie feiern? Oder werden wir ihn durchschmerzen in der gegenwärtigen Situation, und nicht zuletzt auch in der eigenen Lebensgeschichte?

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zum Fest Kreuzerhöhung

Dienstag 14.09.21

Das Kreuz offenbart, wie zerstörerisch Gewalt werden kann. "Ecce homo": der geschundene Mensch. Nicht irgendeiner hängt da am Kreuz und stirbt. Nein - der wie kein anderer die Nähe Gottes verkündigt und gelebt hat, der wird gewaltsam umgebracht.

Christen machen sich über sich selbst und andere nichts vor. Sie verschleiern und verdrängen nicht, was ist. Nur was angeschaut wird, kann auch angenommen und verändert werden. Das ist der Anfang der Erlösung.

Jesus widersteht der Gewalttätigkeit nicht durch einen Akt der Gegengewalt, nicht durch eine Aktion seiner Allmacht, sondern durch die Passion seiner ohnmächtigen, machtvollen Liebe. Das Kreuz ist das Zeichen unzerstörbarer Liebe. Sie schenkt Hoffnung über den Tod hinaus.

Von Christian Rutishauser - Aufmerksamkeit, Gehorsam und Freiheit

C. Rutishauser, Aufmerksamkeit, Gehorsam und Freiheit. Für eine spirituelle Leitungskultur in der Kirche. In: GuL 80/3 (2007) n. 436, 161-170

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Samstag 11.09.21

Die heutige Gesellschaft wirkt paradoxerweise gerade durch ihre Zuwendung zum »Erlebnis« und ihre Freude an der Sinnlichkeit einer spirituellen Vertiefung der Sinne entgegen.

Die Reizüberflutung durch ununterbrochenen Lärm, durch Musikberieselung und eine Masse von Bildern, die auf jeden Menschen einströmen, halten die Sinne im Bann des immer Neuen.

Die quantitative Überforderung des Wahrnehmungsvermögens verhindert ein waches Erfassen. Die hektische Abfolge von immer neuen Eindrücken, Informationen und Erfahrungen führt in eine Geschäftigkeit, sodass weder Zeit noch Raum bleibt für eine tiefere Wahrnehmung der Außenwelt.

Vor allem aber wird durch die Außenorientierung am stets Einmaligen und Neuen der Blick von der eigenen Innenwelt abgelenkt. Zerstreuung wird in einem Maße gefördert, dass die Selbstfindung des Menschen ihr nur hinterherhinken kann.

Wir brauchen unbedingt Räume der Stille, des geduldigen Heilens und Wachsens, des inneren Wahrnehmens, Orte des geschützten Sich-Öffnens in unserem Alltag!

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Freitag 10.09.21

Im Bild des neuen und lebendigen Herzens verdichtet sich in der Bibel die ganzheitliche Wahrnehmung, die Offenheit aller Sinne, die zu tiefer Erkenntnis und Liebesfähigkeit führt.

Mit ganzem Herzen, mit allen Sinnen, will Gott gesucht werden. Diese biblische Frömmigkeit wirkt in der Spiritualitätsgeschichte weiter, wenn in der Pfingst-sequenz gebetet wird: „Komm herab, o Heiliger Geist … Fülle Herz und Angesicht.“ Das Herz bleibt der symbolische Ort, wo sich der Mensch mit allen Sinnen Gott zuwendet.

So ist die Entwicklung und Bildung der Sinne und Sinneswahrnehmung uner-lässlich für ein geistliches Leben. Die Sinne gilt es in einem ersten Schritt zu reinigen, denn sie sind besetzt und verschlossen oder vielfach abgestumpft.

Psychologisch gesprochen: Die Sinneswahrnehmung ist mit Projektionen und Spiegelungen behaftet. In einem zweiten Schritt sind die inneren, geistigen Sinne zu entwickeln, das innere Auge, das geistige Ohr.

Die spirituellen Wege aller Religionen sind Übungsfelder, um zu einer Haltung der geistlichen Aufmerksamkeit und somit zu einem geistlich geprägten Handeln und Leben zu gelangen.

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Donnerstag 09.09.21

Die Haltung der Aufmerksamkeit ist nicht einfach natürlich gegeben, sondern muss in jedem Leben entwickelt, gefördert und gestaltet werden. Wie oft beklagen sich die biblischen Propheten und Jesus mit ihnen: „Ihr habt Ohren und hört nicht, habt Augen und seht nicht …“ Immer wieder folgt der Aufruf: „Seid wachsam!“ Der Mensch braucht wache Sinne, will er mit dem Gott des Lebens unterwegs sein. Kennzeichen des Götzendienstes ist denn auch das verstockte Herz, das Göttern dient, die Ohren haben und nicht hören, Augen und nicht sehen.

Die hebräische Bibel betont das Hören; seinen höchsten Ausdruck findet es im „Höre Israel …“, dem jüdischen Kerngebet und Glaubensbekenntnis.

Die christliche Spiritualitätsgeschichte betont das wahre Sehen. Diese Verschiebung ist bereits im Neuen Testament festzustellen, wo mehrere Blindenheilungen die Öffnung der Augen thematisieren.

Dass es dabei in erster Linie um die Augen des Glaubens, um das geistliche Sehen angesichts der Offenbarung Gottes in Christus geht, ist offensichtlich. Immer steht aber das Auge oder das Ohr als pars pro toto und will besagen, dass alle Sinne geöffnet werden müssen.

Von Josef Kardinal Ratzinger - Maria, die Glaubende

J. Ratinger, Gottes Angesicht suchen. Betrachtungen im Kirchenjahr. Freising 1978, 44f.

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Mittwoch 08.09.21

Mariä Geburt fällt insofern aus der Form der Heiligenfeste heraus, als die Kirche gewöhnlich keine Geburtstage feierte - ganz im Unterschied zur alten Welt, in der die Geburtstage der Mächtigen mit größtem Pomp begangen wurden.

Die Kirche hielt dem entgegen, dass es einfach verfrüht sei, den Geburtstag zu feiern, weil zu viel Zweideutigkeit über dem Menschenleben liegt. Von der Geburt her weiß man ja noch nicht, ob dieses Leben ein Grund zum Feiern ist oder nicht ...

Die Kirche feiert demgegenüber erst den Todestag: nur wer im Angesicht des Todes für sein Leben danken kann, nur wessen Leben auch von der anderen Seite des Todes her angenommen werden kann, nur dessen Leben ist feiernswert geworden.

Von dieser Grundregel gibt es in der Kirche eine Ausnahme, der zwei andere so unlöslich zugehören, dass sie mitgefeiert werden. Die Ausnahme ist Christus. Über seiner Geburt liegt keine Zweideutigkeit, sondern Lobgesang. Zu ihm aber gehört (neben Johannes dem Täufer) Maria, die Mutter, ohne die auch Jesu Geburt nicht sein könnte.

Die Glaubende, die das Licht des Herzens in sich trug, hat im Gegensatz zu den Mächtigen der Erde die Welt von ihrem Grund her verändert: Die wahre, rettende Veränderung der Welt kann nur von den Kräften der Seele kommen.

Von Christian Rutishauser - Aufmerksamkeit, Gehorsam und Freiheit

C. Rutishauser, Aufmerksamkeit, Gehorsam und Freiheit. Für eine spirituelle Leitungskultur in der Kirche. In: GuL 80/3 (2007) n. 436, 161-170

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Dienstag 07.09.21

„Aufmerksamkeit ist die natürliche Religiosität der Seele“, sagt eine Volksweisheit. Das Aufmerken und die gesteigerte Wahrnehmung stehen im Zentrum jeder Spiritualität. Es geht um einen Blick, der nicht eingeschränkt ist und nur das sehen will, was in die eigene Strategie und Weltsicht passt. Es geht um ein Hinhören, das nicht nur oberflächliche Beweggründe und ausgesprochene Argumente erfasst, sondern auch Zwischentöne und Unausgesprochenes.

Aufmerksamkeit richtet sich auf die Wirkkraft Gottes, auf seinen Geist, der alles Lebendige durchwaltet. Es geht um ein Auf-Merken, ein Merken, das »aufwärts« gerichtet ist, auf den Heiligen Geist hin.

Geistliche Aufmerksamkeit und Spiritualität bezeichnen nicht allein punktuelles religiöses Empfinden, sondern es geht um ein Sein und Handeln, ja um eine Lebens- und Arbeitsform, die auf das allzeitliche Wirken des Heiligen Geistes hin offen ist und sich davon bewusst prägen lässt.

Von Ottmar Fuchs - Gedanken über das Danken

O. Fuchs, Kochen, tanzen, beten und andere Kraftquellen von Menschen in der Pflege. Würzburg 2020

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Samstag, 04.09.21

Überreizt von der Umwelt und vom Vergleich mit den anderen, erwarten wir oft überwältigendere Ereignisse, die uns Dank abnötigen: einen Lottogewinn, eine Beförderung usw.

In diesem Klima der permanenten Unzufriedenheit verlieren wir die kleinen und zärtlichen Momente aus dem Blick, die einfach so am Weg des Tages begegnen und, schaute man genauer hin, ein Geschenk für den Tag wären:

ein Gesicht, ein Kunstwerk, eine Idee, ein kleiner Erfolg, ein gutes Wort. Wer dafür nicht sensibel wird und somit für einen Gott, der das alles auf uns zukommen lässt, wird auch die großen Geschenke, die anfanghaft oft in klein aussehenden Gaben verborgen sind, übersehen.

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Freitag, 03.09.21

Christen und Christinnen dürften sich dazu ermuntern, öfter und auch vom Alltag her den Dank aufzufrischen:

für Erfolge, für unser Leben, für viel Begegnungen der Freundlichkeit und Liebe, die wir unverdient bekommen, für die Natur, die Musik und Ähnliches.

Im Dank versuchen wir zwischen den Ritzen des oft schweren Alltags solche Momente, die uns guttun, aufzusuchen und groß zu sehen.

Von diesen Gedanken her hat das Danken auch eine in die Zukunft gerichtete Kraft: Es ‚wendet‘ die Betenden ‚um‘ zu allem im Leben, was gut und schön ist;

nicht nur schwarzzusehen, sondern das ‚Hellsehen‘ zu lernen, jedenfalls das Helle, das jedes Leben an sich hat, zu entdecken, nicht zuletzt das Gute und Schöne in uns selbst zu spüren und auszuweiten.

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Donnerstag, 02.09.21

Danken ist eine Weigerung gegen die gesellschaftlich und wirtschaftlich eingespurten Beziehungszwänge, in denen nur empfängt, wer etwas leistet und bezahlt.

Jedes ‚Ich will ja nichts geschenkt‘ bringt das Tauschgeschäft ins Feld und verhindert tiefere menschlichere Begegnung. Denn wer nichts geschenkt bekommt, der braucht auch nicht zu danken; und wer nie erfahren hat, von Herzen danken zu können, dem wird dann auch die Fähigkeit zum Schenken ersterben.

Diese bereits menschlichen und zwischenmenschlichen Wirklichkeiten des Dankens bilden auch die Basis für das entsprechende Verhältnis zu Gott: Kaum etwas ist Zufall in unserem Leben, allenfalls in dem Sinn, dass es uns zugefallen ist.

Was für die Menschen untereinander gilt, gilt auch für die Beziehung des Menschen zu Gott: Dem, der nicht danken kann, fehlt es an Beziehungsfähigkeit.

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Mittwoch, 01.09.21

Danken nimmt unseren Erfahrungen den Schein, sie seien zufällig, verdient oder gekauft.

Danken hält inne, blickt auf eine Begegnung, auf eine eigene Fähigkeit und Leistung, auf einen Gegenstand zurück, bringt das Erfahrene noch einmal ins Blickfeld, um es als Geschenk, als von Gott her Verdanktes, als Gnade zu erleben und dies ihm gegenüber zum Ausdruck zu bringen.

Dankendes Beten taucht unter die Geschehnisse des Alltags und verleiht ihnen eine tiefe Wurzel und einen intensiveren Stellenwert, nämlich den Ort in einer Begegnung, die von einem Geben und Empfangenen lebt.

Schon im Zwischenmenschlichen vertieft Danken die Beziehung der Menschen. Es macht sensibel füreinander und lässt auch nicht die kleinen Dinge übersehen, die Menschen im Alltag füreinander tun. Danken verleiht einem Geschehen ein neues Gewicht.

Von Johannes Bours - Gesegnete in der Nacht

In: J. Bours, Nehmt Gottes Melodie in euch auf. Worte für das tägliche Leben. Freiburg u.a. (Herder) 1985

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Samstag, 10.07.21

Die Erfahrung der Begrenztheit! Gebundenheit, die ich nicht lösen kann; Zwänge, von denen ich mich nicht befreien kann; die Angst, die Schuld, die aus meiner Enge kam … Die Grenze, an die unser letztes Fragen stößt: Woher kommen wir, wohin gehen wir? Was soll das namenlose Leid in der Welt? Überall Grenzen, an die wir stoßen, an denen wir zurückgeworfen werden.

Und da ist dieses Wort, das Gott seinem Volk zusagt: „Ich werde deine Grenzen weit machen“ (Ex 34,24). Dieses Wort gewinnt vom Evangelium her einen unerhört neuen Sinn. Eine neue, grenzenlose Dimension tut sich auf: die österliche Welt, die Welt des Auferstehens! „Ich werde deine Grenzen weit machen“

Gottes Barmherzigkeit überflutet alle Grenzen – nichts mehr soll ausgeschlossen sein vom Fest der Erlösung, der Befreiung: „Ich werde deine Grenzen weit machen“

Diese Verheißung will ich hören auf mein Leben hin. Ich will aus dieser Zusage leben und den Vorschein ihrer Erfahrung zulassen. Indem ich selber mit aller Kraft der Zuversicht auf die Entgrenzung zuwandere, die dieses Wort gewährt, werde ich in wachsen-dem Glauben beten können: „Du hast meinen Füßen weiten Raum geschenkt“ (Ps 31,9).

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Freitag, 09.07.21

Das hebräische Wort für „glauben“ heißt: „he-emin“: sich festmachen in Gott. Aus diesem he-emin stammt das Amen. Glaube bedeutet Verzicht auf eigene Leistung, Eingeständnis der menschlichen Ohnmacht. Damit wird der Glaube offen für etwas Anderes, Neues. Er erwartet alles von Gott, bei dem alles möglich ist.

„Zieh weg aus deinem Land“: Fast immer erlebt der Mensch solchen Aufbruch, das Loslassen des Bisherigen auf eine erkannte Berufung hin, als Wagnis. Das Wagnis, das eigene Leben als Lot auszuwerfen, ohne zu wissen, in welche Tiefen es gerät.

„Du wagst dein Ja – und erlebst einen Sinn. Du wiederholst dein Ja – und alles bekommt Sinn. Wenn alles Sinn hat, wie kannst du anderes leben als ein Ja?“ (D. Hammarskjöld). Wer es mit Gott zu tun bekommt, der wird auf einen Weg geschickt.

Den Weg nicht wissend, gehe ich den Weg, mit offenen Händen, mit offenem Herzen.

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Donnerstag, 08.07.21

Auf den letzten Seiten der Bibel steht das Wort: „Seht, die Wohnung Gottes unter den Menschen! Er wird in ihrer Mitte wohnen und sie werden sein Volk sein; und er, Gott, wird bei ihnen sein. Er wird alle Tränen von ihren Augen abwischen“ (Offb 21, 3f.). Das Ganze der Geschichte Gottes mit den Menschen mündet in dieses Wort: Nähe! Verbundenheit! Keine Verlassenheit, kein Alleingelassensein mehr. „Er wird bei ihnen sein. Er wird alle Tränen von ihren Augen abwischen.“

Die Verheißung beginnt mit dem Wort: „Seht!“ Ist schon etwas davon zu sehen? Alles sammelt sich in dem einen Menschensohn, der verborgen unter uns lebt: menschliche Nähe Gottes.

Aber auch überall da, wo Menschen etwas ermöglichen an Geborgenheit, an Beheimatung, an Frieden; wo Menschen etwas schenken an Angenommensein, an Zuwendung, an Begegnung; wo Menschen Tränen abwischen: Da ist etwas von diesem „Seht!“ Da beginnt die Verheißung von der Nähe Gottes unter den Menschen ihre Glaubwürdigkeit zu bekommen, und ein Schimmer der künftigen Erfüllung fällt auf unsere Erde.

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Mittwoch, 07.07.21

Ein Gebetswort, vor mehr als 2000 Jahren geschrieben, kommt mir vor, als sei es erst heute in unseren Tagen richtig gültig geworden! Es heißt: „Rette mich, Herr, mit deiner Hand vor diesen Leuten, die im Leben schon alles haben“ (Ps 17,14). Ich denke: So ist es doch heute - alles ist zu haben … Was wird übrigbleiben auf der ausgebeuteten Erde?

Auf einmal erschrecke ich: Ist das denn nicht auch in mir: das Haben, das Festhalten, das An-sich-Reißen dessen, was man haben kann? Und auf einmal ist dieses Wort meine Bitte geworden: Rette mich, Herr, vor dem Menschen in mir, der satt geworden ist im Schon-alles-Haben. Rette mich vor der Welt in mir, die vorgibt, sie könne hergeben, was ich zum wahren Leben brauche!

Rette mich, Herr, vor dem Menschen in mir, der den Hunger nicht mehr kennt, den das nicht stillen kann, was zu haben ist, was zu machen ist.

Der Mensch, der zum ersten Mal diesen Psalm gebetet hat, vor mehr als 2000 Jahren, muss ein Liebender gewesen sein. Denn er schließt sein Gebet mit einem Satz, den nur ein Liebender beten konnte: „Ich aber will dein Angesicht schauen, mich sattsehen an deiner Gestalt, wenn ich erwache.“ Sein Herz, nicht angefüllt mit Sachen, die man haben kann, geht auf das Einzige, was das Herz sättigen kann: auf das Du! Auf das Angesicht des Herrn.

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Dienstag, 06.07.21

Ein uralter Bericht erzählt, dass der Patriarch Jakob in einer Nacht schwerer Lebensbedrohung mit Gott gerungen hatte. Aber er kommt nicht los von diesem Gott; er betet zu ihm mit einem unerhört kühnen Glauben: „Ich lasse dich nicht, es sei denn, du segnest mich!“

Natürlich kann man mit diesen Worten an jedem guten Tag beten. Aber sie müssen sich wohl erst in einer Lebenssituation bewähren, in der die Dunkelheit uns überfällt und Gott uns zum Rätsel geworden ist, von dem wir nichts mehr verstehen.

Es gibt Zeiten, in denen die Glaubenserfahrung: Gott liebt mich! uns sehr nahe ist. Aber wenn Sorge und abgründige Traurigkeit uns das Herz zusammenpressen und unser Glaube schmal geworden ist – dann dieses Wort zu wagen: „Ich lasse dich nicht, es sei denn, du segnest mich!“ Ich vertraue darauf, dass du mich segnest!

Wir sollten vorsichtig sein, damit in dieses Wort kein falsches Pathos hineinkommt. Wir sollten es vielleicht sehr still sagen, wie eine Bitte und ein Wagnis zugleich, wie ein gläubiges „Dennoch“, und vielleicht wie in eine dunkle Wolke hineingesprochen: „Ich lasse dich nicht, es sei denn, du segnest mich!“

Von Thomas Philipp - Der Geist der Leben weckt

In: Th. Philipp, Gott in mir. Geist, der Leben weckt. Würzburg (Echter) 2013

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Mittwoch,19.05.21

Der Geist schwebte über den Wassern, heißt es im Lied von der Schöpfung, gleich zu Beginn der Bibel. Die Gegenwart des Geistes ist das Milieu, in dem sich alles Folgende abspielt. Entwicklung geschieht, weil der Schöpfergeist über dem Chaos schwebt. Der Geist des Herrn erfüllt den Erdkreis, und er, der alles zusammenhält, kennt jeden Laut (Weish 1,7).

Für die Bibel ist klar: Der Geist macht lebendig, und nur er. Das Leben liegt nicht in der Macht des Lebenden, er muss ja sterben ...

Viele Sprachen bezeichnen Geist und Atem mit dem gleichen Wort. Das heißt: Der Lebensatem ist der Gottesgeist. Der Geist ist gerade jener Atem, der Leben schenkt, und den der Mensch nicht herstellen kann. Er ist es, der das Innerste des menschlichen Innern, die Seele, in ihren vielen Farben erst lebendig macht. Die Seele bleibt verletzbar. Aber die Bibel hofft, dass der Geist sich der tiefsten Wunde annimmt und sie heilt: Ich schenke euch ein neues Herz und lege einen neuen Geist in euch, spricht der Herr (Ez 36,26).

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Dienstag,18.05.21

Gott in mir - das klingt esoterisch. Aber das scheint nur so. Esoterisch wäre: Gott nur in mir. Was draußen passiert, ist nicht wichtig. Christlich ist: Ja, Gott wohnt in jedem von uns, erfahrbar.

Vollendung der Welt wird in der Schrift mit den Worten beschrieben: "Gott ist alles in allem". Der Mensch findet erst recht zu sich, wenn er dieses - im Gottes-Geist - anwesende Geheimnis verehrt. Aber ebenso ist Gott im Mitmensch, in der Welt, die mir außen begegnet. Christen sagen und: innen und außen; sie lassen beides gelten.

Bei vielen gibt es heute eine Suche nach ... Verstandenwerden, nach Begreifen, nach Frieden mit sich selbst, nach Heimat jenseits der Ambivalenzen... Christen glauben an den Heiligen Geist, an Gott, der in armen Menschenherzen wohnt. Eine starke Aussage, eigentlich ..., aber, wenn nicht gerade Pfingsten ist, etwas abwesend in der Alltagssprache der Verkündigung ...

Die Frohe Botschaft muss sich in die Muttersprache der Seele übersetzen; ihre Worte sollen mit den Zuständen der inneren Welt Verbindung aufnehmen. Die Worte über den Heiligen Geist bekommen Geschmack, wenn sie die Sehnsucht aufsuchen.

Von Heinrich Spaemann - Er ist dein Licht

In: H. Spaemann, Er ist dein Licht. Meditationen für jeden Tag. Jahreslesebuch. Freiburg u.a. (Herder) 1992

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Freitag 16.04.21

Die Einheit von absoluter Geborgenheit und grenzenloser Freiheit ist die beständige Suche des Menschen und zugleich Gottes Ziel mit ihm. Das "Angeld" dieser Einheit empfängt er schon jetzt. Im Glauben an Jesus Christus.

Er ist unsere Bergung und unsere Befreiung. Durch den Glauben sind wir, leben wir und bewegen wir uns in Christus. Er ist in uns, wir sind in ihm.

Alle Beziehungen in Menschheit und Kosmos modulieren und orchestrieren die Beziehung zu ihm. Er ist das Thema der Symphonie aller Lebensverwobenheiten.

Der Auferstandene, eins geworden mit dem Urgrund allen Seins, spricht zu den Seinen: "Friede euch!" Friede ist vollkommene Geborgenheit und grenzenlose Freiheit in einem.

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Donnerstag 15.04.21

Ostern verwirklicht sich in Begegnung. Die Ostergeschichten der Evangelien sind in dieser Hinsicht beispielhaft zu verstehen. Christus begegnet als Gärtner, als Wanderer, als Mann am Ufer; danach, in Augenblicken, die alle bisherige menschliche Erfahrung übersteigen, wird Er erkannt: Garten verwandelt sich jetzt in Paradies, staubiger Weg mündet unversehens in göttliches Zuhause, Seeufer wird zur Küste der Ewigkeit, Saal im Obergeschoss eines Bürgerhauses mit ängstlich verschlossenen Türen zu einer Aula des himmlischen Jerusalem.

