VENI CREATOR SPIRITUS
I. Komm, Heilger Geist, der Leben schafft...
Komm, o Schöpfer Geist, besuche unsere Sinne, erfülle mit himmlischer Gnade die Herzen, die du erschaffen hast.
Das allererste Wort ist ein Schrei. Ein Ruf! Keine Information, keine Beschreibung, keine Feststellung, sondern der Ausdruck einer großen Sehnsucht … nach jemandem. Wir bitten nicht um irgendeine besondere Gnade (später wird es auch um die Gaben gehen), sondern um die Gegenwart, das Kommen einer Person. Jemand soll kommen, heimsuchen, erfüllen und segnen! Es geht also zu allererst um … die Sehnsucht. Wir sollen den Heiligen Geist ersehnen, nach ihm Durst haben und immer wieder voller Vertrauen um ihn bitten. Da muss man schon ein bisschen kategorisch sein. Ohne Angst und ohne falsche Bescheidenheit.
„Ich wähle alles“, sagte ganz unbescheiden die Heilige Theresia von Lisieux. Nicht einfach irgendeine Sondergnade, die mir ein bisschen Lebenskraft schenkt. Sondern – ganz und gar den Schöpfergeist! Das ist lebensnotwendig. Der hl. Seraphim von Sarov sagte sogar: „Das Ziel des ganzen christlichen Lebens besteht darin, den Heiligen Geist zu empfangen ..."
Es ist wahr, wir haben ihn schon voll und ganz am Tag unserer Taufe und unserer Firmung bekommen. Und das ist nicht zu unterschätzen! „Vernachlässige Die Gnade nicht, die in dir ist!“, sagt Paulus (1Tim 4,14). Ein Nachfolger der Apostel hat uns eines Tages die Hände aufgelegt. Und trotzdem lautet das erste Wort eines jeden Hymnus zum Heiligen Geist: Komm! Das ist wie die Liebe: Lieben heißt – noch mehr lieben. Wir haben den Heiligen Geist bereits empfangen, und dennoch ersehnen wir ihn eifersüchtig, diesen Geist, der in uns hineingelegt wurde (vgl. Jak 4,5).
Der Geist trägt uns und gibt uns das Leben; er durchdringt unsere Seele, unseren Leib und Geist, aber er will es nicht ohne unser Einverständnis tun. Darum beten wir: Komm!
Diesen ausdrücklichen Ruf nach dem Heiligen Geist finden wir nur ein einziges Mal in der Bibel: Die der Prophezeiung des Ezechiel (Ez 37,9) ist in der Schrift das einzige Gebet, das sich direkt an den Heiligen Geist richtet. Die Kirche hat dieses Gebet übernommen – das ist wie das „Maranatha!“ zum Heiligen Geist.
Vielleicht ist es das Traurigste, was einem im geistlichen Leben passieren kann, ihn nicht mehr zu ersehnen. Und wir können uns fragen: Kommt es vor, dass ich im Laufe des Tages, bei der Arbeit, in meinem Kommen und Gehen, in meinen Begegnungen … um den Heiligen Geist bitte?
Wenn man zu ihm sagt: Komm! – muss man damit rechnen, dass er uns beim Wort nimmt. Nach der Heiligen Schrift ist das sogar die einzige Bitte, von der wir sicher sein können, dass sie wortwörtlich und sofort erhört wird. Gott will uns seinen Heiligen Geist schenken. Davon sollen wir ganz tief im Herzen überzeugt sein. „Er schenkt uns seinen Geist ohne Maß“ (Joh 3,34). „Wenn nun schon ihr, die ihr böse seid, euren Kindern gebt, was gut ist, wieviel mehr wird der Vater im Himmel den Heiligen Geist denen geben, die ihn bitten“, wird Jesus sagen (Lk 11,13). Das ist ein absolutes JA. Eine Verheißung, eine Zusage, die Gott niemals mehr zurückgenommen hat. Jesus selbst „solidarisiert sich“ mit unserem Gebet: „Wenn ihr mich um etwas in meinem Namen bittet, werde ich es tun … und ich werde den Vater bitten, und er wird euch einen anderen Beistand geben, der für immer bei euch bleiben soll…“ (Joh 14, 14-16).