Für jede dieser Begegnungen gilt: "der Wind weht, wo er will; du weißt nicht, woher er kommt und wohin er geht". Er kommt unberechenbar, unverfügbar, meist über die Schwelle von Traurigkeit, Leid, tiefer Enttäuschung und ungelöster Fragen eher als über hochgestimmte Erwartung.

Nur ein Anfang von Austausch und seliger Erfüllung wird jeweils erfahren. Eine noch größere, liebende Sehnsucht und Erwartung bleibt zurück, die sofort wieder Aufbruch bewirkt.

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Mittwoch 14.04.21

"Ich werde euch wiedersehen; euer Herz wird sich freuen, und eure Freude wird euch niemand nehmen", sagt Jesus. Die bleibende Freude beginnt nicht erst im Himmel; sie wurde den Jüngern schon bei der Auferstehung Jesu zuteil, durch den Glauben. Die Begegnung mit dem erhöhten Herrn teilte sie ihnen mit, seine Himmelfahrt bestärkte sie, die Geistsendung machte sie überströmend.

Die Freude der Apostel ist das Erbe der Kirche.

Dass wir den Herrn nicht sehen, wie ihn die Jünger sahen, hindert nicht, dass wir wie sie die vollkommene Freude schon in uns tragen - die vollkommene, noch nicht vollendete Freude. Denn nicht von unserem Sehen geht diese Freude aus, sondern von seinem. Der Herr sagt nicht: Ihr werdet mich sehen, dann wird euer Herz sich freuen ..., sondern: Ich werde euch wiedersehen, und euer Herz wird sich freuen.

Indem er uns sieht, gießt er sie uns ein, denn sein Sehen ist das Überströmen seines Geistes. Sein Geist aber, sein Friede und seine Freude sind eins.

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Dienstag 13.04.21

Ostern, Auferstehung bedeutet, dass kein Frühling vergeblich, keine Verheißung des Lebens trügerisch war. Alle reine und tiefe Sehnsucht greift Gott einmal auf.

Alles von ihm Geschaffene kommt auch zu ihm, und alles Leid verwandelt er in Freude durch den, der es mit uns leidet und litt. Die Welt hat in Christus wieder ihre Hoffnung, ihr Leben, ihr Licht.

Die Evidenz des Ostergeschehens ist Pfingsten. Der Geist des Herrn bewirkt in der ersten Jüngergemeinde das Ausbreiten des Jubels, neues Lied, Einmütigkeit der Herzen, überströmende Liebe und Freude, übergreifend wie Feuer und Sturm auf Menschen aus allen Völkern und Sprachen.

Die Überfülle des Erfahrenen drängt zum Weitergeben, ist Geschenk von der Art, dass man jeweils tiefer beschenkt ist, indem man weiterschenkt.

Von Christian Schütz - Österlicher Aufbruch

In: C. Schütz, Er ist nahe. Lesebuch für Gottsucher. Freiburg u.a. (Herder) 1990

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Samstag 11.04.21

Damit uns der letzte Durchbruch zum Glauben gelingt, ist es notwendig, dass uns der Auferstandene selbst in den Lebensweg tritt, dass er sich selbst uns als der Auferstandene erschließt und aufschließt. Der Auferstandene selber muss uns begegnen und aufgehen, erscheinen.

Ist das nicht zu viel verlangt? Das mag sein, wenn wir auf uns schauen. Doch die eigentliche Frage lautet:

Was trauen wir dem Auferstandenen hier und heute zu? Glauben wir wirklich, dass er lebt, dass er jetzt mitten unter uns ist, auch wenn wir ihn nicht sehen und greifen können?

Er hat viele Möglichkeiten, sich uns zu erschließen. Oft geschieht das auf unerwartete Weise. Wir müssen es ihm überlassen, wann und wie er uns in den Weg treten will. Er wird es sicher zu seiner Zeit bei jedem einzelnen tun, nicht selten sogar mehrmals, bis uns die Augen endlich aufgehen und unser Herz zu brennen beginnt. Ostern ist die Bürgschaft und Verheißung dafür.

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Freitag 10.04.21

Die zum Grab Aufbrechenden kommen nicht mit leeren Herzen und Händen. Sie werden an das erinnert, was sie von Jesus gehört haben und wissen, was sie von ihm empfangen und mit ihm erlebt haben. Sie kommen als irgendwie um Ostern wissende und informierte Menschen.

Auch wir sind alles andere als vom Glauben unberührte Wesen. Jeder Christ hat in der Taufe das Geschenk des Glaubens erhalten. Es ist nicht irgendein Glaube, sondern ein zutiefst und zuinnerst österlicher Glaube.

Gott hat und bereits den Osterglauben ins Herz gelegt. Diese Gabe mag durch allerlei Gleichgültigkeit, Schuld oder Desinteresse verdeckt sein, so dass wir gar nicht mehr darum wissen. Es würde genügen, dass wir uns darauf besinnen und den Schutt bewusst wegräumen, um der österlichen Kraft des Glaubens in uns inne zu werden. Er gleicht einer in uns schlummernden Quelle; wird sie freigelegt und angezapft, dann beginnt sie zu sprudeln. Der Glaube wird geradezu zu einer österlichen Lebensquelle.

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Donnerstag 09.04.21

Ostern fing damit an, dass Menschen aufbrachen und sich auf den Weg machten. Menschen, die aufbrechen, sind es, die schließlich den Auferstandenen erkennen.

Wie verhält es sich mit uns? Auch wir sind aufgebrochen. Die einen aus Konventionen, die anderen, weil sie vielleicht mussten oder nicht anders konnten, wieder andere voll freudiger Erwartung und Sehnsucht. Es ist wichtig, dass wir aufbrechen, uns auf den Weg machen, denn daheim bei uns selber werden wir dem Auferstandenen todsicher nicht begegnen.

Könnte es nicht auch an unserer mangelnden Aufbruchbereitschaft liegen, wenn uns zuweilen der Osterglaube schwer fällt, wenn wir uns mit ihm so wenig anfreunden können?

Aufbrechen bedeutet immer auch, aus dem bisherigen Leben, dem Lebensrahmen und den Lebensgewohnheiten, wohl auch aus dem Lebensgefängnis auszubrechen und sich auf einen unbekannten Weg einzulassen. Wer nur sich kennt und festhält, der wird den Auferstandenen unmöglich finden …

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Mittwoch 07.04.21

Der Weg Christi war, menschlich gesprochen, ein Weg in die äußerste Finsternis und Ohnmacht des Scheiterns und Untergangs. An diesem Punkt stehen wir, so oft wir Karfreitag und Ostern feiern.

Aber gerade hier bricht die unerwartete Wende vom Tod zum Leben hervor. Wir werden dabei nicht nur zu Zeugen, sondern zu Teilnehmern und Miterfassten der Auferstehung, einer Neugeburt und Verwandlung der Welt.

Der auferstandene Herr fragt uns: Wo sind meine auferstandenen und auferstehenden Jünger, Brüder und Schwestern?

Seid ihr es? Wollt ihr es sein? Denn nur so, nicht anders, könnt ihr meine Jünger und Jüngerinnen sein.

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Dienstag 06.04.21

Ostern ist die Geburtsstunde der Hoffnung für alle Welt, für alle Menschen und alle Zeiten. Diese Hoffnung dürfen wir nicht dezimieren und nur für uns reklamieren. Sie gilt und gehört allen; der Auferstandene ist der Herr aller Welt.

Er richtet eine universale Hoffnung auf. Wer darauf setzt, der weiß, dass die Erfahrung von Sünde, Leid, Tod, Unglück und Not nicht das letzte Wort in dieser Welt behalten. Hoffend setzt er auf die neue Welt der anhebenden Auferstehung.

Diese Hoffnung ist aber nicht nur eine Hoffnung über Tod und Unrecht hinaus, sondern auch eine Hoffnung gegen den Tod und alles Unrecht; eine Hoffnung für die jetzt und in Zukunft Lebenden.

Als Glaubende stehen wir im Dienst einer universalen Auferstehung schon hier und heute. Mitten in dieser Welt will die Auferstehung durch unsere Auferstehungs- und Lebenspraxis, durch unser Bemühen um Frieden, Gerechtigkeit, Liebe und Versöhnung anbrechen.

Von Papst Franziskus - Patris corde - Der hl. Josef

In: http://www.vatican.va/content/francesco/de/apost_letters/documents/papa-francesco-lettera-ap_20201208_patris-corde.html

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Dienstag 06.03.21

Sicher wird Josef in der Synagoge während des Psalmengebets wiederholt gehört haben, dass der Gott Israels ein barmherziger Gott ist, der gut zu allen ist und dessen Erbarmen über all seinen Werken waltet (vgl. Ps 145,9).

Die Heilsgeschichte erfüllt sich »gegen alle Hoffnung […] voll Hoffnung« (Röm 4,18) durch unsere Schwachheit hindurch. Allzu oft denken wir, dass Gott sich nur auf unsere guten und starken Seiten verlässt, während sich in Wirklichkeit die meisten seiner Pläne durch und trotz unserer Schwachheit realisieren.

Der Böse lässt uns verächtlich auf unsere Schwachheit blicken, während der Heilige Geist sie voll Erbarmen ans Tageslicht bringt. Die Sanftmut ist der beste Weg, um mit dem Schwachen in uns umzugehen. Der ausgestreckte Zeigefinger und die Verurteilungen, die wir anderen gegenüber an den Tag legen, sind oft ein Zeichen unserer Unfähigkeit, unsere eigene Schwäche, unsere eigene Zerbrechlichkeit innerlich anzunehmen.

Paradoxerweise kann uns auch der Böse die Wahrheit sagen, aber wenn er dies tut, dann nur, um uns zu verurteilen. Wir wissen jedoch, dass die Wahrheit, die von Gott kommt, uns nicht verurteilt, sondern aufnimmt, umarmt, unterstützt und vergibt. Die Wahrheit zeigt sich uns immer wie der barmherzige Vater im Gleichnis (vgl. Lk 15,11-32): Sie kommt uns entgegen, sie gibt uns unsere Würde zurück, sie richtet uns wieder auf, sie veranstaltet ein Fest für uns.

Auch durch Josefs Besorgnis hindurch verwirklicht sich der Wille Gottes, seine Geschichte, sein Plan. So lehrt uns Josef, dass der Glaube an Gott auch bedeutet, daran zu glauben, dass dieser selbst durch unsere Ängste, unsere Zerbrechlichkeit und unsere Schwäche wirken kann. Und er lehrt uns, dass wir uns inmitten der Stürme des Lebens nicht davor fürchten müssen, das Ruder unseres Bootes Gott zu überlassen. Manchmal wollen wir alles kontrollieren, aber er hat alles wesentlich umfassender im Blick.

Von J. Gerhartz, „Erschaffe mir, Gott, ein reines Herz“- Biblische Hilfen zum Verständnis von Ps 51,12

In: GuL 86/4 (2013) n. 469, 385-391

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Freitag 06.03.21

Wie erreiche ich es, ein reines Herz zu haben? Der Psalm-Beter bittet: „Erschaffe mir, Gott, ein reines Herz“.

Das ist die entscheidende Einsicht, die uns hier vermittelt wird: Ein reines Herz kannst du dir nicht schaffen, auch nicht durch noch so gute, noch so ernst gemeinte Vorsätze. Das schaffen auch keine anderen Menschen, so sehr sie auch zu helfen bereit und befähigt sein mögen. Das schafft nur Gott. Ohne ihn kommt der Mensch nicht zu einem „reinen Herzen“. Diese Einsicht und das entsprechende Verhalten daraus sind der erste, der notwendige Schritt. Sie regt uns an, das reine Herz von Gott zu erwarten, von ihm zu erbitten.

„Erschaffe mir, Gott, ein reines Herz.“ Im Hebräischen steht hier dasselbe Wort wie auf den ersten Seiten der Bibel, wo es heißt: „Am Anfang erschuf Gott Himmel und Erde“.

In seiner Bitte geht es dem Beter also um ein Erschaffen im vollen Sinn des Wortes und damit um etwas, das nur Gott kann, das der Mensch nur von Gott erwarten und erbitten kann. Es geht nicht bloß um ein Reinwaschen, es geht um die Neuschöpfung des Herzens, also um ein Neugeschaffen-Werden von der Mitte seiner Existenz her.

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Freitag 05.03.21

„Wasch meine Schuld von mir ab“, betet der Psalmist (Ps 51,4). Man könnte fälschlicherweise meinen, der Schmutz, von dem das Herz rein gewaschen werden soll, sei etwas Äußerliches, etwas, das abgewaschen werden kann, um das Herz davon frei zu machen. Aber das Gute oder Böse, das wir tun, kommt aus unserem Inneren, unserem Herzen und berührt Kern unserer Person.

Ein reines Herz im biblischen Sinne gibt es nicht ohne eine wirkliche Verwandlung des Herzens. Zur Verdeutlichung ein einfaches Beispiel:

Ein Haus hat lange leer gestanden. Die Fensterscheiben sind verschmutzt. Der Fensterputzer reinigt sie. Bei einigen gelingt ihm das, bei anderen nicht. Er kann putzen, so viel er will, es hilft nichts, diese Fenster sind von innen angelaufen. So kommt der Glaser und setzt neue Scheiben ein.

Die Weisen, wie man reine Fenster erhält, sind also unterschiedlich. Welche dieser beiden Weisen symbolisiert eindringlicher das Reinwerden des menschlichen Herzens? Das Abwaschen oder das Erneuern? Wer ehrlich ein „reines Herz“ haben will, ersehnt, dass sein Herz von Grund auf erneuert wird.

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Donnerstag 04.03.21

Es ist ein Missverständnis, zu denken, ob ich ein reines Herz habe, sei eine Frage, die nur mit mir selbst und mit Gott zu tun hat. Denn wer kann in unser Herz schauen, wer kennt es – außer Gott! Das Gemeinte hat viel mit meinem Verhältnis zu anderen Menschen, mit meinem Verhalten ihnen gegenüber zu tun.

Wenn ein Herz rein ist, wovon ist es dann rein? Das reine Herz ist rein vom Egoismus, vom ichbezogenen Denken. Einem Menschen, der ein reines Herz hat, geht es zuerst nicht um sich selbst, sondern um Gott und den Nächsten – und gerade darin wird er selbst Mensch. Jesus war ein Mensch mit „reinem Herzen“, das heißt: Er war ein Mensch für Andere, für Gott, seinen Vater, und für die Menschen.

So bekennen wir im Credo: „Für uns Menschen und zu unserem Heil ist er vom Himmel gekommen (...) und ist Mensch geworden.“ Und: „Er wurde für uns gekreuzigt“. Das „reine Herz“ ist also das ungeteilte, das rein auf Gott und den Nächsten ausgerichtete Herz. Dies hat große Konsequenzen für das Leben des Menschen nicht nur in Bezug auf ihn selbst, sondern auch und gerade für sein Verhältnis zu Gott und den Mitmenschen.

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Mittwoch 03.03.21

Wir alle kennen den Gegensatz von Herz und Vernunft. Wem soll man folgen? Hier versteht man das Wort „Herz“ leicht im Sinne von Gefühl und meint dann, seinem Herzen folgen heiße, seinen Gefühlen folgen, so, als ob Gefühle immer recht hätten.

Herz kann hier aber auch bedeuten, dass unser Verstand nicht die einzige Weise ist, wie wir das Wahre und Rechte erkennen können, sondern dass es noch eine andere, tiefere Weise des Erkennens gibt, eben die des Herzens. Blaise Pascal hat dies so ausgedrückt: „Das Herz hat seine Gründe, die die Vernunft nicht kennt.“ Mit Herz ist hier eine intuitive Weise des Erkennens gemeint. Wir können unsere Erfahrung zu befragen:

Gab es so etwas in meinem Leben, eine Situation, in der ich mir sagte: Vom Verstand her ist das verrückt, was ich hier tue; aber in meinem Inneren weiß ich doch: Es ist das, was zu tun ist.

Wer so denkt und handelt, vertraut darauf, dass es eine eigene Weise gibt, wie Gott durch seinen Geist zu uns spricht. Er spricht nicht nur, wie im Wort der Schrift, zu unseren Ohren oder allein zu unserem Verstand. Er spricht auch und oft genug in den entscheidenden Fragen unseres Lebens zu unserem Herzen. Das Herz ist das Organ, mit dem der Mensch Gott hört und sich ihm öffnet. Darum ist es so wichtig, ein hörendes Herz zu haben, wie es sich Salomo erbeten hat.

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Dienstag 02.03.21

Was ist gemeint, wenn wir vom Herzen des Menschen sprechen? Der körperliche Befund gibt Hinweise auf das, was wir meinen, wenn wir vom Herzen als Symbol sprechen. Fragt man jemanden, wo sein Herz liegt, dann werden die meisten auf ihre linke Brusthälfte zeigen. Jeder Mediziner aber wird sagen, dass das Herz ziemlich genau in der Mitte der Brust liegt. Damit haben wir den ersten Hinweis darauf, warum das Herz eine so große symbolische Bedeutung bekommen hat:

Beim Herzen geht es um die Mitte des Menschen; um das, was ihn im Tiefsten trägt und bewegt; um das, was er auf keinen Fall preisgibt.

Das Herz hält den Blutkreislauf in Gang. Spricht man im übertragenen Sinne vom Herzen des Menschen, so geht es also um dasjenige im Menschen, was ihn in Bewegung hält, ihn antreibt, dieses oder jenes zu tun. Es geht um die Motivation seines Lebens, um die innere Kraft, sich nach dem auszustrecken, was ihm wichtig ist. Jesus würde hier von „Speise“ sprechen: meine Speise ist es, den Willen dessen zu tun, der mich gesandt hat … Das Herz ist ein Symbol des Lebens und des Lebenswillens des Menschen.

Von P. Michael Schneider SJ | Der Alltag als (geistliche Ein-) Übung

Aus: M. Schneider, Der Alltag als (geistliche Ein-) Übung. (Radio Horeb, 23. August 2018)

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Samstag 27.02.21

Die Zeit hat aufs engste mit uns und unserer Einstellung zum Leben zu tun. Zum einen läuft die Zeit an uns vorbei: Wir haben ihren Anfang nicht gesetzt und werden auch ihr Ende nicht miterleben. Dennoch bleibt die Zeit uns nicht äußerlich, sie bestimmt uns von innen her. Wir haben eine Vergangenheit, die uns bis in die Gegenwart hinein prägt, und die Gegenwart wird vergehen, sobald sie sich auf die Zukunft hin öffnet.

Die Zeit ist mehr als ein äußeres Maß, sie ist ein innerer Auftrag, durch den wir zu uns selber kommen, denn die Zeit macht unser Wesen aus. Die innere Bestimmung, die uns mit der Zeit gegeben ist, gleicht einem Abenteuer, das wir nie hinter uns gebracht und bestanden haben. Keiner steigt zweimal in denselben Fluss, und so können wir auch die Zeit nie auf dieselbe Weise noch einmal neu erleben; vielmehr ändert und verändert sich alles in und mit der Zeit.

Dennoch führt diese Erfahrung nicht in die Beliebigkeit, denn das Bestehen und Durchleben unserer Zeit macht unsere Bestimmung aus: Wir benötigen sie, um in ihr zu uns selbst zu kommen und in unserem Menschsein zu wachsen und zu reifen. So erfahren wir die Zeit nicht nur als das große Geschenk, sondern als eine verantwortungsvolle Aufgabe, die uns im Leben auferlegt ist. Vor allem sind wir selbst die Zeit. Sie ist das, was wir daraus machen.

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Freitag 26.02.21

Während des Tages vollziehen wir zahlreiche scheinbar unbedeutende Akte, z. B. wenn wir einkaufen gehen, uns zu einem Termin aufmachen usw. Dann legen wir eine Strecke zurück, die uns als Überbrückung der Zeit von einem Termin zum anderen erscheinen mag. Doch wir sind auf einem „Weg“, und die Frage ist, ob wir hierbei auch auf einem inneren Weg sind, etwas in uns in Ordnung bringen und uns von innen her erneuern wollen und können.

Sobald wir in solchen Augenblicken des Alltags den Akzent von außen nach innen verlegen, sei es in der Küche beim Abwaschen oder beim Spazierengehen, im Liegen oder Stehen wie auch im Gespräch mit einem anderen, kann alles uns zu einer Gelegenheit werden, von innen her recht zu werden. Damit etwas religiöse Bedeutung gewinnt, sind nur zwei Bedingungen nötig: Es muss einfach sein und wiederholbar.

Das, was gekonnt ist, entlässt, gerade weil es gekonnt ist, den Menschen aus dem Bann des Ichs, das um den Erfolg noch bemüht sein muss. Es erleichtert auch die Unabhängigkeit vom Beifall der Welt und gibt den Weg nach innen frei. Aber nicht nur die gekonnte Handlung, schon die zum Können hinführende Übung kann dem inneren Werk dienen: in allem und jedem die Verfassung zu pflegen, die der Bestimmung des Menschseins entspricht. Dann ist der Alltag auch nicht mehr grau, sondern er gerade wird zum Abenteuer der Seele. Es geht um den Alltag als Übung eines inneren Weges.

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Donnerstag 25.02.21

Es geht im geistlichen Leben darum, anders zu werden, aber kein anderer; und „anders werden“ heißt: ein Mensch, der in allem offen ist für Gottes Gegenwärtigkeit im eigenen Leben.

Die menschliche Natur darf im Glauben nicht verbogen werden, denn sie ist von unendlicher Kostbarkeit: Der Herr vergleicht nicht umsonst seine Gnade mit Perlen, weil jede Perle so einzig in ihren Eigenschaften ist, dass man nie zwei findet, die einander völlig gleichen.

So geht es um eine Spiritualität des Alltags.

Das wichtigste „Werk“, die wichtigste Aufgabe unseres Lebens sind wir selber. Alles, was uns im Leben begegnet, von der Freude bis zum Leid, vom Hellen bis zum Dunklen, vom Liebgewonnen bis zum Traurigen - alles vermag dem dienen, dass wir zu uns selber finden.

Aber wie sollen wir es verarbeiten und aus all dem, was uns zustößt, das Rechte lernen? Wie können wir uns wahrhaft einüben in das, was uns in unserem Leben aufgetragen ist? In solchen Fragen drückt sich die Sehnsucht aus, dass wir uns selbst treu bleiben wollen, gleich um welchen Preis. Es wird uns gelingen, wenn wir uns dem Lebensstil des Herrn angleichen: Jesus ging es nicht um das Wohlhaben, sondern um das Wohl-Sein.

Von Vincenzo Paglia | Die Wahl des Matthias

Aus: V. Paglia (Gemeinschaft Sant' Egidio), Das Wort Gottes jeden Tag. 2010/2011. Würzburg (Echter) 2010, 145f.

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Mittwoch 24.02.21

Heute gedenken wir des Apostels Matthias. Er wurde gewählt, um die Zahl zwölf wiederherzustellen, die den zwölf Stämmen Israels, der Gesamtheit des aus-erwählten Volkes, entsprach. In dieser Zahl lag die Sehnsucht nach Vollständig-keit und nach der Universalität des Heils, die weder geschmälert noch aufgehoben werden durfte. Das gilt auch heute noch. Für Jesus haben alle Menschen ein Recht auf die Verkündigung des Heils. (…)

In Matthias können wir die Namen der Jünger und Jüngerinnen aller Zeiten sehen. Von all denen, denen die Sorge um eine Gemeinde oder Gemeinschaft anvertraut ist, wird verlangt, dass sie selbst als Erste das Evangelium leben. Die Wahl des zwölften Apostels sagt einem jeden von uns, dass wir das Evangelium im Herzen aufnehmen sollen, um so als treue Zeuginnen und Zeugen Jesu unter den Menschen zu leben.

Von P. Michael Schneider SJ | Der Alltag als (geistliche Ein-) Übung

Aus: M. Schneider, Der Alltag als (geistliche Ein-) Übung. (Radio Horeb, 23. August 2018)

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Dienstag 23.02.21

Es gibt Christen, die tun viel Frommes, ohne aber fromm zu sein. In einem solchen Fall wird das geistliche Leben zu einem äußeren Betrieb. Diese Fest-stellung gilt auch in einem anderen Sinn, denn wir alle haben unsere festen Gebetszeiten, in denen wir uns in ein geistliches Leben einüben, aber vergessen darüber den Alltag als geistliche (Ein-) Übung.

Der wahre »Gottesdienst« bedarf keiner großen »Aktionen«, sondern des glaub-würdigen, auf Gott hin transparenten Glaubensvollzugs im Lebensalltag: Schon das »Glas Wasser«, in Liebe und innerer Hingabe gereicht, kann uns zum Heil gereichen. Vielleicht war es ein Schwachpunkt der überkommenen Spiritualität, dass sie zu sehr die heroischen Handlungen bedachte, ohne die authentischen, aus dem Glauben gestalteten Grundhaltungen im Kleinen zu fördern. Wer treu ist im Kleinen, und zwar in den ganz alltäglichen Dingen unseres Lebens, wird in das Himmelreich eintreten.

Es bedarf einer Spiritualität der kleinen Schritte und Vollzüge, die von allen Christen zu erfüllen sind. Ein kontemplativer Lebensstil ist ein ganzheitlicher Vollzug, der alle Lebensbereiche des Glaubens umfasst. Im Alltag des Glaubens zeichnet ihn eine unbeirrbare Menschenfreundlichkeit und ein differenziertes und feinfühliges Sensorium für das menschliche Maß aus.

Von Henri Nouwen | Tanz von unserem Verlust hin zu einer größeren Welt

Aus: Henri Nouwen, Du schenkst mir Flügel – Gedanken der Hoffnung, Benno Verlag, 2002

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Samstag 20.02.21

So lange wir verbittert bleiben und Groll hegen wegen Dingen, von denen wir uns wünschten, sie wären nicht passiert, wegen Beziehungen, von denen wir wünschten, sie wären anders ausgegangen, und wegen Fehlern, von denen wir wünschten, wir hätten sie nicht gemacht – so lange liegt ein Teil unseres Inneren brach, unfähig, Frucht zu bringen in dem neuen Leben, das vor uns liegt. Wir enthalten dadurch Gott einen Teil von uns vor.

Wir können aber stattdessen jetzt lernen, die Erfahrungen aus der Vergangenheit, an die wir uns erinnern, als Chance für eine bestände innere Umkehr nutzen. Wir lassen zu, dass das, woran wir uns noch erinnern, wiederum uns erinnert, wem wir eigentlich gehören – nämlich nicht uns selbst, sondern Gott. Wenn wir wirklich und wahrhaftig für ein neues Leben im Dienst Gottes bereit sind, wenn wir wirklich die Freiheit haben, uns senden zu lassen, wohin auch immer Gott uns führt, dann muss unsere gesamte Vergangenheit zu einer Kraftquelle werden, die uns weitergehen lässt.

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Freitag 19.02.21

Aber ist es nicht auch möglich, in unserem Leben alles dankbar anzunehmen, und nicht nur das Gute, an das wir uns gern erinnern möchten?

Wenn Klagen und Tanzen beide Teil derselben Maßnahmen der Gnade sind, dann können wir nur dankbar sein für jeden Augenblick unseres Lebens. Wir können unseren einzigartigen Weg als Weg Gottes sehen, dessen Ziel es ist, uns innerlich Christus ähnlicher zu machen.

Das Kreuz, das wichtigste Symbol unseres Glaubens, lädt und dazu ein, Gnade zu sehen, wo Schmerz ist: Auferstehung zu sehen, wo Tod ist. Der Aufruf, dankbar zu sein, ist ein Aufruf, darauf zu vertrauen, dass jeder Augenblick ein Schritt auf das Kreuz zu ist, das neues Leben bringt.

Als Jesus vor seinem Tod zu seinen Jüngern sprach und ihnen seinen Leib und sein Blut als Gaben des Lebens anbot, da teilte er mit ihnen alles, was er gelebt hatte – seine Freuden ebenso wie seinen Schmerz, sein Leiden ebenso wie seine Herrlichkeit -, und machte sie dadurch fähig, sich in tiefer Dankbarkeit an ihren Auftrag zu begeben. Tag für Tag finden wir neue Gründe zu glauben, dass nichts uns von der Liebe Gottes trennen kann, die in Christus ist.

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Donnerstag 18.02.21

Wir neigen jedoch dazu, unsere Vergangenheit zu unterteilen, und zwar in die guten Dinge, an die wir uns dankbar erinnern, auf der einen, und die schmerzlichen, die wir eben akzeptieren oder vergessen müssen, auf der anderen Seite. Diese Unterteilung, die auf den ersten Blick ganz natürlich scheint, hindert uns jedoch daran, unsere Vergangenheit insgesamt als Quelle für unsere Zukunft zu nutzen. Ein solches Denken versperrt uns in einen völlig von uns selbst ein-genommenen Blickwinkel darauf, was für uns bei allem herausspringt. Diese Haltung wird dann zu einem weiteren Versuch der Schmerzvermeidung. Wenn wir die besagte Unterteilung erst einmal innerlich akzeptieren, dann entwickeln wir eine Mentalität, die uns hoffen lässt, mehr gute als schlechte Erinnerungen zu sammeln: mehr Dinge, über die wir froh sein können, als solche, die wir bereuen: mehr Dinge, die wir feiern, als solche, über die wir klagen.

Dankbarkeit bedeutet in der tiefe, das Leben als ein Geschenk zu sehen, das man dankbar annimmt. Und wahre Dankbarkeit schließt das gesamte Leben ein: Das Gute und das Schlimme, das Freudige und das Schmerzliche, das Heilige und das nicht so Heilige. Und wir umfangen das alles, weil uns das Leben Gottes bewusst wird, die Gegenwart Gottes inmitten all dessen, was geschieht.

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Samstag 13.02.21

Ein Großteil der Art, wie wir unser Leiden durchleben, hat mit […] unerwarteten Augenblicken zu tun. Mit Augenblicken, die als Geschenke kommen, mitten hinein in unser Warten oder Kämpfen. Oft haben solche Augenblicke mit Menschen zu tun, die Gott uns über den Weg schickt.

Wir versuchen also nicht, den Schritt von unserem kleinen Leben in die größere umfassendere Gnade Gottes durch mühelose Lösungen oder einsame Anstrengungen zu schaffen. Wenn unsere Bedürftigkeit uns dazu bringt, verzweifelt nach irgendetwas zu greifen, wenn die Atmosphäre um uns her von unseren offenen Wunden bestimmt ist, dann werden wir ängstlich und unruhig. Aber dann lassen wir auch zu, dass wir durch unser Verletztsein daran erinnert werden, wie dringend wir Heilung brauchen. Während wir weiter vorwärts gehen, ist die Gnade der Boden, auf dem wir unsere Schritte tun. Gebet bringt uns mit dem Herrn des Tanzes in Berührung. Wir blicken über unsere Erfahrungen von Traurigkeit oder Verlust hinaus, wenn wir lernen, eine allumfassende Liebe anzunehmen, eine Liebe, die uns in ganz alltäglichen Augenblicken begegnet.

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Freitag 12.02.21

Klagen macht uns arm: es erinnert uns mit aller Macht daran, wie klein wir sind. Aber genau an diesem Punkt, in diesem Schmerz oder der Armut oder der Unbeholfenheit, lädt uns der Herr des Tanzes ein, aufzustehen und erste Schritte zu tun. Denn in unserem Leiden, und nicht losgelöst davon, kommt Jesus mitten in unsere Traurigkeit hinein, nimmt uns bei der Hand, zieht uns sanft hoch und lädt uns zu Tanz ein. Wir finden den weg, so zu beten, wie es der Psalmist tat: „Da hast du meine Klage in einen Reigen verwandelt“ (Ps 30,11). Denn mitten in unserem Schmerz finden wir die Gnade Gottes.

Und während wir tanzen, wird uns klar, dass wir nicht auf der kleinen Fläche unseres Schmerzes stehen zu bleiben brauchen, sondern einen Schritt darüber hinaus tun können. Wir ziehen dabei andere mit und laden sie ein zu einem größeren Tanz. Wir lernen, Platz für andere zu schaffen – und für den Einen in unserer Mitte. Und wenn wir in die Gegenwart Gottes und der Menschen kommen, die zu ihm gehören, dann stellen wir fest, dass wir unser Leben als reicher empfinden. Wir erfahren, dass die ganze Welt eine Tanzfläche ist. Unser Schritt wird leichter, weil Gott auch andere zum Tanzen aufgefordert hat.

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Donnerstag 11.02.21

Christus [lädt] uns ein, mit den Verletzungen jeden Tages in Berührung zu bleiben, und den Beginn der Hoffnung und neuen Lebens hier und jetzt zu schmecken, inmitten unseres Lebens, inmitten von Schmerz und Zerbrochenheit. Wenn sie das Leben Jesu genau anschauen, entdecken die Menschen, die ihm nachfolgen, eine wichtige Sache: Als das Hosianna der Massen verklungen war, als die Jünger und Freunde ihn verlassen hatten und nachdem er geschrieen hatte „Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen?“ – genau das war der Augenblick, in dem der Menschensohn vom Tod aufstand. Das war der Augenblick, in dem er die Ketten des Todes sprengte und zum Erlöser wurde. Das ist der geduldige Weg, der langsam zum schwer errungenen Sieg führt.

Ich leugne mein Leid nicht mehr so ohne weiteres, wenn ich erlebe, wie Gott es nutzt, um mich zu formen und näher zu sich zu ziehen. Wahrscheinlich betrachte ich meine Schmerzen nicht mehr einfach als Störung und Behinderung meiner eigenen Pläne und werde fähiger, sie als Mittel Gottes zu begreifen, das mich dazu bereit macht, ihn anzunehmen. Ich lasse Jesus ganz nah an meinen Verletzungen und Ablenkungen leben.

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Mittwoch 10.02.21

Mühelos errungene Siege gefallen uns: Wachstum und Entwicklung ohne Krise. Heilung ohne Schmerzen, die Auferstehung ohne Kreuz. Kein Wunder, dass wir uns gern Paraden anschauen und heimkehrenden Helden, Wunderheilern und Rekordbrechern zujubeln. Da ist es nicht weiter verwunderlich, wenn unser Gemeinwesen so organisiert ist, dass es das Leiden auf Abstand hält: Menschen werden auf eine Weise bestattet, die den Tod mit Beschönigung und schmückendem Beiwerk verschleiert.

Institutionen verstecken die psychisch Kranken und die Straftäter in der hartnäckigen Leugnung, dass auch sie zur Menschheitsfamilie gehören. Selbst unsere Umgangsformen im Alltag verleiten dazu, Gefühle zu verbergen, lieber zwischen zusammengebissenen Zähnen Höflichkeitsfloskeln von uns zu geben und dadurch eine echte, heilsame Auseinandersetzung zu verhindern. Freundschaften bleiben oberflächlich und kurzlebig.

Jesus war da ganz anders. Jesus brachte zwar Trost und kam mit freundlichen Worten und heilender Berührung, aber er kam nicht um im Schnellverfahren all unseren Schmerz wegzunehmen.

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Dienstag 09.02.21

Einer der ersten Schritte in dem Tanz klingt ganz einfach, ist aber oft nicht leicht zu erlernen: Wir sind dazu aufgefordert, unsere Verluste zu betrauern. Es mag paradox klingen, aber Heilung und Tanz beginnen beide damit, dass man sich ganz direkt anschaut, was den Schmerz verursacht.

Wir stellen uns den schmerzlichen Verlusten, die uns lähmen und gefangen halten in Leugnung, Beschämung oder Schuld. Wir geben die Illusion auf, dass wir wie beim Himmel-und-Hölle-Spiel die Schwierigkeiten hüpfend hinter uns bringen können. Denn indem wir versuchen, Teile unserer Geschichte vor Gottes Augen und unserem eigenen Gewissen zu verbergen, werden wir zu Richtern über unsere eigene Vergangenheit. Wir begrenzen die Gnade Gottes auf das bisschen, was unsere menschlichen Ängste zulassen.

Unser angestrengtes Bemühen, uns von unserem eigenen Leiden abzukoppeln, führt dazu, dass wir uns auch von dem Leiden Gottes für uns abkoppeln. Der Weg heraus aus unseren Verlusten und Verletzungen ist der Weg hinein und hindurch.

Von Konrad Blaser | Leben in Fülle

Aus: https://konrad-blaser.com/

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Samstag 06.02.21

Jabez, ein Mann aus dem Alten Testament hatte sehr schlechte Startbedingungen. Unter Schmerzen wurde er geboren, so dass ihm seine Mutter diesen Namen gab. Jabez bedeutet nämlich „er macht Schmerzen“ oder „traurig, kummervoll.“ Wann immer die Mutter nach ihm rief, sagte sie quasi: „Mein Sohn, der mir Kummer macht, komm zum Essen. Sohn, der mir Schmerzen zubereitet, mach dies oder jenes.“ Jedes Mal hörte Jabez, wenn sein Name gerufen wurde, dass er ein hoffnungsloser Fall war.

Doch statt sich diesem Schicksal zu ergeben, stand Jabez auf und betete zu Gott. Er bat Gott nicht nur darum, dass er ihn bewahren und ihm doch noch ein gutes Leben schenken möge. Nein, er betete ein großes Gebet und bat Gott darum, dass er Unglück und Schmerz von ihm fernhalten solle, dass er ihn nicht nur segnen, sondern ihm auch noch sein Gebiet erweitern möge. Jabez wurde weit über seine Möglichkeiten und Umstände hinaus gesegnet. Warum? Weil er den Mut hatte, mehr von Gott zu erwarten und um Großes zu beten.

So ist es auch bei uns. Gott liebt es, wenn wir erwarten, dass er uns weit über unsere Möglichkeiten hinaus segnen kann.

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Freitag 05.02.21

Gott sagt zu Mose, dass er ihn und sein Volk jetzt in das Land, in dem Milch und Honig fließen, führen will. Doch bevor dies geschehen konnte, hatte Gott das Volk zuerst mal aus der Sklaverei aus Ägypten befreit. Ägypten stand für „Immer zu wenig“. Das Volk Gottes diente den Ägyptern als Sklaven und hatten von allem einfach immer zu wenig. Zu wenig Essen, zu wenig Kleider, zu wenig Freiheit, zu wenig Möglichkeiten, zu wenig Träume und zu wenig Ressourcen. Dann kam der Tag, an dem Gott sein Volk befreite und es aus Ägypten in die Wüste führte. Dort versorgte er sein Volk mit Manna und Wachteln, die vom Himmel fielen und sie hatten immer gerade genug. Nie zu viel. Einfach genug.

Die Wüste stand für „gerade genug“. Sie hatten alles, was sie benötigten, aber nie etwas zuviel. Nie ein Extra. Nie Überfluss. Dann kommt der Tag, an dem Gott zu Mose sagt: „Jetzt führe ich sie ins Land, in dem Milch und Honig fließt.“ Wir lesen, wie Gott sagt: „überfließt.“ Das Land, in das Gott sie führen wird, ist das Land des Überflusses. Und genau in dieses Land will Gott auch uns führen. Immer und immer wieder. Egal in welcher Situation wir stehen, das Ziel für uns ist immer Überfluss.

Es kann gut sein, dass du dich heute im Land des „immer zu wenig“ befindest.

Gib Gott eine neue Chance und bleib dran mit ihm, er wird dich weiterführen.

Es kann auch sein, dass du dich im Land des „gerade genug“ befindest. Bleib dran. Bleib dran mit Gott. Er ist dran und hat dich nicht vergessen. Er arbeitet im Hintergrund deines Lebens. Gott führt uns zum Land des Überflusses, wenn wir dranbleiben und die Hoffnung und den Glauben daran nicht aufgeben.

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Donnerstag 04.02.21

So viele Menschen sehnen sich nach Weisung, Hoffnung und Orientierung in ihrem Leben. Zudem ist es oftmals sehr schwierig, in all dem Stress, den Fragen und unseren To Do’s die nötige Ruhe zu finden. In uns allen ist die tiefe Sehnsucht, die uns hie und da überrascht, zu uns schreit und uns antreibt, Gott zu finden.

Gott will uns segnen. Gott hat so viel Schönes für jeden Einzelnen von uns bereit. Immer und immer wieder, jeden Tag von Neuem. Gottes Segen wartet auf dich und mich. Es ist großartig, wie Paulus uns ermutigt, uns für die volle Fülle zu öffnen: „Gepriesen sei Gott. Er hat uns mit allem Segen seines Geistes gesegnet durch unsere Gemeinschaft mit Christus im Himmel.“ Mehr noch, er sagt, wir alle haben durch unseren Glauben an Jesus Anteil am göttlichen Segen. Anders gesagt, es ist unser Recht, dass wir gesegnet sind.

Tausendfacher Segen wird erlebbar und sichtbar, wenn Menschen mit demselben Traum, derselben Idee, derselben Sehnsucht, derselben Vision zusammenkommen. Tausendfacher Segen wird für jeden Einzelnen zum Wunder, wenn wir unsere kleinen Träume behalten, aber zugleich offen werden für große Träume mit anderen Menschen zusammen.

Mit wem zusammen träumst du dieselben Träume?

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Mittwoch 03.02.21

Gott will uns mit der ganzen Fülle des Lebens begegnen.

Verschwenderisch, überfließend, mehr als genug will Gott uns jeden Tag beschenken.

In Psalm 23 stellt der Beter fest „Du Gott bereitest vor mir einen Tisch angesichts meiner Feinde; du hast mein Haupt mit Öl gesalbt, mein Becher fließt über.“

Gott will uns nicht nur genug geben, sondern überfließend, zuviel.

Seine Liebe, neue Hoffnung, neue Ideen und Möglichkeiten warten auf uns. Mehr als genug. Diese Wesensart spiegelt sich auch in einem alten Brauch der Juden wider. Wann immer sie das Passahmal feiern und den Wein dazu einschenken, wird er in altjüdischer Tradition überfließend eingeschenkt. Der Wein fließt über den Becher hinaus in den Unterteller. Damit sagen die Juden jedes Mal:

„Wir haben einen Gott, der uns mehr als genug geben will. Einen Gott, der uns überfließend segnen und begegnen will. Einen Gott des Segens und Überflusses.“

Es gibt Menschen, die zwar an Gott glauben, aber nur an einen Gott mit Grenzen. Seine Liebe hat Grenzen, sein Segen ist begrenzt und seine Gunst sowieso. „Es geht ja“, oder „Es reicht schon, wir kommen irgendwie durchs Leben!“ sind dann typische Sätze. Doch dieses Bild entspricht nicht dem Gott der Bibel. In der Bibel sehen wir immer wieder, dass wir einen Gott kennen, der uns mehr als genug geben will.

Sein Segen will uns beleben, seine Ideen und Inspirationen sind grenzenlos und er hat immer wieder neuen Segen und Liebe für dich und mich bereit. Darum: Glaube größer und erlebe wie dir die Fülle Gottes jeden Tag von Neuem begegnet. Überfließend, mehr als genug!

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Dienstag 02.02.21

Als Jesus zum allerersten Mal in den Tempel kam, in das Haus seines Vaters, zog er die Aufmerksamkeit zweier Personen auf sich, die in der Begegnung mit ihm Sinn und Ziel ihres Lebens sahen. Es waren Simeon und Hanna, ein Mann und eine Frau, die seit langem schon ihr ganzes Leben Gott geweiht hatten, die Gott im Tempel „Tag und Nacht mit Fasten und Beten dienten“.

Im Haus des Vaters werden Simeon und Hanna zu sichtbaren Zeugen der unsichtbaren Begegnung des Heiligen Geistes mit dem Sohn, der hier hergebracht wurde, um seinem Vater zu begegnen. Sie werden sozusagen hineingeführt in das Innere der göttlichen Freude, das heißt in die Freude des Einsseins in der Liebe, in die Freude des dreieinigen Gottes, der sich für die Welt öffnet und sich ihr mitteilt.

Wenn diese Freude der dreifaltigen Gemeinschaft sich den Menschen mitteilt, wird sie im Menschen zum Dank, wird sie „Eucharistie“. Ohne sich dessen bewusst zu sein, nimmt Simeon unter der Führung des Heiligen Geistes die eucharistische Handlung der Verwandlung von Brot und Wein vorweg. In dem Moment, wo er Christus begegnete, „nahm er das Kind in seine Arme und pries Gott“, das heißt, er sagte Dank, und er tat das mit dem gleichen Beweggrund, mit dem jede Eucharistie gefeiert wird, zum Segen der ganzen Menschheit in Christus: „Meine Augen haben das Heil gesehen, das du vor allen Völkern bereitet hast, ein Licht, das die Heiden erleuchtet, und Herrlichkeit für dein Volk Israel.“

Das Fest der Darstellung des Herrn ist somit für uns eine große Herausforderung. Was machen wir heute mit der wirklichen Gegenwart dessen, den die Propheten erwartet und geliebt haben, so dass sie ihm ihr ganzes Leben geweiht und hingegeben haben, Ihm, der erst noch kommen sollte? Was machen wir heute, wo Er unter uns ist, immer, Tag für Tag? Ist Er für uns auch das Licht, das unser Leben erhellt und mit einer Freude erfüllt, die überfließt?

Von Frère Alois, Taizé | Geschwisterlich leben

Aus: https://www.taize.fr

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Samstag 23.01.21

Von diesem Horizont, der sich durch die Auferstehung Christi öffnet, fällt ein Licht in unser Leben. Dieses Licht vertreibt stets aufs Neue den Schatten der Angst, es lässt eine Quelle hervorspringen, und die Freude des Lobpreises kann aufbrechen. So erahnen wir, dass Christus bis ans Ende der Zeiten die ganze Menschheit und das Universum wie durch eine geheimnisvolle Kraft in der Liebe Gottes zusammenführt. Und an diesem Auftrag beteiligt er uns.

Er beteiligt uns an diesem Auftrag gemeinsam mit anderen, als Kirche. Um ein Ort zu sein, der für andere offen ist, ist es nötig, den Schwächsten zuzuhören. Vielerorts müssen die Kirchen noch mehr tun, um den Schutz aller zu gewährleisten. Zum Teil sind in ihrer Mitte Machtstrukturen entstanden, die körperliches, geistiges und seelisches Leid verursacht haben. Christus kann uns helfen, unseren Blick neu auszurichten: Durch ihn wird uns bewusst, welche Würde jeder Mensch hat und welche Schönheit in der Schöpfung liegt. Die Hoffnung ist kein naives Vertrauen; sie ist auf Christus gegründet und bricht immer wieder neu hervor. Eine heitere Freude erfüllt uns, und wir finden Mut, die Verantwortung anzunehmen, die Gott uns auf Erden überträgt.