Manchmal möchten wir vielleicht sagen: Es fällt mir schwer, zu ihm zu beten; ich kenne ihn gar nicht richtig … Da sage ich nur einfach: Macht nichts! Einfach anfangen! Und dann wirst Du schon sehen. Aber da muss man dann auch treu sein. Der Geist kommt immer durch das Gebet. Und wenn er kommt, passiert immer irgendetwas. „Euch muss es zuerst um das Reich Gottes gehen“, sagt uns Jesus (Mt 6,33). Und die Wüstenväter haben darunter immer eine Anspielung auf den Heiligen Geist verstanden: „Euch muss es zuerst um den Heiligen Geist gehen!“ Das scheint das einzig Notwendige zu sein. Alles andere wird uns im Übermaß dazu geschenkt werden.
Das Wunderbare an der Sache ist, dass nicht nur wir diesen Geist suchen und ersehnen, sondern dass er uns auch ersehnt. Er will uns erfüllen! Er will sich von uns anziehen lassen!
Er ist also der Schöpfergeist, den wir anrufen und herbeisehnen. Das VENI CREATOR SPIRITUS ist der einzige Text, in dem die Kirche ihn wortwörtlich Schöpfer nennt. Er ist Gott, wird hiermit ausgesagt. Es ist derselbe, der am Anfang über den Wassern schwebte (Gen 1,2), und von diesem Augenblick an wurde das Ur-Chaos zum Kosmos, zur Schönheit und Harmonie, dem Willen Gottes entsprechend.
Ruah, sagt das Hebräische – und damit sind wir wieder bei unseren biblischen Bildern -, und
das bedeutet soviel wie Wind, aber auch Atem, Hauch. Beide Sinnzusammenhänge sind wichtig und um jeden Preis beizubehalten, wenn man das Handeln des Geistes, das immer dynamisch ist (δύναμις), wirklich verstehen will.
Wind und Sturm bringen eine unbezähmbare Kraft, die Freiheit, aber auch die Transzendenz des Geistes zum Ausdruck: Der Wind kann zu einem Orkan werden, der die Felsen zerbrechen lässt (1Kön 19,11). So ist auch dieser Geist das einzige Geheimnis, das den Mut der Apostel nach dem Pfingstereignis erklären kann: „Gott hat uns nicht einen Geist der Verzagtheit gegeben, sondern den Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit“ (2Tim 1,7).
Auf der anderen Seite bezeugen der Atem und der leise Windhauch auch die Güte, die Sanftheit, den Frieden und die Immanenz des Geistes: Er ist der sanftmütige Gast der Seele, wie die Pfingstsequenz singt; er nimmt Maria buchstäblich unter seinen Schatten (Lk 1,15), damit aus ihr die Neuschöpfung, die von Christus erlöste Menschheit geboren werde.
Der Geist schafft eine neue Intimität mit Gott; er führt uns ein in die Vertrautheit mit Gott (hl. Basilius). Es geht um meine liebende Freundschaft. Im Heiligen Geist „besitzen“ wir Gott; er zieht uns hinein in seine Gegenwart; durch ihn sind wir wirklich zuhause, wenn wir bei Gott sind. Er besucht unsere Seele, sucht sie heim, sagt der Text, und diese Intimität übersteigt alle unsere menschliche Vorstellungskraft: Gott in uns und wir in ihm! Er wurde ausgegossen in unsere Herzen (Röm 5,5). Manchmal sprechen wir von einem „Von Herz zu Herz“ mit Christus im Gebet; wir können jetzt auch von einem „Von Atem zu Atem“ mit dem Heiligen Geist sprechen …
Er ist uns innerlicher, als wir es uns selber sind – das war die große Entdeckung des hl. Augustinus. „Der Geist ergründet in uns alles, auch die Tiefen Gottes“ (1Kor 2,10) – dort und nirgendwo anders spielt sich alles Wesentliche ab!
Die Intimität ist übrigens eines der wenigen Worte, die auch in unserem umgangs-sprachlichen Gebrauch eine ausnahmslos positive Bedeutung besitzen: die Intimität der Familie, eines Ehepaares, unseres eigenen Herzens … In der Intimität mit einer anderen Person wird die Versöhnung zwischen Identität und Andersartigkeit, zwischen mir und dir, zwischen ich selbst sein und mit dem anderen sein bezeugt. So wie jede wahre Vaterschaft ihren Namen vom himmlischen Vater hat (vgl. Eph 3,15), so findet jede wahre Intimität ihren Ursprung im Heiligen Geist.