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Freitag 22.01.21

„Ich werde euch einen Anderen senden, der euch hilft und immer bei euch ist; er wird in euch sein.“ Diese Ankündigung gilt auch uns. Dieser Andere ist mit uns, es ist der Heilige Geist, den Christus auch „die Kraft von oben“ nennt. Aber sind wir uns dieser außergewöhnlichen Botschaft auch genügend bewusst: Seit der Auferstehung Jesu wohnt Gott in jedem Menschen. Er ist auf unendlich diskrete Weise in uns gegenwärtig. Dass wir diese Gegenwart nicht immer spüren, liegt nicht an unserem geringen Glauben, sondern daran, dass Gott sich nicht aufdrängt. Er tut unserem Gewissen niemals Gewalt an, er achtet unsere Würde und unsere Freiheit.

Der Glauben ist dieses ganz einfache Vertrauen auf seine Gegenwart in uns: zu glauben, dass der Atem des Heiligen Geistes tief in uns das göttliche Ja sagt zu unserem Leben. Und seine Gegenwart in uns wartet darauf, dass auch wir ein klares Ja sagen. Im Bericht von Pfingsten ist davon die Rede, dass Gott seinen Geist über alle Menschen aussendet. Diese grenzenlose Liebe Gottes zu allen Menschen und zur gesamten Schöpfung begeistert.

Alles, was Menschen trennt und Konflikte hervorruft, schmerzt uns. Aber was können wir gegen die Spaltungen auf der Welt tun? Es gibt so viele Strukturen des Unrechts, die geändert werden müssen! Unser persönliches Engagement soll sich nicht darin erschöpfen, die Übel nur anzuprangern. Jeder von uns kann den Missständen begegnen, indem er keine Angst davor hat, die Wunden der anderen zu berühren. Gehen wir vielmehr auf sie zu!

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Donnerstag 21.01.21

Jesus hatte am Vorabend seines Leidens kurz vor seiner Festnahme gesagt: „Euer Herz lasse sich nicht verwirren.“ Und auch: „Frieden hinterlasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch.“

Im Gebet möchten wir uns seinem Frieden öffnen. Aber wie können wir das tun? Durch ein ganz einfaches Vertrauen auf seine Gegenwart, das wir im Laufe unseres Lebens immer wieder neu fassen können. Er ist da und nichts kann uns von der Liebe Gottes trennen.

Wenn wir diesen Frieden annehmen, hören wir, wie Christus uns aufruft, uns zu öffnen und ohne Angst auf die zuzugehen, die anders sind als wir und ganz in unserer Nähe leben: auf kranke Menschen, auf Menschen mit Behinderungen, Obdachlose und Fremde.

Christus möchte, dass wir Freundschaft bringen, wo Misstrauen die Geschwisterlichkeit zu ersticken scheint. Wir sind dazu berufen, über alle Grenzen hinweg Gemeinschaft stiften. Letztlich sind es nicht spektakuläre Aktionen, die die Welt verändern, sondern unser glaubwürdiges Handeln.

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Mittwoch 20.01.21

Ja, trotz der gegenwärtigen Schwierigkeiten lassen sich Gründe finden zu hoffen – manchmal gegen alle Hoffnung. Machen wir uns gemeinsam mit denen auf die Suche, die ihr Leben anders führen als wir – mit Christen anderer Konfessionen, Glaubenden anderer Religionen, Agnostikern und Menschen, die nicht an Gott glauben und sich ebenfalls für ein geschwisterliches Zusammenleben und ein Miteinanderteilen einsetzen.

Neue Freude bricht auf, wenn wir geschwisterlich leben und auf Menschen zugehen, die besonders bedürftig sind: Obdachlose, Alte, Kranke oder Vereinsamte, Kinder in Schwierigkeiten, Menschen, die mit einer Behinderung leben, Migranten ... Jeder von uns kann in Situationen geraten, die einen verletzbar machen. Die Pandemie offenbart, wie zerbrechlich das Leben der Menschheit ist.

Wir sind mehr denn je aufeinander angewiesen. In seiner Enzyklika Fratelli tutti erinnert Papst Franziskus eindringlich daran, dass „sich keiner allein retten kann.“ (32) Und er fügt hinzu, dass wir unsere wahre Identität nicht finden, ohne eine „Offenheit für das Universale, ohne uns von dem, was anderswo geschieht, hinterfragen zu lassen, ohne uns von anderen Kulturen bereichern zu lassen oder uns mit den Nöten anderer Völker zu solidarisieren.“ (146)

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Dienstag 19.01.21

Die Auferstehung Christi zeigt uns, dass Gott Vater ist, und dass er Jesus im Tod nicht alleingelassen hat. Maria von Magdala hat als Erste geglaubt, dass Jesus, der tot war, auf nunmehr unsichtbare Weise wieder lebt. Der Auferstandene sagte zu ihr: „Ich gehe hinauf zu meinem Vater und zu eurem Vater, zu meinem Gott und zu eurem Gott.“

Ich glaube, mit diesen Worten möchte uns der auferstandene Jesus in das Geheimnis Gottes, der Liebe ist, einführen. Er schenkt uns Gott sozusagen als einen Vater. Wenn Gott für alle Menschen ein Vater ist, dann sind auch wir alle Brüder und Schwestern.

Unsere Trennungen verdecken die Liebe Gottes – unsere Einheit dagegen kann diese Liebe sichtbar machen. Christus hat uns dies vor seinem Tod deutlich gesagt: Wenn ihr einander liebt, so wie ich euch geliebt habe, werden alle erkennen, dass Gott die Liebe ist.

Wenn wir dem auferstandenen Christus treu bleiben wollen, müssen wir die Trennungen und die gegenseitigen Verurteilungen zurückweisen. Und dies beginnt bereits unter Christen. Die Welt ist immer stärker gespalten. Aber wir können Einheit säen und wachsen lassen. Der auferstandene Christus ist uns nahe und hilft uns dabei.

Von Corona Bamberg | Angst und Hoffnung

Aus: C. Bamberg, GuL 72/1 (1999) n. 386, 4-15

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Samstag 16.01.21

Braucht Hoffnung nicht noch mehr als den Horizont des Nur-Menschlichen?

Ich kenne nur eine wirkliche Befreiung von der Todesangst und damit von Angst überhaupt: Den Glauben an Jesus Christus, der den Tod durchlitten und in seiner Auferstehung bezwungen hat.

Das ist ein Bekenntnis, aber die christlich-österliche Auferstehung reicht für mich absolut tiefer als der Weg ins Nirwana oder in eine Reinkarnation. Das Sterbenmüssen ist für diesen österlichen Glauben nicht abgeschafft und also auch nicht das Sich-Ängstigen vor diesem Letzten, Dunkelsten, über das wir jetzt noch nichts wissen können.

Aber die Angst endet in dieser Perspektive nicht mehr notwendig in der Verzweiflung oder in einer tödlichen Lethargie. Für den Christen, der an den österlichen Christus glaubt, gibt es keinen endgültigen Liebesverlust mehr. Die Liebenden bleiben nicht für immer getrennt. Die Brücke ist geschlagen. Ob wir über die Brücke gehen, das ist eine zweite Frage. Trauen wir aber der Brücke und ihrer Tragfähigkeit - und das heißt: Entscheiden wir uns zum Glauben -, dann erfahren wir Befreiung im Tiefsten. Und hier, wohl nur hier, gibt es Umwandlung der Angst in die Hoffnung. Keine selbstgeleistete, sondern eine geschenkte.

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Freitag 15.01.21

Angst hat keine Geduld. Angst ist kurzatmig oder sogar atemlos, weil gehetzt. Hoffnung dagegen hat einen langen Atem. Freilich braucht sie ein Ziel, auf das hin sie eingeübt werden soll, ein Ziel, das dem Hoffenden viel oder sogar alles wert ist: ein geliebter Mensch, eine Heimat, Überleben, Rettung, eine Aufgabe, die Sinn gibt. Dann aber ist keine Mühe umsonst. Schon die Einübung heißt ja dann leben, heißt unter Beweis stellen, dass Aufgeben des Menschen nicht würdig ist.

Wer Hindernisse, wer elementare Prüfungen des Lebens hoffend durchsteht, der wird in seinem Menschsein wachsen, der wird über seine alltäglichen Möglichkeiten hinauswachsen (…).

Angst verzerrt das menschliche Wesen, wie sie Gesichter entstellen kann. Sie treibt den Menschen in den Tod, wie immer das konkret aussehen mag. Hoffnung dagegen drängt den Menschen zum Leben, zum immer volleren Leben. Sie zieht ihn mit sich fort, so dass er viel mehr kann, als er ahnt.

Sehr schön sagt Charles Peguy in seinem Loblied auf das kleine Mädchen Hoffnung, sie sei es, nicht ihre beiden großen Schwestern Glaube und Liebe, die immer weiter vorwärtsdrängen, die „Kleine, die alles mit fortzieht. Denn Glaube sieht nur, was ist. Sie aber sieht, was sein wird. Liebe liebt nur, was ist. Sie aber liebt, was sein wird. (…) Hoffnung sieht, was sein wird. In der Zeit und für alle Ewigkeit.“

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Donnerstag 14.01.21

Wie also gehen wir um mit Angst und Hoffnung? Wie ohne Verdrängung oder Selbsttäuschung oder auch ohne religiösen Kurzschluss, der sich bisweilen zu leicht als Ausweg anbietet?

Auch uns fällt das Lebensnotwendige - materiell, geistig, seelisch, menschlich - nicht in den Schoß. Und auch uns springt oft genug die Versuchung an, aufzugeben. Es ist die Versuchung der Angst, die auf dem Sprung ist, alle Keime der Hoffnung abzuwürgen. Sie suggeriert uns: Lass es sein, gib auf. Sie lähmt uns.

Hoffnung dagegen hilft, weiterzumachen. Sie will nicht nur gefühlt oder bloß gedacht, sondern getan und also eingeübt werden. Sie hilft, weiterzugehen, Schritt um Schritt.

Eine wissenschaftlich wohl nicht zu haltende, aber tiefsinnige Etymologie bringt das lateinische Wort für Hoffnung „spes“ zusammen mit „pes“, Fuß. Wir müssen nur den „Fuß“ der Hoffnung gebrauchen lernen und dort, wo wir hingestellt sind und gefordert werden, die Praxis der Hoffnung einüben.

Nur darf man nicht fragen, wie lange die Übung dauern soll. Hoffnung fragt nicht. Hoffnung ist voller Dynamik und Zukunft, sie ist sogar voller dynamischer Treue, und sie hat Geduld!

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Mittwoch 13.01.21

Was ist Hoffnung? Ein bloßes Gefühl? Eine Theorie? Eine Rechnung? Etwas von dem allen ist sie schon. Aber sie selbst ist mehr. Vielleicht kann man sagen:

Hoffnung ist die Kraft zur Selbsterhaltung, die als innerster Funke im Leben brennt. Hoffnung gibt auch in der äußersten Ohnmacht noch eine rätselhafte Gewissheit, dass wir es schaffen werden. Hoffnung ist der Antrieb, auch im Angesicht des Todes weiterzumachen.

Sie ist Feuer, „das brennen will, auch wenn man es auslöscht. Sie ist der Drang, im Sinnlosen Sinn zu finden und in der Verwirrung der Lügen die Wahrheit zu entdecken. Hoffnung ist der Samen des Lichtes, der in der tiefsten Finsternis verborgen liegt. Manchmal entdecken wir sie direkt neben uns, oft im Verborgenen.“

Wer Zukunft hat, kann hoffen. Wer hofft, hat Zukunft. Trotz seiner Angst, inmitten seiner Angst sagt er „... trotzdem Ja zum Leben“ (Viktor E. Frankl).

Die gestaltete Gegenwart ist ... die Hoffnung für die Zukunft.

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Dienstag 12.01.21

Hoffnung lebt im Menschen, solange er atmet. Sie kann zusammengehen mit einer ebenso elementaren Angst. Angst und Hoffnung können - ohne Selbsttäuschung - zu einer fruchtbaren Polarität werden; Angst kann sogar umgewandelt werden in Hoffnung.

Aber was ist Angst? Was ist Hoffnung?

Angst, könnte man sagen, ist „die Reaktion auf die Gefährdung unseres Lebens.“ Anlässe gibt es mehr als genug: Angst vor dem Alleingelassensein und Altwerden; Angst im Blick auf die Kinder und ihre Zukunft; Verlustängste im Materiellen und vielleicht noch mehr im Geistig-Seelischen, im Menschlichen; Angst vor Arbeitslosigkeit und Mittellosigkeit; Angst vor um sich greifender Gewalt; Angst aber auch und nicht zuletzt vor Gott, wie immer man ihn sich vorstellen mag. Angst hat viele Gesichter. (…)

Jede Angst konfrontiert uns aber zugleich mit der Frage, wie wir uns gegenüber diesem unausweichlichen und unabwendbaren Element des Lebens einstellen. Es gibt eine Antwort, die weiterhelfen kann; es steht in unserer Freiheit, sie zu geben: Sie heißt Hoffnung.

Von Kardinal Lehmann | Die Menschlichkeit Gottes

Aus: Kardinal Karl Lehmann, Mensch, Gott! Geistliche Impulse für die Advents- und Weihnachtszeit. Leipzig (St. Benno-Verlag) 2004

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Samstag 09.01.21

Weihnachten ist nur dem ersten Anschein nach eine Beruhigung. Es scheucht den Menschen auf von seiner Sattheit. Es bringt die Dynamik der menschennahen Liebe Gottes in Bewegung, entlarvt alle Unmenschlichkeit, protestiert gegen alle Verletzung der Menschenwürde und darf niemanden hoffnungslos und verloren am Rand der Straße liegen lassen. Weihnachten ist darum das Fest der suchenden Liebe Gottes, die keinen preisgibt und aufgibt. Vielleicht kann uns nur Gott im Kind eine solche Zumutung unbefangen und tollkühn zugleich nahe bringen.

Dies ist der Geist des christlichen Glaubens, wie er an Weihnachten besonders anschaulich und ernst wird. Es ist aber nicht nur der ewig gleiche Geist des Christentums, sondern er spricht immer auch sehr konkret in eine bestimmte Zeit hinein.

Weihnachten könnte so ein Startzeichen werden zum Beginn eines neuen Denkens, das bereit ist zu einem neuen Geist unaufkündbarer Solidarität und geschwisterlichen Teilens.

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Freitag 08.01.21

Wenn Gott kommt, dann stehen auch unsere Maßstäbe zur Debatte. Das kann sich auf verschiedene Weise zeigen, aber er macht uns jedenfalls die Augen auf.

Er zeigt uns, wie wir die Welt betrachten sollen, und dass in dem Licht seiner Geburt, seines Kommens, manches anders werden kann, als wir es bisweilen tun.

„Er kam in sein Eigentum, aber die Seinen nahmen ihn nicht auf“, heißt es im Johannesprolog. Aber es gab, Gott sei Dank, immer wieder Menschen, die ihn aufgenommen haben. Und sehr oft waren es diejenigen, von denen wir es nicht vermutet hätten. Die Hirten, die zufällig auf ihren Feldern waren des Nachts bei ihren Schafen. Die anderen haben geschlafen, sie haben es nicht bemerkt. Es waren die Weisen, die Heiden aus dem Osten, die Wahrheitssucher, die ihn schließlich aufstöberten.

Das ist eine Mahnung an uns, dass wir sehen, zu denen zu gehören, die wachen und die ihn finden, die sich darüber freuen und die ihn anbeten.

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Donerstag 07.01.21

Das Kind kommt in diese unversöhnte Welt. Gerade darum bringt es uns das Heil, es befreit uns und versöhnt uns - zuerst mit Gott und auch untereinander.

Wir können aber nur dann von Versöhnung sprechen, wenn wir wirklich den Weg Jesu gehen, wenn wir auch in die Tiefe des Geistes Jesu hinabsteigen und uns von ihm an die Hand nehmen lassen.

Wir werden von der Krippe her, von Jesus her aufgerufen, dass wir dieses Wort von der Versöhnung ernst nehmen; dass wir wissen, was es uns abverlangt, und dass wir wissen: Wenn wir uns darauf einlassen, sind wir auf dem Weg, der uns wirklich Freude bringt; eine Freude, die man zunächst vielleicht gar nicht ohne weiteres wahrnimmt, die im kleinen Kreis lebt.

Aber uns ist ein froher Friede geschenkt in Jesus, der uns wirklich zueinander zu kommen lässt, wo wir uns selbst überwinden können, wo wir selbst eine neue Gemeinschaft finden, wohl wissend, dass es dann den Weg der Nachfolge braucht, jeden Tag, auch in diesem neuen Jahr, in Freude und Geduld.

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Mittwoch 06.01.21

Die Heiligen Drei Könige sind in besonderer Weise ein Sinnbild des menschlichen Pilgerns. Sie sind zeitlebens auf der Suche nach Wahrheit und Erfüllung ihres Lebens. Deswegen brechen sie auf, suchen, fürchten keine Gefahren: weder die weglose Wüste noch den despotischen Herodes. Sie zeigen uns allen, was „Leben“ heißt: auf einen Stern der Hoffnung zugehen, der uns nicht enttäuscht.

Und auch darin sind sie Vorbild, wie sie die Erfüllung finden: Sie finden das Gesuchte auch in der Unscheinbarkeit eines Kindes im Stall. Sie fallen nicht einfach auf den Glanz der Paläste herein. Sie wissen, wem allein Anbetung gehört und scheuen sich nicht, dem Kind als dem gesuchten König der Welt zu huldigen. Dafür öffnen sie alle ihre Schätze, die sie mitbringen. Als veränderte Menschen kehren die Könige auf anderen, neuen Wegen in ihre Heimat zurück.

Wenn wir auf den Straßen unseres Lebens wandern, kommen wir immer wieder aus Dunkelheit und Irrtum, Verfehlungen und Sünde. Unser Pilgerweg hat darum auch wie die Reise der Drei Könige ein Ziel. Es geht um das Finden des wahren Herrn der Welt und gewiss auch um ein Ziel in dieser Welt: Dieses liegt im Ausgleich und in der Versöhnung unter den Völkern. Es geht wirklich um die Erneuerung der Menschheit.

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Dienstag 05.01.21

Man sagt, Weihnachten ist das Fest der Versöhnung. Das Wort von der Versöhnung ist aber nur möglich, wenn wir auf das Kind in der Krippe schauen. Gott kommt in eine unversöhnte Welt. Nur darum kann er uns wirklich erlösen, weil er wirklich zu uns kommt, weil er all das annimmt, was Menschen bedrängt.

Gott kommt in eine unversöhnte Welt, und gerade darum ist es wichtig, dass wir sehen, was die Versöhnung von uns verlangt. Sie verlangt zunächst einmal, dass wir aufeinander zugehen. Wir wissen, wie schwer das manchmal ist, wie lange wir uns davor drücken.

Die Theologie spricht von der zuvorkommenden Gnade. Alles Aufeinander-Zugehen ist Zuvorkommen: Wir riskieren etwas, wir werfen etwas in die Waagschale der Versöhnung. Wir vertrauen und überwinden damit uns selbst. Wenn wir bereit sind, uns wirklich in vielem preiszugeben, dann werden wir erfahren, dass wir sehr viel reicher geworden sind, als wenn wir nur bei uns und bei dem unsrigen geblieben wären.

Von Klaus Hemmerle | Und das Wort ist Kind geworden

Aus: Klaus Hemmerle, Und das Wort ist Kind geworden – Gedanken zur Weihnacht, Verlag Neue Stadt, 1992

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Dienstag 30.12.20

Wie ich den Kindern von St. Martin erzähle, der seinen Mantel teilt und die Hälfte einem nackten Bettler gibt, unterbricht mich ein Zuruf: „Der Bettler, das war Gott!“ Eine zweite Stimme: „Das hat Martin gut gemacht.“ Ich frage: „Wieso?“ und erhalte die Antwort: „Sonst wäre Gott erfroren.“ Teilen, damit Gott nicht unter uns erfriert.

Will nicht diese Martinsgeschichte unsere Weihnachtsgeschichte werden? Dann wird der Block unserer fertigen Urteile, der Block unserer behäbigen Ansprüche, der Block unseres von sich selbst ummauerten Ich, der Block unseres sich selbst genügenden Wir aufgesprengt, geteilt. Und nur so wird die Mitte frei, damit das Kind Platz hat unter uns.

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Dienstag 29.12.20

Mensch werden heißt Kind werden. Seit Adam und Eva gibt es keine Ausnahme davon. Der Weg zum Menschsein führt über das Kind. Es ist Gottes eigener Weg. Gottes Sohn ist Mensch geworden, indem er Kind wurde.

Wir gehören zu ihm, wenn wir seine Freunde aufnehmen, die Kinder, und wenn wir wie Kinder ihn selbst aufnehmen.

Nur wer Kind wird, geht ein in Gottes Reich. Einfach werden, lauter sein, mitleiden können, sich freuen können. Sich beschenken lassen und weiterschenken.

Das Kind – Heilkraft gegen Resignation und Berechnung, gegen Egoismus und Sinnleere. Das Kind, das uns um sein Leben und um seinen Lebensraum bittet. Das Kind in der Krippe, das uns einlädt, mit ihm Mensch zu sein und von ihm göttliches Leben zu empfangen.

Von Henri Nouwen | Auf Weihnachten zu

Aus: Weihnachten mit Henri Nouwen - Texte für alle Tage der Advents- und Weihnachtzeit, Herder 2001

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Mittwoch 23.12.20

Herr, wie schwer ist es, dein Vorgehen zu akzeptieren. Du kommst zu mir als kleines, ohnmächtiges, in der Fremde geborenes Kind. Du führst für mich in deinem eigenen Land das Leben eines Fremden. Du stirbst für mich als Verbrecher außerhalb der Stadtmauern, verstoßen von deinem eigenen Volk, verkannt von deinen Freunden und von deinem Gott verlassen.

Bei meinen Vorbereitungen für das Fest deiner Geburt möchte ich mich geliebt, angenommen und in dieser Welt zu Hause wissen, und ich versuche, das Gefühl der Entfremdung und der Vereinzelung, das mich dauernd befällt zu überwinden. Aber jetzt frage ich mich, ob mich das tiefe Gefühl der Heimatlosigkeit dir nicht näher bringt als mein gelegentliches Gefühl von Geborgenheit. Wo kann ich deine Geburt richtig feiern: in einem trauten Heim oder in einem fremden Haus, unter lieben Freunden oder unter wildfremden Menschen, mit dem Gefühl der Behaglichkeit oder mit dem der Einsamkeit?

Ich brauche vor diesen Empfindungen, die den deinen am nächsten kommen, nicht wegzulaufen. Jedes Mal wenn mir so zu Mute ist, habe ich Anlass, dankbar zu sein, dich fester zu umfangen, deine Freude und deinen Frieden tiefer zu kosten.

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Dienstag 22.12.20

Jesus ist gekommen, um mir das Ohr für die Stimme zu öffnen, die sagt: „Ich bin dein Gott, ich habe dich mit eigener Hand geschaffen und liebe die Werke meiner Hände. Ich liebe dich mit einer grenzenlosen Liebe; denn ich liebe dich wie mich selbst. Lauf nicht vor mir weg. Komm zurück zu mir – nicht nur einmal oder zweimal, sondern immer wieder. Du bist mein Kind. Wie kannst du zweifeln, dass ich dich wieder in die Arme schließen, dich an die Brust drücken, dich küssen und mit meinen Händen dir durchs Haar streichen werde? Ich bin dein Gott – der Gott des Erbarmens und des Mitgefühls, der Gott der Vergebung und der Liebe, der Gott der dich liebevoll umsorgt. Sag bitte nicht, mir läge nichts mehr an dich, ich könne dich nicht ausstehen, und es gäbe keinen Weg zurück. Das Stimmt nicht. Ich möchte so sehr, dass du bei mir bist. Ich möchte so sehr, dass du eng mit mir befreundet bist. Ich kenne alle diene Gedanken. Ich höre all deine Worte. Ich weiß um all deine Taten. Und ich hab dich lieb; denn du ist schön, nach meinem Bild geschaffen, ein Ausdruck meiner innigsten Liebe. Richte dich nicht selbst. Lass meine Liebe bis in die tiefsten verborgensten Winkel Deines Herzens gelangen und dir deine Schönheit zeigen, eine Schönheit die du aus dem Blick verloren hast.“

Von Generalabt Mauro Guiseppe Lepori Ocist | Warten können auf das Warten

Aus: http://www.ocist.org/ocist/images/pdf/20151128DEAdventsvortrag.pdf

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Samstag 19.12.20

Alle Gleichnisse und Reden Jesu über die christliche Wachsamkeit sprechen von Verantwortung, von unserer Freiheit, die geweckt wird von der Tatsache, dass er kommt, dass er jetzt kommt, zu dieser Stunde, zu der Stunde, in der wir leben.

Jesus kommt, um jedem von uns zu begegnen, er kommt, um uns zu suchen, um sich uns zu schenken. Es ist ein Ereignis, das unsere Freiheit herausfordert, die Freiheit, ihn zu erwarten, die Freiheit, ihn zu empfangen, die Freiheit, ihm zu folgen. Jesus kommt und zieht uns an sich; er gibt sich uns und weckt in uns das Verlangen, sich ihm hinzugeben.

Advent und Weihnachten. Kreuz und Auferstehung. Er kommt, steigt herab bis in den Stall von Bethlehem, bis ins Grab, bis in das Reich des Todes, um uns an sich zu ziehen. Es ist der Mensch Gewordene, der uns an sich zieht, der Neugeborene, der unter uns Lebende, der Gekreuzigte, der Auferstandene. Und der Auferstandene setzt dieses „Spiel“ fort: Er kommt und verschwindet, et kommt und lockt. „Das sind die Scherze der Liebe“, schrieb der heilige Padre Pio.

Die ganze Barmherzigkeit Gottes liegt in seinem Kommen, um uns an sich zu ziehen. Sich dessen bewusst zu werden und sich auf dieses „Spiel“ einzulassen verwandelt das ganze Leben, entzündet in ihm das Licht der Schönheit Gottes, das alles verklärt, auch das Armseligste und Hässlichste unserer Menschheit. Wo Christus kommt, um uns mitzunehmen zum Vater, wird unser ganzes Leben zu einem kostbaren Raum für uns und alle Mitmenschen.

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Freitag 18.12.20

Wenn wir es eilig haben, wenn wir alles sofort wollen, besteht das Problem nicht darin, dass wir keine Zeit mehr haben. Das Problem besteht darin, dass wir nicht auf Gott warten, dass wir von dem, was wir gerade erleben, tun und antreffen, nichts anderes erwarten als nur gerade diese Sache, dieses Vergnügen, diese unmittelbare Befriedigung.

Wir erwarten nicht etwas Unendliches, Ewiges, wir warten nicht auf Gott. Wir ersticken die Zeit, weil wir nicht das Warten auf Gott atmen.

„Atmet immer Christus" Der heilige Antonius, der Vater der Mönche, sagte vor seinem Tod den Jüngern: “Atmet immer Christus!” Wie sehr hat Antonius seine geistlichen Söhne geliebt, dass er ihnen als Erbe nicht Güter, nicht Reichtümer, nicht Macht, sondern das Bewusstsein eines Bedürfnisses, einer existentiellen Armut, einer radikalen Ohnmacht vermachte, das Bewusstsein, dass sie Christus brauchen wie die Luft zum Leben!

Der heilige Antonius hat seinen Jüngern gleichsam gesagt, dass wir, wenn wir Luft brauchen, eigentlich Christus brauchen, dass also jedes menschliche Bedürfnis ein wirkliches, konkretes Zeichen dafür ist, dass wir Christus, das Warten auf Christus, brauchen.

Damit sagt er uns eigentlich Folgendes: Wenn ihr nicht genug Luft habt, wenn ihr Hunger und Durst habt, wenn ihr nicht gesund seid, denkt daran, dass ihr Christus braucht und immer brauchen werdet, dass ER es ist, der in Wirklichkeit der Tiefe des menschlichen Herzens fehlt. Das will nun nicht heißen, dass wir nicht atmen sollen, dass wir nicht essen und trinken sollen, dass wir das Gesundsein und die Freundschaft nicht schätzen sollen. Indem Jesus Mensch geworden ist, hat er das alles gewürdigt, er hat das alles genossen. Aber er hat alles Menschliche immer gelebt als Mittel der Beziehung zum Vater, als konkrete Gelegenheit, an den Vater zu denken, den Vater zu lieben, alles vom Vater zu erbitten, in allem den Vater zu preisen.

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Donnerstag 17.12.20

Ein anderes Geheimnis aber beginnt, oder besser: wird völlig sichtbar durch die Sünde. Nachdem der Mensch das Warten auf Gott verraten hat, beginnt nun Gott, den Menschen zu suchen, auf den Menschen zu warten. Das heißt, dass Gott seine Barmherzigkeit offenbart, dass seine Liebe zu uns Barmherzigkeit ist. Was macht der Vater des Gleichnisses vom verlorenen Sohn? Er wartet! Kaum war sein Sohn fortgegangen in den Ruin und in den Tod, beginnt der Vater auf ihn zu warten:

„Denn mein Sohn war tot und lebt wieder; er war verloren und ist wiedergefunden worden“ (Lk 15,24). In der Figur dieses Vaters, der auf seinen Sohn wartet, offenbart uns Jesus ein außergewöhnliches Geheimnis (das Geheimnis ist allerdings immer etwas Außergewöhnliches!): Er gibt uns zu verstehen, dass in der Barmherzigkeit die Liebe Gottes gleichsam die Ewigkeit verlässt, um Warten in der Zeit zu werden, dass sie Suche in der Zeit, Geduld in der Zeit wird. Gott, das ewige Sein, auf das der Mensch warten sollte, wird für uns ewiges Sein, das wartet. Das ist das Geheimnis Christi. Der Ewige kommt in die begrenzte Zeit, um alle Folgen der Sünde auf sich zu nehmen: die Mühsal, den Schmerz und den Tod. Das ist es, was der Zeit des Menschen, der menschlichen Zeit Sinn, Schönheit, Intensität und die Erfüllung des Wartens auf Gott, auf den kommenden Bräutigam, zurückgibt. Der Ewige kommt als Bräutigam in die Zeit, als das DU, damit wir mit ihm für immer innerlich vereint werden, um mit Freude ein fruchtbares Leben zu leben.

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Mittwoch 16.12.20

Die Sünde hat die Zeit und die Ewigkeit betrogen, weil sie die Zeit des Wartens auf Gott hintergangen hat. Die Hand von Eva und Adam, welche sofort eine alternative Vollendung des eignen Ich dem Du Gottes vorgezogen hat, zerbrach den Sinn der Zeit, die Bedeutung der Zeit, die Schönheit der Zeit, weil sie das Warten auf Gott verraten hat. Die Ursünde bestand im sofortigen Nehmen, sie war eine Reduktion der Sehnsucht der Zeit nach dem Ewigen auf ein „main-tenant“, auf ein Festhalten der abgerissenen Frucht, eine Verweigerung des Wartens auf das Du.

Mit der Sünde hat die Zeit ihre Fülle und Schönheit verloren, Raum des Wartens auf Gott zu sein, der uns erschafft, um uns an sich zu ziehen. Nach der Sünde kommt Gott zu einem Spaziergang in den Garten. Das heißt, dass Gott sich in der Zeit ausdrückt, dass er in der Zeit einherschreitet. Und da entdeckt er, dass die Zeit für den Mann und die Frau nicht mehr Warten auf ihn ist.

Und da lässt Gott die Mühsal der Arbeit, den Schmerz des Gebärens und den Tod, der die Zeit zerbricht in die Erfahrung des Menschen eintreten.

Der Mensch kann entdecken, dass Mühsal, Schmerz und Tod Zeichen und Erfahrung der Ewigkeit sein können, wenn sie wieder im Ausgespanntsein auf das Du gelebt werden.

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Dienstag 15.12.20

Das Warten ist eine sehr wichtige Dimension der menschlichen Erfahrung.

Der Mensch kann warten, der Mensch lebt ständig in dieser Dimension des Wartens, weil er das Geschöpf ist, das die Zeit bewusst erlebt.

Die Engel leben nicht in der Zeit, sie müssen nicht warten.

Für sie ist alles Gegenwart und Ewigkeit, eine unendliche Zeit, die jetzt geschieht. Die Tiere leben in der Zeit, sie warten instinktiv auf das, was ihren Appetit befriedigt, oder auf den Tagesanbruch, oder dass ihr Besitzer nach Hause kommt. Sie warten aber nicht bewusst. Das menschliche Warten ist das wahre Maß der Zeit, ein nicht in Zahlen zu fassendes Maß, ein nicht chronologisches Maß.

Wir sind zwar daran gewöhnt, das Warten zu quantifizieren. Wir sagen, wir hätten eine Stunde gewartet, der Zug habe 5 Minuten Verspätung gehabt, das Internet habe uns 17 endlose Sekunden warten lassen, bevor es auf unseren Klick geantwortet hat.

Wenn wir das Warten auf diese Weise messen, berauben wir es seines Charakters, es wird zu einer Sache, ein von uns selbst und dem, was wir erwarten, abgetrenntes Phänomen. So als wäre das Warten etwas für sich, in sich, ohne Beziehung. Dagegen ist das Warten eine Beziehung, und das ist der springende Punkt, das Warten ist eine Dimension des Geheimnisses der Beziehung.

Von Karl Rahner | Das Fest des Anfangs

Aus: K. Lehmann, A. Raffelt, Hrsg, Karl Rahner Lesebuch. Freiburg-Basel-Wien (Herder) 2004

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Samstag 12.12.20

Siehe, es ist wieder Advent geworden im Jahr deiner Kirche, mein Gott. Wieder beten wir die Gebete der Sehnsucht und des Harrens, die Lieder der Hoffnung und der Verheißung. Und immer wieder ballt sich alle Not und alle Sehnsucht und gläubige Erwartung in das Wort zusammen: KOMM!

O seltsames Beten: Du bist doch schon gekommen und hast dein Zelt unter uns aufgeschlagen, du hast unser Leben geteilt mit seinen kleinen Freuden, seinem langen Alltag und seinen Bitterkeiten. Konnten wir dich mit unserem KOMM! zu mehr einladen als dazu?

Und doch kommt uns dieses Wort noch ebenso von Herzen, wie einst den Erzvätern, Königen und Sehern, die deinen Tag nur von fern sahen und ihn segneten.

Feiern wir bloß Advent oder ist noch immer Advent?

Herr, du bist noch immer im Kommen: Von deiner Menschwerdung bis zur Vollendung dieser Zeit ist nur ein Augenblick, der eine Augenblick deiner einen Tat, die in deinem Menschenleben uns alle und unser ganzes Schicksal ergreift und uns heimholt in die ewigen Weiten des Lebens Gottes.

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Freitag 11.12.20

Der Herr, der mächtiger ist als die Zeit, hat Großes an ihr getan. Er hat sie geschaffen, um sie in seine Ewigkeit hinein zu erlösen. Ein Jetzt der Ewigkeit ist in dir, das schon begonnen hat, deine irdischen Augenblicke in sich hineinzusammeln. Kein heller Jubel ist dir abverlangt, armes Herz, in diesem Advent, der ja ein Leben lang dauert, da dein Advent erst endet, wenn dir gesagt wird: Geh ein in die Freude deines Herrn!

In dir muss nur die demütig nüchterne Freude des glaubenden Harrens leben, das nicht meint, das greifbar Gegenwärtige sei alles. Ist diese Freude, die adventliche Freude, so schwer?

Frage nicht, zweifle nicht: Du hast, mein Herz, schon die Freude des Advents gewählt. Sage dir darum mutig gegen deine eigene Unsicherheit: Es ist Advent des großen Gottes.

Wenn du es glaubend und liebend sagst, ziehen in das Jetzt dieses Wortes die heilgewordene Vergangenheit deines Lebens und die Zukunft, die ewig und grenzen-los ist, ein. Denn es zieht in das Herz der ein, der der Advent selber ist: der Herr, der schon in die Zeit unserer Welt gekommen ist, um sie zu erlösen.

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Donnerstag 10.12.20

In dieser Zeit, da es zu wintern beginnt, wird die Welt stiller. Alles um uns herum wird farblos und blass. Es fröstelt uns. Man ist wenig aufgelegt zu buntem Treiben und lautem Lärm. Man ist lieber und leichter als zu anderen Zeiten des Jahres bei sich zu Hause und allein. Es ist, als wäre die Welt kleinlaut geworden, als hätte sie den Mut verloren, sich selbst zu behaupten und stolz auf ihre Macht und ihr Leben zu sein.

Da ist es an der Zeit, sich selber leise und treu zu sagen, was der Glaube uns sagt: Ich glaube an die Ewigkeit Gottes, die in unsere Zeit, in meine Zeit hinein-gekommen ist. Unter dem ermüdenden Auf und Ab der Zeit wächst schon heimlich das Leben, das keinen Tod mehr kennt.

Höre, mein Herz, Gott hat schon begonnen, seinen Advent in der Welt und in dir zu feiern. Leise und sanft, so leise, dass man es überhören kann, hat er die Welt und ihre Zeit schon an sein Herz genommen und sein eigens unbegreifliches Leben eingesenkt in diese Zeit.

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Mittwoch 09.12.20

Advent – Ankunft – heißt eigentlich, einmal ganz wörtlich übersetzt, Zukunft. So ist schon im Wort selbst ein seltsames Ineinander von Gegenwart und Zukunft, von Dasein und Ausständigsein, von Besitz und Erwartung ausgesprochen.

Auch in der Adventsliturgie schwingen geheimnisvoll Gegenwart und Zukunft des christlichen Handelns ineinander: Es wird in ihr das Gedächtnis der Mensch-werdung des Wortes Gottes gefeiert, die schon geschah und die bleibt, und die Erwartung der endgültig erlösenden Wiederkunft Christi, die noch aussteht und doch unaufhaltsam im Kommen ist.

Die adventliche Er-innerung der Liturgie macht alles zugleich innerlich: das Harren der Vergangenheit der vorchristlichen Väter auf das Kommen des noch verborgenen Heils, die Gegenwart des in der Welt schon geschehenen, aber noch verhüllten Heils in Christus, die Zukunft des in der Verwandlung der Welt zu enthüllenden Heils.

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Dienstag 08.12.20

Wir wollen das Fest der unbefleckten Empfängnis Mariens als das Fest des Anfangs betrachten. Der Anfang ist nicht das leere Nichts.

Der Anfang überhaupt ist Gott, die Fülle aller Wirklichkeit. Und wenn von uns gesagt wird, dass wir aus dem „Nichts“ geschaffen werden, so ist damit gesagt, dass wir nicht Gott sind, aber dass Gott unser Ursprung ist. Wenn wir darum hoffend in die Zukunft blicken, kommt uns im Ende der Anfang entgegen, in der Zukunft die Herkunft. Und wenn das Ende die reine Vollendung ist, dann muss der Anfang ein reiner Entsprung aus der unendlichen Liebe gewesen sein.

Was die Kirche vom Anfang der heiligen Jungfrau bekennt, ist somit die richtige Übersetzung dessen in den Anfang zurück, was sie immer schon von ihr aus ihrem späteren Dasein und ihrer heilsgeschichtlichen Bedeutung für die Kirche gewusst hat.

Marias Anfang ist der reine, der unschuldige, der einfache Anfang, die bloße Gnade; ein Moment der Erlösung selbst.

Gott hat Maria immer gewollt mit absoluter Liebe als die Ja-Sagende zu seinem eigenen Wort, das er der Welt zusprach. Sie ist in ihrem Anfang die Begnadete. Aber dieses Fest ist auch unser Fest. Denn es ist das Fest der ungeschuldeten Liebe, in der wir alle, jeder an seiner Stelle, geborgen sind.

Von Franz Kamphaus | Bereitet den Weg des Herrn

Aus: Franz Kamphaus, Lichtblicke. Jahreslesebuch, hg. v. U. Schütz. Freiburg i.Br. u.a. (Herder) 2001

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Freitag 04.12.20

Menschen fragen nach dem Weg. Sie sind unsicher geworden. Sie haben Angst, den Anschluss zu verpassen. Wie reagieren wir? Was antworten wir denen, die festgefahren sind in ihrem Leben, sich in Sackgassen verrannt haben, an Endstationen angekommen sind?

Wir haben viele Straßen gebaut: Geschäftsstraßen und Bankverbindungen, Autobahnen und Startbahnen: laut, schnell, ruhelos. Kennzeichen einer mobilen Gesellschaft, in der man ständig in Eile ist, überholt und überholt wird. Geben sie den Suchenden Antwort auf die Frage nach dem Weg?

Leben ist wie das Gehen auf einem Weg. Manchmal bleiben wir stehen, blicken zurück, schauen nach vorn. Sind wir auf dem richtigen Weg?

Wir sind Suchende eines Weges, der nicht in den Geschäftsstraßen endet, der weiter-führt als vor die eigene Tür und die des anderen. Ein Weg, der über uns selbst hinaus-führt und über alles, was die Welt uns bieten kann. Die nicht zu stillende Suche, die unendliche Sehnsucht des Menschen bringt uns auf ungeahnte Wege.

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Donnerstag 03.12.20

Wachsamkeit ist das Gebot der Stunde, die Haltung der Christen in dieser Weltzeit. (…) Türhüter, Wächter sollen wir sein. Der Wächter traut nicht dem Augenschein. Er vertraut nicht allein einem Sinn; er lauscht, er schnuppert, ertastet, er späht. Er nimmt seine sieben Sinne zusammen. Er weiß, dass man ihn täuschen kann, dass sich andere als Hausherren ausgeben werden, dass man versucht, ihn in der Dunkelheit zu umgehen. Der Türhüter steht auf der Grenze zwischen Vertrautem und Fremden.

Nehmen wir Christen dieses Wächteramt wahr? Sind unsere Sinne geschärft, sind wir aufmerksam gegenüber den Täuschungsmanövern unserer Zeit? Suchen unsere Augen in der Dunkelheit den wiederkommenden Herrn? Oder ziehen wir uns, des Wartens müde, in unsere Behausung zurück, ins Sichere, ins Bequeme, dahin, wo auch die anderen alle sind? Sind wir bereit, andere zu wecken, aufzurütteln, damit sie mit uns den Herrn empfangen können?

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Mittwoch 02.12.20

Sehnsucht – man denkt zunächst, das Wort hat sicher etwas mit „Suchen“ zu tun. Aber es kommt nicht von „Suchen“, sondern von „Siechen“. Ein Kranksein, eine Verwundung, die sich in der Sehnsucht ausspricht. Ist das vielleicht eine Grundbestimmung des Menschen, dass er verletzt ist, eine offene Wunde trägt? (…)

Woher kommt das nur? Das ist so, weil die Sehnsucht Gottes den Menschen zieht. Von dieser Sehnsucht ist unser Herz getroffen, verwundet, unruhig, bis es in Gott zur Ruhe kommt. (…)

Unter den Menschen, die denken: ‚Gott? Wir haben ja alles! Was brauchen wir mehr?‘, dürfen wir mit unserer Existenz wie ein Hinweis, ein Lebens-Zeichen sein, eine offene Frage:

Das soll alles sein? Die Sehnsucht ist zu groß, sie ist auf den ganz Anderen hin ausgespannt. Das Entscheidende kommt noch. Es ist noch längst nicht aller Tage Abend. Das Entscheidende ist im Kommen.

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Dienstag 01.12.20

„Bereitet den Weg des Herrn!“

Da geht’s nicht nur um unseren eigenen Weg, nicht nur um das, was wir uns ausdenken und zuwege bringen, um die Summe unserer Erfindungen und Leistungen. Gott hat sich auf den Weg gemacht. Er ist uns entgegengekommen, so entgegen-kommend und zuvorkommend, wie er ist. Dafür bürgt ein Name: Jesus Christus. Er ist der Weg. Auf diesem Weg kommt Gott uns entgegen. Er führt uns in die Freiheit. Er eröffnet neue Möglichkeiten. Das dürfen wir anderen sagen und uns selbst gesagt sein lassen: Du hast viel mehr Möglichkeiten, als du ahnst, ganz zu schweigen von den ungeahnten Möglichkeiten Gottes mit dir.

Wenn du nicht weiterkommst und auf der Stelle trittst, wenn du dich verrannt hast oder am Nullpunkt angekommen bist – du brauchst nicht aufzugeben. Gott kommt dir entgegen.

Du kannst ihm den Weg bereiten. Du kannst Steine des Anstoßes aus dem Weg räumen. Du kannst Berge von Vorurteilen abtragen und Täler der Not überwinden helfen. Die Welt wird nicht dadurch besser, dass wir sie auf den Kopf stellen und Ausweglosigkeiten breittreten, sondern dass wir gangbare Wege eröffnen.

Von Franz Kamphaus | Christus der König

Aus: Franz Kamphaus, Lichtblicke. Jahreslesebuch, hg. v. U. Schütz. Freiburg i.Br. u.a. (Herder) 2001

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Samstag 28.11.20

Der Menschensohn ist nicht gekommen, um sich bedienen zu lassen, sondern um zu dienen …Warum ist Jesus diesen Weg gegangen? Warum hat er nicht mit Macht klare Verhältnisse geschaffen? Es ging ihm allein um Gott, um Gottes Herrschaft. Die wird verdunkelt, wo Menschen über Menschen herrschen. (…)

Die Kirche ist der Raum, in der jeder spüren können muss, wer Herr im Haus ist. Bei uns sollen die Menschen eine Ahnung bekommen: „Denen geht’s tatsächlich um Gott.“

Sind wir nicht gewaltig überfordert? Wir wissen doch, wie’s in der Welt und auch unter uns zugeht. Oft allzu menschlich. Es geht eben nicht anders …

Doch, sagt Jesus, es geht anders. Mit mir geht es anders: Bei euch soll es nicht so sein, sondern wer bei euch groß sein will, der soll euer Diener sein (Mk 10,43). Da geht kein Weg daran vorbei. Zur Nachfolge gibt es keine Alternative. Also versuch’s auf diesem Weg. Wie denn sonst wollt ihr deutlich machen, dass es um Gottes Herrschaft geht? Wenn ihr selbst euch als Herren aufspielt, dann merkt keiner mehr, wer Herr im Haus ist. Dann denkt jeder: „Das ist in der Kirche wie überall in der Welt“. Also versucht es.

Dazu lädt Jesus ein, dass wir uns nicht anpassen, sondern es anders versuchen als andere. Bei euch soll es nicht so sein…

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Freitag 27.11.20

Jesus ist der Herr … Es gibt verschiedene Dienste, aber nur den einen Herrn. So steht es, ohne Wenn und Aber. Jesus Christus ist Herr im Haus der Kirche. Muss man über-haupt ein Wort darüber verlieren? Das gilt so allgemein, dass es niemanden vom Stuhl reißt. Oder doch? Jedenfalls betrifft es die ganze kirchliche Stuhlordnung. Er allein ist der Herr. Jeder Amtsträger, auf welchem Stuhl er auch sitzt, auf dem Bischofsstuhl oder auf dem Priestersitz oder auf dem Heiligen Stuhl, jeder ist diesem Herrn verantwortlich. Alle Autoritäten in der Kirche haben nur so viel Sinn und Berechtigung, wie sie in der Nachfolge Jesu stehen und auf ihn als die letzte Autorität hinweisen.

Warum unterstreicht der Apostel das so ausdrücklich? Hier scheiden sich die Geister: Keiner kann sagen: Jesus ist der Herr!, wenn er nicht aus dem Heiligen Geist redet. Nur in der Kraft des Geistes werden wir der Versuchung widerstehen, uns selbst als die Herren aufzuspielen.

Jesus ist der Herr! – das heißt auch: In der Kirche geht die Gewalt nicht vom Volk aus, sondern von Jesus Christus. Sie ist weder eine Demokratie noch eine Aristokratie noch eine Monarchie; sie ist der Raum, in dem Gottes Herrschaft zum Zug kommen soll. Die durchkreuzt unsere gängigen Leitungsmuster. Wenn das nicht mehr spürbar ist, wenn nicht mehr deutlich wird, dass es nicht um Menschenherrschaft, sondern um Gottes Herrschaft geht, dann verfehlt sie Kirche ihre Berufung.

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Donnerstag 26.11.20

Der auferstandene Christus begegnet seinen Jüngern oben auf dem Berg: Mir ist alle Macht gegeben im Himmel und auf der Erde. Ist das unsere Welt, unsere Situation: oben auf dem Berg, Gipfelerfahrung? Viele sagen: Es geht gewaltig bergab. Wie soll man das zusammenbringen: oben auf dem Berg und unten am Boden? Wir sind eingespannt zwischen Macht und Ohnmacht, zwischen Universalität des Gottesreiches und Provinzialität unserer Eigeninteressen, zwischen Nachfolge und Trott.

Hat Jesus bei uns Macht? Was ist das für eine Macht? Wie zeigt sie sich? Sie ist ablesbar in Jesu Leben, in seinem Handeln. Er ist kein Macht-Haber nach den Mustern unserer Gesellschaft, in Politik und Wirtschaft. Er hat nicht den starken Mann markiert. Er widerstand der Gewalttätigkeit nicht durch eine Aktion seiner Allmacht, sondern durch die Passion seiner ohnmächtig machtvollen Liebe.

Es ist kaum zu fassen: Gerettet und erlöst werden wir nicht durch die Macht der Mächtigen, sondern dadurch, dass Gott an unserer Ohnmacht teilnimmt und sich auf unsere Not einlässt. Das Heil liegt nicht in der Liebe zur Macht, sondern in der Macht der Liebe. Die ist stärker als der Tod. Das ist die Macht, die in der Auferstehung offenbar wird: Mir ist alle Macht gegeben im Himmel und auf der Erde.

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Mittwoch 25.11.20

Am Anfang des Weges Jesu steht die diabolische Versuchung auf einem sehr hohen Berg. Das Angebot: alle Reiche der Welt mit ihrer Pracht. Jesus lehnt ab. Am Ende seines Weges, wiederum auf dem Berg, ist ihm alle Macht gegeben im Himmel und auf Erden. Ist es dieselbe Macht, die er anfangs ausgeschlagen hat? Sind es dieselben Reiche der Welt, deren Herrschaft er schließlich doch (nur mit einiger Verzögerung) antritt? (…)

Zwischen dem Berg der Versuchung und dem Berg der Erhöhung liegt Golgota. Es ist ein langer Weg, bis bekannt werden kann: Jesus Christus ist der Herr. Er durchmisst die ganze Distanz zwischen Gottesgestalt und Knechtsgestalt, zwischen Gott und dem Tod am Kreuz. Dieser Weg in die Niedrigkeit ist Gottes Weg zur Herrschaft. Der Gekreuzigte ist der Herr. (…)

Die Herrschaft Christi ist von anderer Art als die, die vom Teufel zu holen ist. Die übliche alte Herrschaft erscheint nicht etwa nur in neuem Gewand. (…) Es wird nicht lediglich ein Herrschaftswechsel inszeniert - die bisherige Herrschaftsstruktur wird durchkreuzt! Nur im Namen des Kreuzes kann man von der Autorität Christi sprechen. Die Wunden sind das entscheidende Merkmal, an dem man den zur Herrschaft Erhöhten erkennt. Das von der Lanze durchbohrte Herz gewinnt die Welt. In ihm liegt die Autorität Christi begründet.

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Dienstag 24.11.20

In wenigen Wochen feiern wir Weihnachten. Eine neue Art von Herrschaft kommt in Betlehem zur Welt. Gott regiert nicht – wie man es sich bis dahin vorgestellt hat – mit einem Zepter von oben herab, unnahbar. Er ist ganz dicht an der Seite der Menschen, er lebt mitten unter uns. Das ist riskant, lebensgefährlich. Er zerbricht den Stock des Treibers, indem er sich vor Pilatus den Rohrstock in die gefesselten Hände stecken lässt. (…)

Der Stock des Treibers, der zerbrochen werden soll, sitzt auch in uns: Immer mehr, immer besser, immer schneller, koste es, was es wolle. Ideologien brauchen den Treiber, Programme brauchen den Treiber, Systeme brauchen den Treiber, den Einpeitscher. Nur Gott braucht den Treiber nicht.

Er ist nicht ein Programm geworden, nicht eine Idee, nicht ein System irgendwo in der Ferne, nein, er ist Mensch geworden, ganz dicht bei uns. Verletzlich wie ein Kind, ein Kind, das uns anrührt, uns ans Herz geht und unsere besten Kräfte lockt. Man kann nicht vom Kind in Betlehem sprechen, ohne zu bedenken, welchen Weg Jesus gegangen ist. Er ist sich treu geblieben, entwaffnend in seiner Wehrlosigkeit.

Von Wilfried Hagemann | Freundschaft mit Christus

Aus: Wilfried Hagemann: Freundschaft mit Christus, Verlag Neue Stadt 2012

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Samstag 21.11.20

Die Freundschaft mit führt zu anderen Weggefährten. Wo Liebe echt ist, drängt sie zur Gegenseitigkeit; sie wird zu einem Geben und Nehmen, das untereinander verbindet. Ein jeder, eine jede ist mitverantwortlich für die anderen. Die Liebe fragt wie von selbst: Wie geht es wohl dem anderen? Wer braucht jetzt meine besondere Aufmerksamkeit? Wem kann ich etwas abnehmen? Sie ist auch sensibel dafür, dass jemand am Ende ist oder gar ausgebrannt. Dieser achtsame Blick füreinander ist oft die Rettung in solchen Situationen. Wie gut tut es, einem Menschen zu begegnen, der einfach gibt, der wie selbstverständlich trägt und mitträgt, der sich unprätentiös dem anderen schenkt. Eine solche Liebe hätte man früher als „jungfräulich“ bezeichnet; zu einer solchen Liebe lädt uns Christus ein, ob wir ehelos leben oder verheiratet sind. Die ganz konkrete gegenseitige Liebe ist das Merkmal der Jüngerinnen und Jünger Jesu.

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Freitag, 20.11.20

Wer glaube will, muss den Schritt aus dem Boot seiner Sicherheit heraus tun; ja, er kann sogar aus seinen eigenen Zweifeln „aussteigen“, statt sie absolut zu setzen, sich vom Herrn rufen lassen und sich – auch wenn ihm nicht alles restlos klar geworden ist – vom Herrn an die Hand nehmen lassen.

Glauben als Vertrauen, als freie Tat des Menschen, Glaube als inhaltliche Zustimmung zur Person Jesu Christi, all das kommt ins Spiel, wenn jemand aus einem Boot aussteigt und sagt: Ja, ich glaube an Jesus Christus. Das Bekenntnis gehört hinein in die Freundschaftsgeschichte mit Jesus, und es festigt sie: Wir glauben ihm, wir sind bei ihm, und er ist bei uns.

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Donnerstag, 19.11.20

Gott will uns nicht halbfertig lassen, er will uns ganz, vollendet (nicht im Sinne eines falschen Perfektionismus; es geht um Liebe!). So gibt es Zeiten, in denen Gott an uns arbeitet. Er zieht sich scheinbar zurück, damit wir mehr nach ihm suchen, Hunger und Durst nach ihm bekommen. Solche Zeiten können sehr dunkel sein. Wir kennen viele Zeugnisse, auch von Heiligen, über solche Phasen. Der Mensch fühlt sich verlassen, einsam, unverstanden, vielleicht sogar depressiv, vielleicht gerät er wieder in Sünden und Fehler, die er längst überwunden glaubte. Und er merkt, wie sehr der Herr sein Freund geworden war, wie sehr er von ihm lebte.

Er hat nun Gelegenheit, sich als Jesu Freund, als Freund Gottes zu bewähren, ihm die Treue zu halten und sich ihm auszuliefern, diesem Gott, der diese Dunkelheit zulässt, sein Ja zu sagen und ihn anzubeten. Der Mensch kann jetzt lernen, selbstloser für Gott zu leben, Gott um seiner selbst willen zu lieben – ohne die „Gegenleistung“ der spürbaren Nähe Gottes, ohne das beruhigende Gefühl innerer Zufriedenheit.

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Mittwoch, 18.11.20

Sich im Namen Jesu versammeln und eins sein miteinander gehören zusammen. Die Freundschaft mit Jesus schenkt uns eine neue Mitte, lässt uns zu einer tieferen Einheit zusammenwachsen. Hier bricht sozusagen eine Quelle hervor, in der wir und andere den lebendigen Gott finden können. Die gemeinsame Arbeit und viele andere Gestalten des Zusammenseins können eine unerwartete Tiefe und Kostbarkeit erhalten, wenn Jesus „mit im Spiel ist“: Das Zwischen, die Mitte ist erfüllt von der Präsenz Gottes. Wir spüren, wie sich hier unser Menschsein verwirklicht, eine neue Fülle gewinnt. Das ist nicht „machbar“, aber es ist genau das, wofür wir gemacht sind…

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Dienstag, 17.11.20

Wer […] in der Eucharistiefeier den Leib Christi nimmt und isst, der ist ein Glied, ein Teil am Leib des Herrn; die ganze feiernde Gemeinde wird „Leib Christi“: Durch sie, in ihr ist Jesus gegenwärtig an einem bestimmten Ort und einer bestimmten Zeit: redend, handelnd, liebend, Gutes vom Bösen scheidend, richtend und aufrichtend.

Wenn jemand die Eucharistie mitfeiert, geht er das Risiko ein, dass Gott an ihm handelt: sie zielt darauf, dass wir „ausgeteilt“ werden an die Welt. Die tiefe Freundschaft, die Verbindung mit Jesus kann nicht isoliert gelebt werden – ich und Jesus allein, in einem schönen Idyll, das geht nicht. So wie Gott seinen Sohn dahingab für die Erlösung der Vielen, so mutet er auch uns zu, unser Leben hinzugeben. Auf diese Weise kommt etwas von Gottes Liebe in eine Welt, die ihm gegenüber so oft verschlossen ist. Auch durch uns will er zu den Menschen kommen, in die Schulen, in die Betriebe, in die Krankenhäuser, in zerrüttete Familien, in Kneipen, Diskotheken und Chatrooms…

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Samstag, 14.11.20

Wen wundert es, dass Gott den Weg über das Wort gewählt hat, um sich den Menschen mitzuteilen? Wir haben nicht nur Worte über Gott, etwa eine Lehre über ihn, eine Wissenschaft, die Theologie. Es gibt auch Worte von Gott: Worte der Menschensprache, in denen er sich selbst ausgedrückt hat. Es sind nicht einfach Informationen über sein Werk, über die Welt, die er geschaffen hat, oder Hilfen, um richtig in ihr zu leben. Es sind Worte, in denen Gott dem Menschen sich selbst mitteilt, seine Nähe, seine Liebe. Was Gott uns in unserer Sprache sagt, gibt uns mehr als Informationen. Seine Worte schenken uns etwas von ihm selbst und ermöglichen uns unmittelbar die Freundschaft mit ihm. Wer sein Wort in sich aufnimmt, erfährt etwas sehr Schönes, ja Grandioses: Gott wird sein Freund.

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Donnerstag, 12.11.20

In der Liebe von Mann und Frau meldet sich die Frage nach der ewigen Liebe. Die Menschliche Liebe ist offenbar Abbild einer Ur-Liebe, die der Mensch am Anfang nur ahnt. Er erfährt sich als ein offenes Wesen, als ein fragendes Wesen, das ein Gegenüber braucht.

Auch Mann und Frau, eins geworden in der Liebe, spüren, dass sie ein Gegenüber brauchen. Gerade in der tiefen Gemeinschaft von Freundschaft und Ehe erfahren sich Menschen offen für ein anderes Gegenüber, erfahren sie sich offen für Gott.

Wir suchen eben nicht nur Gefährtinnen oder Gefährten. Wir suchen jemand, der immer mit uns geht, einen Freund, auf den wir uns unbedingt und überall, ja über den Tod hinaus verlassen können.

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Mittwoch, 11.11.20

[Meine Beziehung zu Christus] war eine Beziehung wie zu einem Freund. Ich hatte ihn gern, er war ein wichtiger Bezugspunkt in meinem Leben geworden. Bei vielen Aufgaben überlegte ich, wie er es wohl gemacht hätte. Ich versuchte, die Dinge mit seinen Augen zu sehen. Ich wollte mehr von ihm wissen. Darum las ich, was er geredet und getan hatte. Ich betete zu ihm; ich sprach mit ihm und fasste in Worte, was ich für ihn empfand. Einmal fragte mich jemand, der sich als Atheist bezeichnete, direkt nach Jesus; er war unruhig und hatte seine Zweifel (zweifeln können auch „Nichtglaubende“). Ich konnte für ihn ein „Wegweiser“ werden, nicht wegen meiner Argumente, sondern weil er sah, wie sich eine lebendige Verbindung mit Christus auf das Leben und die Beziehungen zu anderen auswirkt.

Wenn wir mehr von Jesus Christus wissen wollen, müssen wir die fragen, die mit ihm gelebt haben, die Augenzeugen. Das sind die Jüngerinnen und Jünger Jesu, die Apostel, die Märtyrer und Märtyrerinnen. Aber auch heute gibt es „Augenzeugen“: Menschen, deren Leben geprägt ist von der Erfahrung, die sie in der Beziehung mit Jesus machen.

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Dienstag, 10.11.20

Wer […] aus der Freundschaft mit Jesus lebt, wird nicht mehr so an vielen Dingen hängen. Er kann großzügiger mit seinem Besitz umgehen, er tut sich leichter zu teilen. Er wird auch mehr Zeit für andere finden, die seine Hilfe oder Zuwendung brauchen. Er wird in den Menschen das Gute entdecken und die Fehler mittragen. In der Freundschaft mit Jesus zeigt sich ein Weg, im schönsten Sinne „einfacher zu leben“. Wie sie uns hilft, in allem das „eine Notwendige“ (vgl. Lk 10,42) zu tun: das, was jetzt dran ist, in der Verbundenheit mit ihm.

Je tiefer Gott durch Jesus Christus in unser Leben eindringt, desto mehr findet der Mensch Gott, den Bruder, die Schwester und auch sich selbst.

Von Papst Franziskus | Große Christen - Heilige Vorbilder

Aus: divers - Angabe jeweils unter dem Text

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Samstag, 07.11.20

Das Buch der Offenbarung des Johannes ruft ein wesentliches Merkmal der Heiligen in Erinnerung, und es verwendet folgende Worte: sie sind Menschen, die ganz Gott gehören. Es zeigt sie als eine zahllose Schar von »Erwählten« in weißen Gewändern, die mit dem »Siegel Gottes« gekennzeichnet sind (vgl. 7,2-4. 9-14). Durch dieses Detail wird hervorgehoben, dass die Heiligen auf vollkommene und ausschließliche Weise zu Gott gehören, sein Eigentum sind. Und was bedeutet es, das Siegel Gottes in seinem Leben und in seiner Person zu tragen? Wieder sagt es uns der Apostel Johannes: es bedeutet, dass wir in Jesus Christus wirklich zu Kindern Gottes geworden sind (vgl. 1 Joh 3,1-3).

Sind wir uns dieses großen Geschenks bewusst? Wir alle sind Kinder Gottes! Erinnern wir uns daran, dass wir in der Taufe das »Siegel« unseres himmlischen Vaters empfangen haben und seine Kinder geworden sind? Um es einfacher auszudrücken: wir tragen den Nachnamen Gottes, unser Nachname ist Gott, weil wir Kinder Gottes sind. Hier liegt die Wurzel der Berufung zur Heiligkeit! Und die Heiligen, deren wir heute gedenken, sind jene, die in der Gnade ihrer Taufe gelebt haben, die das »Siegel« unversehrt bewahrt haben, indem sie sich wie Kinder Gottes verhalten und versucht haben, Jesus nachzuahmen; und jetzt haben sie das Ziel erreicht, da sie endlich »Gott sehen, wie er ist«.

[http://www.vatican.va/content/francesco/de/angelus/2015/documents/papa-francesco_angelus_20151101.html ]

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Freitag, 06.11.20

Was beutetet das: die Gemeinschaft der Heiligen? Es ist die Gemeinschaft, die aus dem Glauben entsteht und alle eint, die durch die Taufe zu Christus gehören. Es handelt sich um eine geistliche Einheit – wir alle sind vereint! –, die durch den Tod nicht gebrochen wird, sondern sich im anderen Leben fortsetzt. Es gibt in der Tat eine unzerstörbare Verbundenheit zwischen uns, die wir in dieser Welt leben, und allen, die die Schwelle des Todes überschritten haben. Wir hier unten auf Erden bilden zusammen mit jenen, die in die Ewigkeit eingegangen sind, eine einzige große Familie. Diese Vertrautheit wie in einer Familie bleibt bestehen. Diese wunderbare Gemeinschaft, diese wunderbare Einheit zwischen Erde und Himmel wird auf höchste und innigste Weise in der Liturgie und vor allem in der Feier der Eucharistie gegenwärtig, welche die tiefste Einheit unter den Gliedern der Kirche zum Ausdruck bringt und verwirklicht.

[ http://www.vatican.va/content/francesco/de/angelus/2014/documents/papa-francesco_angelus_20141101.html ]

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Donnerstag, 05.11.20

Die Heiligen geben uns eine Botschaft. Sie sagen uns: vertraut auf den Herrn, denn der Herr enttäuscht nicht! Er enttäuscht nie, er ist ein guter Freund, der immer an unserer Seite ist. Mit ihrem Zeugnis ermutigen die Heiligen uns, keine Angst zu haben, gegen den Strom zu schwimmen oder missverstanden und verlacht zu werden, wenn wir über ihn und das Evangelium sprechen; sie zeigen uns mit ihrem Leben, dass derjenige, der Gott und seinem Wort treu bleibt, bereits auf dieser Erde den Trost seiner Liebe erfährt und dann das »Hundertfache« in der Ewigkeit. Das ist es, was wir hoffen und was wir vom Herrn für unsere verstorbenen Brüder und Schwestern erbeten. In ihrer Weisheit hat die Kirche das Fest Allerheiligen und den Allerseelentag dicht nebeneinander gestellt. Mit unserem Lobpreis Gottes und der Verehrung der Seligen vereint sich die Fürbitte für alle, die uns beim Übergang von dieser Welt zum ewigen Leben vorangegangen sind.

[http://www.vatican.va/content/francesco/de/angelus/2013/documents/papa-francesco_angelus_20131101.html]

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Mittwoch, 04.11.20

Heilig sein ist kein Privileg weniger, so als hätte jemand eine große Erbschaft gemacht; wir alle haben mit der Taufe das Erbe, heilig werden zu können. Die Heiligkeit ist eine Berufung für alle. Wir alle sind daher dazu berufen, auf dem Weg der Heiligkeit zu gehen, und dieser Weg hat einen Namen, ein Antlitz: das Antlitz Jesu Christi. Er lehrt uns, heilig zu werden. Im Evangelium zeigt er uns den Weg: die Seligpreisungen (vgl. Mt 5,1-12). Das Himmelreich nämlich ist für alle, die ihre Sicherheit nicht auf die Dinge gründen, sondern auf die Liebe Gottes; für alle, die ein einfaches, demütiges Herz haben, die nicht den Anspruch erheben, gerecht zu sein, und die nicht über die anderen urteilen; für alle, die es verstehen, mit dem Leidenden zu leiden und sich zu freuen mit dem, der froh ist; die nicht gewalttätig sind, sondern barmherzig und sich bemühen, Stifter von Versöhnung und Frieden zu sein. Der Heilige, die Heilige ist Stifter von Versöhnung und Frieden; er hilft den Menschen immer, sich zu versöhnen, und er hilft immer, damit Frieden herrsche. Und so ist die Heiligkeit schön; sie ist ein schöner Weg!

[http://www.vatican.va/content/francesco/de/angelus/2013/documents/papa-francesco_angelus_20131101.html]

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Dienstag, 03.11.20

Die Heiligen sind weder Übermenschen noch perfekt zur Welt gekommen. Sie sind wie wir, wie jeder von uns, sie sind Menschen, die, bevor sie die Herrlichkeit des Himmels erlangten, ein normales Leben geführt haben, mit Freuden und Schmerzen, Mühen und Hoffnungen. Was aber hat ihr Leben verändert? Als sie die Liebe Gottes erkannt haben, sind sie ihm mit ganzem Herzen nachgefolgt, bedingungslos und ohne Heuchelei. Sie haben ihr Leben im Dienst an den anderen hingegeben, sie haben Leiden und Feindseligkeiten ertragen, ohne zu hassen und indem sie auf das Böse mit dem Guten geantwortet und Freude und Frieden verbreitet haben. Das ist das Leben der Heiligen: Menschen, die aus Liebe zu Gott ihm in ihrem Leben keine Bedingungen gestellt haben; die Heiligen sind Männer und Frauen, die die Freude im Herzen tragen und sie den anderen weitergeben. Niemals hassen, sondern den anderen, den Bedürftigsten dienen; beten und in der Freude leben; das ist der Weg der Heiligkeit!

[http://www.vatican.va/content/francesco/de/angelus/2013/documents/papa-francesco_angelus_20131101.html]

Von Papst Franziskus | Aus der Botschaft zum Weltmissionssonntag: "Hier bin ich, sende mich."

Aus: https://www.vaticannews.va/de/papst/news/2020-05/papst-franziskus-botschaft-mission-sonntag-wortlautuebersetzung.html

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Samstag, 31.10.20

Verstehen, was Gott uns in diesen Zeiten der Pandemie sagen will, wird zu einer Herausforderung auch für die Mission der Kirche. Die Krankheit, das Leiden, die Angst, die Isolation richten Anfragen an uns. Die Armut desjenigen, der allein stirbt, der sich selbst überlassen ist, der die Arbeit und den Lohn verliert, der kein zu Hause und nichts zu essen hat, werfen Fragen auf. Gerade weil wir dazu verpflichtet sind, körperlichen Abstand zu halten und zu Hause zu bleiben, sind wir eingeladen wiederzuentdecken, dass wir der sozialen Beziehungen bedürfen und auch der gemeinschaftlichen Beziehung zu Gott. Fernab davon, das Misstrauen und die Gleichgültigkeit zu mehren, sollte dieser Zustand uns aufmerksamer für unsere Art und Weise machen, mit den anderen in Beziehung zu treten. Und das Gebet, in dem Gott unser Herz berührt und bewegt, öffnet uns für die Bedürfnisse der Liebe, der Würde, der Freiheit unserer Brüder wie auch für die Sorge um die ganze Schöpfung. Die Unmöglichkeit, uns als Kirche zu versammeln, um die Eucharistie zu feiern, hat uns die Lage vieler christlicher Gemeinschaften teilen lassen, die die Messe nicht jeden Sonntag feiern können. In diesem Zusammenhang wird die Frage, die Gott uns stellt, „Wen soll ich senden?“, erneut an uns gerichtet und erwartet von uns eine neue großzügige und überzeugte Antwort: „Hier bin ich, sende mich“.

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Freitag, 30.10.20

Die Mission ist die freie und bewusste Antwort auf den Ruf Gottes. Aber diesen Ruf können wir nur wahrnehmen, wenn wir eine persönliche Liebesbeziehung mit Jesus pflegen, der in der Kirche lebendig ist. Fragen wir uns: Sind wir bereit, die Gegenwart des Heiligen Geistes in unserem Leben anzunehmen? Sind wir bereit, den Ruf zur Mission zu vernehmen, sowohl im Eheleben als auch auf dem Weg der gottgeweihten Keuschheit oder des Weihepriestertums und überhaupt im gewöhnlichen alltäglichen Leben? Sind wir bereit, überallhin ausgesandt zu werden, um unseren Glauben an Gott, den barmherzigen Vater, zu bezeugen, um das Evangelium des Heils Jesu Christi zu verkünden, um am göttlichen Leben des Heiligen Geistes teilzuhaben und so die Kirche aufzubauen? Sind wir bereit, wie Maria, die Mutter Jesu, vorbehaltlos dem Willen Gottes zu dienen (vgl. Lk 1,38)? Diese innere Bereitschaft ist sehr wichtig, um Gott antworten zu können: „Hier bin ich, Herr, sende mich“ (Jes 6,8). Und dies nicht in einer abstrakten Vorstellung, sondern im Heute der Kirche und der Geschichte.

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Donnerstag, 29.10.20

Gott liebt uns immer als Erster und mit dieser Liebe begegnet er uns und ruft uns. Unsere persönliche Berufung rührt daher, dass wir Söhne und Töchter Gottes in der Kirche sind, seine Familie, Brüder und Schwestern in jener Liebe, die Jesus uns bezeugt hat. Alle aber haben eine menschliche Würde, die auf dem göttlichen Ruf gründet, Kinder Gottes zu sein, im Sakrament der Taufe und der Freiheit des Glaubens das zu werden, was sie von je her im Herzen Gottes sind.

Schon die Tatsache des ohne unser eigenes Zutun empfangenen Lebens stellt eine implizite Einladung dar, in die Dynamik der Selbsthingabe einzutreten: In die Getauften wird ein Same gelegt, der als Liebesantwort reife Gestalt in der Ehe oder der Jungfräulichkeit um des Himmelreiches willen annehmen wird. Das menschliche Leben entspringt der Liebe Gottes, es wächst in der Liebe und strebt zur Liebe hin. Niemand ist von der Liebe Gottes ausgeschlossen.

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Mittwoch, 28.10.20

Im Kreuzesopfer, in dem sich die Sendung Jesu erfüllt (vgl. Joh 19,28-30), offenbart uns Gott, dass seine Liebe jedem und allen gilt (vgl. Joh 19,26-27). Und er bittet uns um die persönliche Sendungsbereitschaft, weil er die Liebe ist, die in beständiger Missionsbewegung immer aus sich herausgeht, um Leben zu geben. Aus Liebe zu den Menschen hat Gott Vater den Sohn Jesus gesandt (vgl. Joh 3,16). Jesus ist der Missionar des Vaters: Seine Person und sein Werk sind gänzlicher Gehorsam zum dem Willen des Vaters (vgl. Joh 4,34; 6,38; 8,12-30; Hebr 10,5-10).

Seinerseits zieht uns der für uns gekreuzigte und auferstandene Jesus in seine Liebesbewegung hinein, mit eben seinem Geist, der die Kirche beseelt; er macht uns zu Jüngern Christi und sendet uns auf Mission in die Welt und zu den Völkern.

»Die Mission und „die Kirche im Aufbruch“ sind nicht ein Programm, ein Vorhaben, das durch Willensanstrengung zu verwirklichen ist. Christus lässt die Kirche aufbrechen. Du bewegst dich in der Mission der Verkündigung des Evangeliums, weil der Geist dich antreibt und führt«

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Dienstag, 27.10.20

»Hier bin ich, sende mich« (Jes 6,8). Es ist die immer neue Antwort auf die Frage des Herrn: »Wen soll ich senden?« Dieser Ruf kommt aus dem Herzen Gottes, aus seiner Barmherzigkeit, der in der gegenwärtigen weltweiten Krise der Pandemie sowohl an die Kirche als auch an die Menschheit ergeht. »Wie die Jünger des Evangeliums wurden wir von einem unerwarteten heftigen Sturm überrascht. Uns wurde klar, dass wir alle im selben Boot sitzen, alle schwach und orientierungslos sind, aber zugleich wichtig und notwendig, denn alle sind wir dazu aufgerufen, gemeinsam zu rudern, alle müssen wir uns gegenseitig beistehen. Auf diesem Boot ... befinden wir uns alle. Wie die Jünger, die wie aus einem Munde angsterfüllt rufen: „Wir gehen zugrunde“, so haben auch wir erkannt, dass wir nicht jeder für sich, sondern nur gemeinsam vorankommen«

Wir sind wirklich erschrocken, orientierungslos und verängstigt. Der Schmerz und der Tod lassen uns unsere menschliche Zerbrechlichkeit erfahren; aber zugleich nehmen wir alle in uns eine starke Sehnsucht nach Leben und Befreiung vom Übel wahr.

In diesem Zusammenhang stellt sich der Ruf zur Mission – die Einladung, um der Liebe zu Gott und zum Nächsten willen aus sich selbst hinauszugehen – als Gelegenheit des Teilens, des Dienens, der Fürbitte dar. Die Mission, die Gott jedem anvertraut, führt von einem ängstlichen und verschlossenen zu einem wiedergefundenen und durch die Selbsthingabe erneuerten Ich.

Von David Steindl-Rast | Auf dem Weg der Stille

Aus: D. Steindl-Rast, Auf dem Weg der Stille. Das Heilige im Alltag leben. Freiburg u.a. (Herder) 2016

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Samstag, 25.10.20

Wie kommt in einem Dialog Verstehen zustande?

Ein echter Dialog ist mehr als ein Austausch von Worten: Das „mehr“ besteht aus einem Austausch von Schweigen.

Da kommt dann das Verstehen ins Spiel. Für echtes Verstehen ist es notwendig, dass das Schweigen in mir ins Wort kommt und sich so zum anderen hin austreckt, dass es nicht nur dessen Ohr und Gehirn erreicht, sondern auch dessen Herz, diesen stillen Punkt, den Kern des Schweigens in ihm.

So ist Verstehen eine Kommunikation im Schweigen, mit Schweigen, und zwar im Wort und durch dieses.

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Freitag, 24.10.20

Das Schweigen ist nicht die Abwesenheit von Wort oder Klang. Es wird nicht als Zustand der Abwesenheit charakterisiert, sondern der Präsenz, einer Präsenz, die für Worte zu groß ist. (…)

Jede Begegnung mit dem Geheimnis verbirgt sich im Schweigen.

Im deutschen Begriff „Geheimnis“ steckt das Wort „Heim“: ein Geheimnis behalten wir bei uns daheim, zeigen es nicht öffentlich.

Der aus dem Griechischen abgeleitete Begriff dafür, „Mysterium“, ist vom Tätigkeitswort myein abgeleitet, das so viel bedeutet wie „still bleiben“ oder „den Mund halten“.

Ein Mysterium, ein Geheimnis ist keine Leere, sondern die unfassbare Präsenz, die uns anrührt und uns sprachlos macht, indem sie uns Sinn erschließt.

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Donnerstag, 23.10.20

Richtig verstanden sind die Sakramente der christlichen Kirchen nicht in sich geschlossene Behältnisse, die göttliche Gnade vermitteln, sondern Brennpunkte des göttlichen Feuers, das jegliches Leben sakramental macht.

Man kann sich zum Beispiel nur schwer jemanden vorstellen, der wirklich ganz das Abendmahl des Herrn versteht, aber es nicht gelernt hat, der Amsel zuzusehen, die einen Regenwurm schnappt, um mit ihm ihre Jungen im Nest zu füttern.

Das universale Gesetz, dass jegliches Leben sich selbst hingeben muss, um neues Leben zu nähren, spiegelt einfach nur das alles übersteigende Geheimnis, dass wir dank Gottes Liebe Leben haben – Gottes Leben -, und dies dank des Sterbens Gottes selbst.

Dieses Geheimnis der Eucharistie rückt ins Zentrum, wann immer eine Gemeinschaft wachen Sinnes und dankbar ein Mahl miteinander teilt.

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Mittwoch, 21.10.20

Unsere lateinische Tradition definiert den Frieden als „Stille der Ordnung“.

Ordnung ist untrennbar mit dem Schweigen verbunden, aber das ist ein dynamisches Schweigen. Die Stille der Ordnung ist also eine dynamische Stille, die Stille einer Flamme, die in vollkommener Ruhe brennt, oder eines Rads, das sich so schnell dreht, dass es stillzustehen scheint.

Schweigen in diesem Sinn ist nicht nur eine Eigenschaft der Umgebung, sondern in erster Linie eine Einstellung, eine Haltung des Hörens. Das ist ein Geschenk, dass jeder von uns eingeladen ist, allen anderen zu machen: das Geschenk des Schweigens. Lasst uns einander Schweigen schenken!

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Dienstag, 20.10.20

Machen Sie folgenden Versuch:

Halten Sie inne und denken Sie nach, bevor Sie morgens die Augen aufschlagen.

Sobald wir einmal unser Augenlicht nicht mehr für selbstverständlich halten, geht uns auf, was für ein Geschenk unsere Augen sind, und dass wir sie bislang noch gar nicht als solches wahrgenommen haben.

Ein Geschenk als solches zu erkennen, ist der erste Schritt zur Dankbarkeit. Da die Dankbarkeit der Schlüssel zur Freude ist, halten wir diesen Schlüssel zur Freude in unseren Händen.

In einer Spiritualität, die sich treu an Jesus Christus hält, ist die Sinnliche Wahrnehmung nichts Fragwürdiges, sondern etwas Heiliges. Ein horchendes Herz erkennt im Pochen der gegen alle unsere Sinne pulsierenden Wirklichkeit den Herzschlag des göttlichen Lebens im Kern alles dessen, was es gibt.

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Samstag, 17.10.20

Alles ist unentgeltlich, alles ein Geschenk. Der Grad, in dem wir für diese Wahrheit aufgewacht sind, ist das Maß unserer Dankbarkeit. Und Dankbarkeit ist das Maß unserer Lebendigkeit. Man kann sie praktizieren, kultivieren, lernen. Sie bringt Freude in unser Leben.

Die Freude fängt jenseits des Glücklichseins an. Freude ist das Glück, das nicht von dem abhängt, was gerade geschieht. Sie entspringt der Dankbarkeit.

Wenn wir anfangen, alles für selbstverständlich zu halten, verfallen wir in Langeweile. Aber alles in uns sehnt sich danach, „Leben zu haben, und es in Fülle zu haben“ (Joh 10,10). Der Schlüssel zum Leben in Fülle ist die Dankbarkeit.

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Freitag, 16.10.20

Der Schlüssel zu einer dritten Innenwelt ist das Tun, das liebevolle Tun. In dieser Art des Betens bin ich mit Gott nicht durch Hören und Antworten und auch nicht durch Eintauchen ins Schweigen in Kontakt, sondern durch Tätigsein. Alles, was ich mit Liebe zu tun vermag, kann zum Gebet des Tätigseins werden.

Es ist zudem gar nicht notwendig, dass ich während der Arbeit oder beim Spielen an Gott denke. Zuweilen dürfte das sowieso kaum möglich sein. Gott wird genau in der liebevollen Aufmerksamkeit anwesend sein, die ich der mir anvertrauten Arbeit zuwende. Indem ich mich voll und liebevoll dieser Arbeit widme, gebe ich mich voll und ganz Gott hin.

Das geschieht nicht nur bei der Arbeit, sondern auch beim Spiel, etwas wenn ich Vögel beobachte. Wenn ich mich in Gott darüber freue, wird sich bestimmt auch Gott in mir darüber freuen. Macht nicht diese Kommunion, diese innige Verbindung das Wesen des Gebets aus?

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Donnerstag, 15.10.20

Eine weitere innere Welt des Gebets ist die, zu der das Schweigen die Tür öffnet – das nicht nur von den Ohren wahrgenommene Schweigen, sondern auch die Stille des Herzens, das lichtvolle innere Stillsein, das der Stille eines windstillen Tages mitten im Winter gleicht. Dieses Schweigen glänzt wie jungfräulicher Schnee im Sonnenlicht. Oder es ist wie das Schweigen zwischen einem aufzuckenden Blitz und dem auf ihn folgenden Donnergrollen, also in der kurzen Zeit, in der man den Atem anhält.

Auf einer Insel in Neuengland fand ich einmal an der Granitküste kleine Gezeitentümpel, in denen das Wasser so still und klar stand, dass ich auf ihrem Grund die feinen, wie festliche Wimpel wehenden Fasern von See-Anemonen sehen konnte. Noch viel durchsichtiger ist der innere Raum, den das Schweigen erschließt.

Den Schlüssel dazu finde ich nicht immer, aber wenn, dann trete ich einfach ein. Schon das bloße Darinsein ist Gebet.

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Mittwoch, 14.10.20

Man kann mehrere Gebetshaltungen unterscheiden.

Den Schlüssel zur ersten dieser inneren Welten nenne ich „Wort“. Damit meine ich nicht ein bestimmtes oder bestimmte Worte, sondern die Entdeckung, dass jedes Ding, jeder Mensch und jeder Umstand ein von Gott an mich gerichtetes Wort ist. Dessen Botschaft begreife ich durchaus nicht immer, aber ich weiß, dass ich sie erfasse, wenn ich mit den Ohren meines Herzens wirklich intensiv darauf höre.

Dieses tiefe, bereitwillige Hören ist wie ein „Gehorsam“. Wir verstehen unter Gehorsam oft nur einen Befehl. Aber damit würden wir Gott zu einer Art von überdrehtem Feldwebel machen, der ständig seine Kommandos brüllt. Meiner Erfahrung nach erteilt Gott die meiste Zeit keine Befehle. Gott singt eher, und ich antworte ihm mit Singen. (…)

Unser Herz ist ein hochempfindlicher Empfänger; es kann mittels aller unserer Sinne horchen. Was immer wir hören, aber auch alles, was wir sehen, schmecken, berühren oder riechen, vibriert im Tiefsten im Einklang mit Gottes Lied. Wenn man in dieses Lied mit Dankbarkeit einstimmt, stellt sich große Freude ein.

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Dienstag, 13.10.20

Es gibt eine negative und eine positive Bedeutung von Stille. Negativ aufgefasst bedeutet Stille die Abwesenheit von Geräusch oder Wort.

Es gibt aber auch eine positive Bedeutung.

Stille ist die Matrix, aus der heraus ein Wort geboren wird, das Heim, zu dem es über das Verstehen zurückkehrt.

Ein Wort (im Gegensatz zur Unterhaltung) bricht die Stille nicht. Im echten Wort kommt die Stille zu Wort. Im wirklichen Verstehen kehrt das Wort heim in die Stille.

Für jene, die lediglich die Welt der Worte kennen, ist Stille bloße Leere.

Unser stilles Herz aber kennt das Paradox: Die Leere der Stille ist unerschöpflich reich; alle Worte dieser Welt sind nur ein Tropfen ihrer Fülle.

Von Antonio Lucci | Askese: Einschränkung und Freiheit

Aus: https://www.feinschwarz.net/askese-einschraenkung-und-freiheit/

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Freitag, 09.10.20

[Die] asketischen Praktiken [können] heute noch wichtige Botschaften für das zeitgenössische Leben vermitteln. Wenn es sich einerseits bei den Corona–Isolationsübungen unbestreitbar um Verzichtsübungen (im Vergleich zum zuvor geführten Leben) handelt, können sie andererseits auch als Chancen verstanden werden: Sie ermöglichen uns, einen gerechteren Umgang mit anderen Menschen zu entwickeln, indem wir durch eine Veränderung unserer Lebensweise die Gesundheit anderer schätzen und schützen können. Darüber hinaus – in einer historischen Zeit wie die unsere, in der die Frage nach dem Klimawandel und dem menschlichen Einfluss auf den Planeten dringender denn je geworden ist – lassen sich ähnliche Beobachtungen auf das individuelle Konsumverhalten anwenden. Eine individuelle „Klima-Askese“ kann bestimmt kein Ersatz für die notwendigen Maßnahmen sein, die auf nationaler und internationaler Ebene ergriffen werden müssen, um dem Klimawandel zu begegnen und um die Schaden zu minimieren. Sie kann uns allerdings lehren, dass selbst individuelle Verhaltensweisen und Lebensstile Resonanzeffekte auf andere Lebewesen haben.

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Donnerstag, 08.10.20

Werden jedoch die Ursprünge des asketischen Phänomens betrachtet, […] so lässt sich vielleicht an eine Askese denken, die nicht unbedingt im Sinne von Verzicht und Leid verstanden werden muss. Die Askese ist aus historischer Sicht ein praktischer Weg zur Weisheit gewesen, den Menschen unterschiedlicher Zeitalter und an verschiedenen Orten eingeschlagen haben, um so frei wie möglich zu leben: frei von künstlichen Bedürfnissen, die mit dem sozialen Druck verbunden sind, gepanzert durch physische und psychische Übungen gegenüber den Widrigkeiten, die das Leben mit sich bringt und in der Hoffnung nicht mehr unter ihnen zu leiden.

Die Botschaft, die uns diese Figuren überliefert haben und die Jahrhunderte später auch heute noch und in einer säkularisierten Gesellschaft für gültig gehalten werden kann, besteht darin, Unterscheiden zu können, zwischen dem, was für das eigene Glück notwendig ist, und dem, was überflüssig ist sowie die Fähigkeit, auf das letzte jederzeit verzichten zu können.

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Mittwoch, 07.10.20

Die erzwungene Isolation wegen des Lockdowns hat oft das Bild von christlichen Mönchen und Nonnen hervorgerufen, die in ihren Zellen eingesperrt sind. Die globale Erfahrung, der das Coronavirus uns in diesem Sinne ausgesetzt hat, ähnelt strukturell die der eremitischen Askese aber sie ist auch zutiefst anders.

Die „Corona-Askese“ ist mit historischen Ereignissen verbunden, die sich von denen maßgeblich unterscheiden, die z.B. die christlichen Mönche und Nonnen in der Spätantike dazu bewegten, sich an Orte fernab der damaligen Zivilisation zurückzuziehen. Aber vor allem ist der Zweck dieses Rückzugs ein anderer. Glückseligkeit, Tugend, Unabhängigkeit, Weisheit und Erlösung waren die Ziele der Übungen der Wüstenmönche und der antiken Asketen im Allgemeinen. Diese Figuren waren sich darüber hinaus bewusst, dass sie auch ein alternatives Lebensmodell zu dem in ihren Gesellschaften vorherrschenden verkörperten.

Dieses Bewusstsein prägte während des Lockdowns unseren Alltag größtenteils nicht: Auch deshalb wurde die „Corona-Askese“ als ein belastender – wenn auch notwendiger – Akt des Verzichts empfunden.

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Dienstag, 06.10.20

Die christliche Religion verortete die Glückseligkeit in einer transzendenten Dimension und beeinflusste damit auch die asketischen Praktiken, die oft noch extremer wurden als z.B. diejenigen der vorchristlichen Antike. Christliche Asket*innen, vor allem die der ersten fünf Jahrhunderte nach Christus, die noch stark von der griechisch-römischen Askese beeinflusst waren, fasteten, zogen sich in die Wüste zurück, verzichteten auf menschliche Gemeinschaft(en). Diese christlich-asketischen Lebensformen haben so stark die westliche Vorstellungswelt beeinflusst, dass sie immer noch unsere Auffassung von Askese auf unauslöschliche Weise prägen.

Ihr Ziel blieb jedoch dasselbe wie jenes der vorchristlichen Asketen*innen: das Erlangen der Glückseligkeit, die in diesem Fall mit dem Heil der Seele, mit der ewigen Seligkeit und mit dem Erreichen des Himmelreiches zusammenfiel.

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Samstag, 03.10.20

Wenn auf der einen Seite die Askese also von ihrer sozialen Dimension untrennbar ist, ist sie auf der anderen Seite immer eine körperlich-bedingte Praxis und daher höchst individuell. Es geht also nicht nur darum, eine Botschaft zu vermitteln, sondern vor allem darum, durch die Übung das eigene Leben zu ändern.

Zu welchem Zweck? Um besser zu leben, als man ohne diese Übungen leben würde.

Oder – anders formuliert – um glücklich zu sein.

Wenn man an die berühmtesten Bilder von Asket*innen denkt, scheint es allerdings schwierig, die Figuren der Wüstenmönche, der indischen Sadhu, der Einsiedler*innen usw. mit dem Begriff des Glücks in Verbindung zu bringen.

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Freitag, 02.10.20

Wenn die Antwort auf die Frage „Was ist die ursprüngliche Bedeutung des Wortes Askese?“ relativ einfach ist, d.h. „eine fortlaufende Übung zur Perfektionierung“, scheint diejenige auf eine zweite, genauso wichtige Frage, komplizierter zu sein: „Wozu Askese?“.

Wie die zuvor erwähnten Beispiele der Künstler*innen und der Sportler*innen zeigen, können die Ziele eines „asketischen“ Trainings auch sehr unterschiedlich sein: Die Beherrschung einer Kunst und das Erlangen von Geschicklichkeit in einer körperlichen Übung sind offensichtlich zwei sehr unterschiedliche Praktiken.

Zusätzlich zu dem oben erwähnten Aspekt der Übung ist das gemeinsame Merkmal dieser scheinbar so unterschiedlichen Aktivitäten – was der rote Faden aller asketischen Praktiken ist – ihre Verortet-Sein zwischen Subjekt und Gemeinschaft: Asket*innen praktizieren, verändern ihren Körper und folglich auch ihren Geist immer in Bezug auf eine bestimmte, konkrete Lage, in der sie sich befinden und zu der sie durch ihre Übungen eine bestimmte Art von Beziehung aufbauen. Kurz zusammengefasst: Die Askese ist immer eine soziale Praxis und sie wird daher von der historischen und sozialen Lage beeinflusst, in der sie stattfindet. Die Asket*innen zeigten bereits in der Antike ihren Körper, ihre Übungen, selbst die extremsten, um eine Botschaft zu vermitteln, die in ihrer Einfachheit revolutionäre Züge trug: Diese Welt ist falsch und deswegen ist es notwendig, anders zu leben.

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Mittwoch, 30.09.20

In der Regel evoziert die Verwendung des Begriffes „Askese“ Bilder religiöser Natur. Die erste Assoziation wird bestimmt nicht mit Künstler*innen oder Sportler*innen verbunden. Allerdings waren gerade Kunst und Sport in der griechischen Antike die Bereiche, in denen das Verb askeo verwendet wurde: Am Anfang bedeutete Askese einfach nur „Übung zur Perfektion“ und bezeichnete die Arbeit besonders begabter Handwerker*innen, die in der Lage waren, einen Gegenstand mit Geschick zu bearbeiten. ‚Askese‘ hatte mit manuellen Fertigkeiten zu tun, die durch Arbeit und Erfahrung erlangt wurden.

Ursprünglich waren demnach Asket*innen also Künstler*innen und Sportler*innen: Personen, die tagtäglich eine körperliche oder handwerkliche Übung praktizierten, die sich anstrengten, um eine Perfektion zu erreichen und nicht unbedingt Personen, die in einem religiösen Kontext Einsamkeit, Keuschheit und freiwillige Armut übten und predigten. Erst in einer späteren historischen Phase wurde das Wort auch für die Beschreibung religiöser Praktiken verwendet, und erst mit dem Aufkommen des Christentums wird diese religiöse Bedeutung die vorherrschende werden.

Von Henri Nouwen | Das Gebet ins Leben nehmen

Aus: Henri Nouwen, Dem vertrauen, der mich hält. Das Gebet ins Leben nehmen. Freiburg 2003

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Dienstag, 22.09.20

Die Einladung zu einem Leben des Gebets ist eine Einladung, mitten in dieser Welt zu leben, ohne sich im Netz der Verwundungen und Nöte zu verfangen. Das Wort „Gebet" steht für eine radikale Unterbrechung der unseligen Kette ineinander greifender, zu Gewalt und Krieg führender Abhängigkeiten und für ein Betreten eines vollkommen neuen Lebensraumes. Es verweist auf eine neue Weise des Sprechens, des Atmens, des Zusammenseins, des Erkennens, ja, es zielt auf eine grundlegend neue Lebensweise hin ...

Das Gebet bedeutet das Ausziehen aus der Wohnung derer, die den Frieden hassen, und das Einziehen in das Haus Gottes ... Das Gebet ist die Mitte christlichen Lebens. Es ist das allein Notwendige (vgl. Lk 10,42). Es ist Leben mit Gott hier und jetzt.

Von Walter Flemmer | Jeder braucht seine Wüste

Aus: Walter Flemmer; Jeder braucht seine Wüste

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Samstag, 19.09.20

Thomas Merton sagte einst: „In der Vorstellungswert der Wüstenväter hatte Gott, als Er die Wüste schuf, diese mit einem kostbaren Wert beschenkt. Dieser Wert kann allein mit den Augen des Schöpfers betrachtet werden, da die Einöde für den Menschen den Inbegriff der Wertlosigkeit darstellt. Die Wüste war ein Land, an dem sich menschliche Nutzbarmachung niemals vergreifen konnte.“

Immer wieder kannst du in die Wüste gehen. Immer wieder, vielleicht nur für Minuten oder für eine Stunde eine Pause machen, loslassen von allem, was dich gefangen hält. In die Wüste zu gehen bedeutet, sich zu entschließen, Verzicht für eine begrenzte Zeit auszuüben, auszusteigen aus dem Getriebe des Berufs, der Umwelt, ja auch der Familie. Die Wüste als Ort der Sammlung, der Hingabe, ja des Ausgesetztseins ist überall zu finden, wenn dazu die Bereitschaft besteht.

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Freitag, 18.09.20

Wüste hat im allgemeinen Sprachgebrauch immer auch das Leere, das Bedrohliche, Ausgelieferte bedeutet. Ausgeliefert zu sein in einer hoffnungslosen Situation, ausgeliefert sein an die Elemente, das hat sich immer wieder mit dem Wort Wüste verbunden.

Und so hat das Wort Wüste auch im übertragenen Sinn Eingang in das menschliche Innenleben gefunden.

Fontane hat von „wüster Schicksalslaune“ gesprochen.

Auch das Seelenleben, die Empfindungen können verwüstet sein.

Ausgeliefert zu sein an eine unbarmherzige Wüste, so empfindet derjenige, dem die Bindungen zu anderen Menschen zerrissen sind, derjenige, der enttäuscht wurde. Es kann einem wüst und angst werden.

Die Suche nach Lösungen gleicht der Suche nach einer Wasserstelle, nach einer Oase in der Sandwüste. In der Wüste kann man sich verlaufen, die Orientierung verlieren, überall die gleichen Sanddünen, keine Wegweiser, keine Anhaltspunkte.

Aber in allen Wüsten, auch in den inneren, brauchen Menschen Wegwesier, Kundige, die wissen in welche Richtung man gehen muss. Immer wieder müssen wir an die Hand genommen werden und herausgeführt werden in die Freiheit.

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Donnerstag, 17.09.20

In der Wüste scheint die Zeit still zu stehen. Die Zeitlosigkeit der Wüste, das bewusste Sich-Entfernen aus der Hetze der Zeit, ist die Chance, sich nicht ablenken zu lassen vom Wechsel.

Die Wüste fordert dazu heraus, diesen Alltagslärm abzustellen. Er wäre hinderlich auf dem Weg zu sich selbst, den der eingeschlagen hat, der sich zum Wüstengang entschlossen hat.

Der Kirchenvater Gregor von Nyssa sagt: "Wer in sich selber schaut, sieht in sich das Ersehnte."

Dazu ist es nötig, aus dem Jetzt herauszugehen. Nur wer wenigstens für Augenblicke das hektische Jetzt verlässt, kann den Eingang zum Hineinschauen in sich finden.

Mose wuchs zu sich selbst, als er sich in der Wüste aufhielt, und so vermochte er es, sein Volk aus der Wüste herauszuführen. Wer in der Welt der fordernden, anspornenden Geräusche leben muss, braucht die Minuten des Schweigens, um nicht unterzugehen in den Strudeln des Getöses.

Das Innehalten in der Wüste ist Zeichen für die Notwendigkeit, still zu werden.

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Mittwoch, 16.09.20

In die Wüste gehen. Wüste, ein Wort, das eine magische Dimension entwickelt,

die Versprechung, für einige Zeit den Geschäften des Tages entkommen zu können, unerreichbar für Telefongespräche, für die gewohnte elektronische Kommunikation,

für die man scheinbar in jedem Winkel der Erde anklickbar sein muss.

Alles scheint in der Wüste zu Ende, leer zu sein. Wer in die Wüste geht verzichtet auf den lauten Wechsel des Lebens. Er nimmt Abschied. Er wendet sich ab von Luxus und Überfluss, von allem nicht Notwendigen und Bequemen. Wie Wüste ist unbequem.

Die Landschaft der Wüste macht den Menschen offen. In der Offenheit der Dünen,

bis hin zum Horizont, ist der Einzelne auf sich selbst zurückgewiesen. Alles ist klar, eindeutig, unverstellt. Vielleicht wird erst in der Wüste das Alleinsein möglich. In der Wüste

als dem wirklichen und dem vorstellbaren Ort, an dem nichts mehr ablenkt,

nichts mehr den Blick verstellt.

Wüste, das ist das Heraustreten aus dem Gewohnten, das Sich-selbst-Aussetzen,

das Offenwerden, Entgrenzen. Das Alleinsein ist nicht bedrückende Einsamkeit,

sondern notwendiges Zurückfinden zur eigenen Kraft.

Nur in der Stille kann die Seele Gott erkennen.

Von Kardinal Martini | Marias 'Ja' im Schmerz

Aus: Carlo M. Martini; Seht die Frau. Lebenswege mit Maria, S. 126.133.

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Dienstag, 15.09.20

Gleich nach dem Fest der Kreuzerhöhung lässt uns die Liturgie der Schmerzen Mariens gedenken.

Wir können das Geheimnis des Schweigens Mariä gegenüber dem Schmerz nur im Gebet erahnen.

Maria ist da ganz anders als wir und zugleich macht sie uns Mut. Sie scheint uns zu sagen:

Tu nur, womit du eben beschäftigt bist, schreib, wenn du schreiben musst; melde dich, wenn dein Telefon klingelt; wenn dich jemand sprechen will, so lass ihn vor; bau keine Luftschlösser, denn das führt zu nichts.

Maria gibt uns den unbezahlbaren Wink, bei der augenblicklichen Aufgabe zu bleiben, ohne uns mit der Vergangenheit aufzuhalten oder in Zukunftsgedanken auszuweichen.

Maria, wie oft bleibt uns etwas unbegreiflich! Lass die Demut und die Duldsamkeit, mit der du das Unbegreifliche ertragen hast, unserer Unduldsamkeit, unserem Stolz und hier und da auch unserem Hochmut zu Hilfe kommen, wenn wir etwas nicht begreifen. Heile mit deiner Sanftmut und Beharrlichkeit und deinem geduldigen Schweigen das Aufbegehren, mit dem wir oft unser Leben betrachten. Lass uns dein „Ja“ mitsprechen, das auch im schmerzlichsten Dunkel und im Leid des Nichtbegreifens bis hin zum Kreuz und zur Auferstehung ein Ja bleibt.

Von Peet van Breemen | Zur Liebe geschaffen

Aus: P. van Breemen, „Der Mensch ist geschaffen ...“ Eine befreiende Wahrheit über den Menschen, in: GuL 51/1 (1978) n. 260, 1-10

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Samstag, 12.09.20

Schöpfung meint, dass wir aus der Liebe Gottes hervorgehen. Von Ewigkeit her hat Gott mich gewollt, und sein Verlangen wurde so stark, dass ich eines Tages zur Existenz kam. Wir waren angenommen, ehe wir noch ins Leben traten. (…)

Im Glauben erfahren wir, dass wir von Gott geliebt werden mit einer schöpferischen, zuverlässigen, innigen, ehrfürchtigen, einzigartigen und persönlichen Liebe. Gott liebt mich, so wie ich bin. Er ruft mich bei meinem Namen. Er sorgt sich um mich und versteht mich.

Er kennt meine Freuden und Enttäuschungen, meine Schwäche und meine Stärke. Er weiß um meine Erwartungen und meine Erinnerungen. Er kennt mich durch und durch, denn er hat mich im Schoß meiner Mutter gebildet. Er sieht mich, ob ich lache oder weine, gesund oder krank bin. Er hört meine Stimme, meinen Herzschlag, meinen Atem. Ich kann mich selbst nicht mehr lieben, als er es tut. (…)

Der hl. Augustinus sagt, dass Gott vertrauter mit mir ist, als ich es mit mir selbst bin. Glaube ist das Innewerden dieser Vertrautheit.

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Freitag, 11.09.20

Was jeder Mensch ersehnt und braucht, fast noch mehr als Essen und Trinken, ist Bejahung und Liebe. Gott ist die letzte Erfüllung dieses Bedürfnisses. An seine Liebe sind keinerlei Bedingungen gebunden. Sie ist rein und selbstlos.

Dies schließt ein, dass die Liebe Gottes nicht durch die Zeit begrenzt ist, sondern ewig währt. Seine Liebe hängt nicht von den Umständen ab, sondern ist zuverlässiger als ein massiver Felsen. Sein Annehmen geht bis zum äußersten, bis zum tiefsten Grund unseres Seins. Er liebt uns nicht wegen irgendwelcher Qualitäten oder Tätigkeiten, sondern nimmt uns so, wie wir sind.

Seine Liebe gründet auf nichts. Sie ist die vollkommene Überraschung, der elementare Ursprung. Sie setzt nichts voraus, aber bildet die Grundlage für alles, was wir sind, können und haben. Seine Liebe ist schöpferisch. (…)

Sie bildet den unerschöpflichen Urgrund und die unerschütterliche Rechtfertigung meiner Existenz. Sie ist die letzte Antwort auf das Suchen aller Menschen.

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Donnerstag, 10.09.20

Wie lässt sich heute die „Sünde“ verstehen?

Sie könnte verstanden werden als eine Weigerung, sich lieben zu lassen. Es kann hilfreich sein, die beiden Ebenen zu unterscheiden, auf denen sie sich vollzieht. Die erste fällt schnell ins Auge: hier finden wir konkrete sündige Taten wie Verleumdung, Betrug, Diebstahl usw. Diese konkreten Sünden sind aber nur das Ergebnis der Sünde der tieferen Ebene, die im Abschirmen seiner selbst gegen die schöpferische Liebe Gottes besteht.

Man kann sagen, dass alle Sünden auf der konkreten Ebene Versuche sind, eine Lücke in unserem Leben zu schließen. Von der tieferen Ebene her können wir verstehen, dass die Lücke gar nicht da sein brauchte.

Es geht nicht nur um ein moralisches Problem, sondern eher um eine tief-greifende, falsche Lebensausrichtung, in der die Liebe nicht das Innerste unseres Herzens erfüllt.

Eine Pflanze kann nicht anders, als sich immer der Sonne zuzuwenden, weil sie ohne Sonnenlicht nicht wachsen kann. Aber wir können entscheiden, ob wir uns vom Licht der Liebe Gottes abwenden und dadurch unfruchtbar werden oder ob wir uns diesem Licht zuwenden wollen und dadurch Leben und Fruchtbarkeit von ihm empfangen.

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Mittwoch, 09.09.20

Leben in Übereinstimmung mit sich selbst und mit Gott - mit sich selbst, weil mit Gott - können wir das heute noch so? Diese Frage ist begründet. Manche Begriffe, die für die Christen in der Vergangenheit ausdrucksstark und lebendig waren, sind für die heutige Generation leer geworden. Sie rufen nur Langeweile, wenn nicht sogar Widerwillen hervor. (…)

Selten begegnen wir einem Menschen, der sich - im wahrsten Sinn des Wortes - wirklich liebt oder der es gelernt hat, sich so anzunehmen, wie er ist, mit einer ehrlichen Güte zu sich selbst. (…)

Wenn ein Mensch sich nicht wirklich geliebt weiß, dann bekommen andere Dinge eine enorme Wichtigkeit in seinem Leben: Neigungen und Abneigungen, Genuss, Besitz, Arbeit, gesellschaftliche Stellung, Einfluss und eine Menge anderer Ersatzmittel. (…)

Liebe und nur Liebe kann die Rechtfertigung für unser Leben sein. Wenn mich jemand wirklich liebt, dann erfahre ich mein Leben als lohnend. Wenn ich jemanden liebe, verhält es sich ebenso, mein Leben tut sich auf. (…)

Auf dieser existentiellen Ebene kann die Botschaft unseres Glaubens vermittelt werden ohne Intellektualismus, Gefühlsseligkeit, oder psychologische Ideologien. Sie kann dann ausgeweitet werden als die Antwort auf die tiefsten Fragen des menschlichen Herzens.

Von Heinrich Spaemann | Maria, Mutter im Glauben

Aus: H. Spaemann, Er ist dein Licht. Meditationen für jeden Tag. Jahreslesebuch. Freiburg u.a. (Herder) 1992, 149.

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Dienstag, 08.09.20

Was wir zuinnerst im Auge haben, das formt uns, das prägt uns. Wir werden, was wir schauen. Im gläubigen Hinblick auf Jesus wird Maria ihm von Jahr zu Jahr ähnlicher. Wie er ihr ähnlich ist durch die Geburt, so wird sie ihm ähnlich als dem Sohn Gottes. (...)

Wie wir gesehen werden von einem geliebten und uns liebenden Menschen, das hat entscheidende Bedeutung für die Entfaltung unseres innersten Wesens. Der Liebende sieht den anderen auf sein Eigentliches und Schönstes hin.

Für Maria waren die Nazareth-Jahre Vorbereitung für die Vollendung zu der Gleichförmigkeit mit Jesus. Dreißig Jahre verwandte Jesus darauf, ihr Herz und ihr Wesen für das kommende Reich Gottes zu weiten und damit für die Fragen, Nöte, Leiden, Ängste und Hoffnungen der Armen aller Völker, die Gottes Angesicht und Gottes Erbarmen suchen.

Jesus wollte Maria am Kommen des Reiches Gottes beteiligen können - als Fürbitterin, als Trösterin, als Geduld und Zuversicht Weckende.

Von Peet van Breemen | Leistung und Fruchtbarkeit

Aus: P. van Breemen, Leistung und Fruchtbarkeit. In: GuL 67 (1994), 294−298

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Samstag, 05.09.20

Unser himmlischer Vater weiß, dass wir Nahrung und Kleidung brauchen; und nicht nur das, sondern auch Geborgenheit, Gemeinschaft, Bestätigung, Erfolg, Erfüllung, Herzlichkeit und Liebe. Wir müssen uns um „das alles“ kümmern und dafür planen und wirken. Aber wir sollen es nicht ängstlich suchen. Der Kern des Bundes war immer, dass wir Gott suchen mit ganzem Herzen und mit allen Kräften; und dass Gott für uns sorgt. Es ist ein Austausch der Schwerpunkte.

Die Fruchtbarkeit im Reich Gottes ist oft nicht messbar und lässt sich meistens nicht vorzeigen. Sie bleibt nur zugänglich für den Vater, „der auch das Verborgene sieht“. Sie gibt dem die Ehre, „der wachsen lässt“. Leistung dagegen kann vorgezeigt werden und unsere eigene Ehre fördern. Sie ist stark am Messen und Vergleichen orientiert. Die Spiritualität der Fruchtbarkeit kann uns von diesem Druck befreien und unser Verständnis von dem, was wirklich bedeutsam ist, erweitern.

Es gibt in der Kirche Menschen, die viel leisten, aber wenig Frucht bringen; und umgekehrt gibt es auch Menschen, die wenig leisten, aber sehr fruchtbar sind.

Die Leistung nimmt auf die Dauer ab. Die Fruchtbarkeit demgegenüber bleibt und nimmt vielleicht sogar noch zu. Die Psalmen besingen solche Menschen voll Freude: „Gepflanzt im Haus des Herrn, gedeihen sie in den Vorhöfen unseres Gottes. Sie tragen Frucht noch im Alter und bleiben voll Saft und Frische“ (Ps 92,15).

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Freitag, 04.09.20

Es gibt in jedem Menschen das Urverlangen, zweckfrei bejaht und geliebt zu werden. Wenn wir nur wegen unserer Leistung geschätzt werden, verletzt uns das im Tiefsten. Zwar suchen wir auf der einen Seite Anerkennung durch Leistung, auf der anderen Seite tut es uns aber weh, wenn die anderen uns nur brauchen, weil wir gut „schuften“ können. Wir spüren, wie wir dann reduziert werden. Wir sind mehr als die Leistung, die wir bringen können. Wer selber seinen Selbstwert zu stark aus der Leistung schöpft, kommt früher oder später in eine Krise.

Fruchtbarkeit geschieht immer in der Weise des Weizenkorns, das in die Erde fällt und stirbt und nur so Frucht bringen kann (Joh 12,24). Sicher, auch die Leistung fordert Opfer, aber für die unzeitgemäße Botschaft, sich selbst zu verlieren, wirbt nicht die Leistungsgesellschaft. Diese Wahrheit ist ihr zu tiefst zuwider. Das Evangelium demgegenüber lehrt uns unverblümt, dass wir unser Leben um Christi willen verlieren müssen, um es zu gewinnen.

Fruchtbarkeit setzt Beziehung voraus. Der fruchtbare Mensch lebt aus der Gnade der Beziehung und weiß sehr wohl, dass ihm das Eigentliche geschenkt wird.

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Donnerstag, 03.09.20

Die Leistungsmentalität würgt das kontemplative Element in unserem Leben ab. Ergebnis und Erfolg beherrschen einen Menschen so sehr, dass Gott nicht mehr in der Mitte steht. In der Fruchtbarkeit dagegen kann unsere Aktivität ein heiliger Ort sein, wo wir nicht unsere eigene Ehre, Erfüllung und Bestätigung in die Mitte rücken, sondern wo wir Gott präsent und wirksam sein lassen.

Unsere Tätigkeit wird dann echter Dienst, selbstlos und transparent. Hier liegt der springende Punkt für das „aktiv und zugleich kontemplativ-sein“:

Fruchtbarkeit geschieht in einer Haltung der Unentgeltlichkeit. „Umsonst habt ihr empfangen, umsonst sollt ihr geben“ (Mt 10,8).

Nicht nur unsere Begabung und Talente, sondern unser ganzes Leben ist eine freie Gabe Gottes. Wir müssen unsere Existenzberechtigung gar nicht durch unsere Leistungen verdienen. Wir müssen auch nicht um jeden Preis bedeutsam sein.

Unentgeltlichkeit ist eine lebensnahe Art, zu zeigen, dass unser Leben ein reines Geschenk ohne Berechnung ist.

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Mittwoch, 02.09.20

In der Fruchtbarkeit bleibt Raum für das Geheimnis, das wir nicht durch-schauen, sondern dem wir uns anvertrauen. Wir lassen es sich entfalten, wir lassen es geschehen. Wir sind aufmerksam und engagiert, aber auch entspannt und voller Zuversicht.

Jesus schildert diese Haltung im schönen Gleichnis vom Landmann, der schläft und wieder aufsteht, während inzwischen der Same keimt und wächst, „und der Mann weiß nicht, wie“ (Mk 4,26-29).

Bei der Leistung hingegen will man alle Fäden in der Hand und alles im Griff haben … Das Geheimnis wird so weit als möglich ausgeklammert. Es ist wichtig, alles zu beherrschen. Das bringt Spannung und Stress.

„Ich kann mir keinen schwachen Augenblick erlauben“, sagte jemand, „sonst geht etwas schief.“ Offensichtlich hatte er noch nicht entdeckt, dass schon etwas ganz Lebenswichtiges schiefgegangen war in dieser verkrampften Haltung.

Leistung geht oft auf Kosten der Natur. Fruchtbarkeit dagegen ist gesund und natürlich. Sie entspricht den Gesetzen der Natur und achtet auf die Würde eines jeden Geschöpfs.

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Dienstag, 01.09.20

„Nicht ihr habt mich erwählt, sondern ich habe euch erwählt und dazu bestimmt, dass ihr euch aufmacht und Frucht bringt und dass eure Frucht bleibt“ (Joh 15,16). Das ist unsere Sendung: nicht irgendeine Frucht zu bringen, sondern Frucht, die bleibt. Jesus beschreibt das Reich Gottes immer wieder in Bildern der Fruchtbarkeit. Das Gleichnis vom Weinstock und den Reben zeigt sehr klar, wie die Fruchtbarkeit wesentlich von der Verbindung der Rebzweige mit dem Stamm abhängt.

Wir meinen, das zu verstehen. Es leuchtet ja ein. Fruchtbarkeit bedeutet: etwas werden lassen, produktiv sein, Nutzen bringen. Das Gegenteil ist uns auch klar: eine Rebe, die keine Frucht trägt, ist unproduktiv und nutzlos, muss also beseitigt werden. Ohne es zu merken, deuten wir dann aber die biblische Botschaft im Sinne der Leistungsgesellschaft, und damit verfehlen wir gerade den Kern der Frohbotschaft. (…)

Die Leistungen sind die Norm, nach der wir andere und uns selbst einschätzen. Wir sind dazu erzogen worden, uns immer wieder die Frage zu stellen: „Was leiste ich?“

Die Grenzlinie zwischen Fruchtbarkeit und Leistung ist nur sehr dünn. Sowohl die Fruchtbarkeit als auch die Leistung erfordern Einsatz, Anstrengung, Disziplin und Geduld. Beide kosten etwas. Es ist wichtig, genau hinzuschauen.