In diesem Sinn ist auch der Heilige Geist die Antwort auf alle unsere Einsamkeiten, welches Gesicht auch immer sie tragen mögen. Natürlich nicht in einem naiven Sinn, der uns vor schmerzhaften Erfahrungen des Alleinseins bewahren würde. Was aber entreißt uns wirklich unserer Einsamkeit? Nicht die Tatsache, inmitten einer Menschenmenge zu sein, sondern mit einem Freund zu sein… Nach der Himmelfahrt Christi will der Geist für uns dieser „untrennbare Gefährte“ (hl. Basilius) sein, der uns nicht verlässt, wenn wir ihn nicht verlassen.
„Der Vater selbst liebt euch“, sagt Jesus (Joh 16, 27). Er hätte auch sagen können: „Der Geist selbst liebt euch“… wir können uns dem Heiligen Geist zuwenden, wie wir es mit einer Person, einem Freund, einer Freundin tun würden. Darin liegt eine sehr große Kraft. Und er beeilt sich, zu kommen. Das ist ganz praktisch: Wir können ihn an jedem Ort und zu jeder Zeit anrufen. Wir können ihn bitten, uns zu helfen, gut zu denken und zu handeln.
Jeden Morgen beten wir zum Heiligen Geist. Es ist ein bisschen so wie ganz am Anfang, als die Erde noch leer war, als der Geist Gottes über den Wassern schwebte. Für uns ist es ja jetzt auch noch die große Leere. Der Tag liegt vor uns. Manches Mal fühlen wir uns innerlich wie eine unbearbeitete, brachliegende Erde, wie ein kleines morgendliches Ur-Chaos … wie auch immer unser innerer Seelenzustand aussehen mag, wir haben den Schöpfergeist so sehr nötig!
Jeder Morgen ist somit ein Neubeginn: der Geist verjüngt alles, was er berührt, er erschafft uns neu; er schwebt auch über dem Mikrokosmos unseres Lebens.
Genau da erlauben wir es dem Geist, uns neu zu erschaffen und unsere Gemeinschaft von innen her aufzubauen. Dort macht der Geist aus uns in seiner Kraft und seiner Zartheit und Sanftmut ein Herz und eine Seele … wie bei einem andauernden Pfingsten (hl. Johannes Chrysostomos).
Der Ruf nach dem Schöpfergeist eröffnet und beendet also diese erste Strophe des Veni Creator. Die Verben werden immer intensiver: Komm! Suche heim! Erfülle! Wir lassen ihm freie Hand. Das ist keine formale Höflichkeitseinladung, in der Hoffnung, dass der andere dankend ablehnen wird… Der Heilige Geist kommt dorthin, wo er geliebt wird, eingeladen und erwartet wird (hl. Bonaventura).
Der Text des VENI CREATOR SPIRITUS auf lateinisch und deutsch
| Rabanus Maurus zugeschrieben |
I. Veni creator Spiritus,
mentes tuorum visita,
imple superna gratia
quae tu creasti pectora.
II. Qui diceris Paraclitus ,
altissimi donum Dei ,
fons vivus, ignis, caritas
et spiritalis unctio.
III. Tu septiformis munere,
digitus paternae dexterae
tu rite promissum Patris
sermone ditans guttura.
IV. Accende lumen sensibus,
infunde amorem cordibus,
infirma nostri corporis
virtute firmans perpeti.
V. Hostem repellas longius,
pacemque dones protinus,
ductore sic te praevio
vitemus omne noxium.
VI. Per te sciamus da Patrem,
noscamus atque Filium,
teque utriusque Spiritum
credamus omni tempore.
VII. Deo Patri sit gloria,
et Filio qui a mortuis
surrexit, ac Paraclito,
in saeculorum saecula.
Amen.
| Übertragung von Friedrich Dörr 1972 |
I. Komm, heil’ger Geist, der Leben schafft,
erfülle uns mit deiner Kraft!
Dein Schöpferwort rief uns zum Sein,
nun hauch uns Gottes Odem ein.
II. Komm, Tröster, der die Herzen lenkt,
du Beistand, den der Vater schenkt!
Aus dir strömt Leben, Licht und Glut,
du gibst uns Schwachen Kraft und Mut.
III. Dich sendet Gottes Allmacht aus
im Feuer und in Sturmes Braus;
du öffnest uns den stummen Mund,
und machst der Welt die Wahrheit kund.
IV. Entflamme Sinne und Gemüt,
dass Liebe unser Herz durchglüht
und unser schwaches Fleisch und Blut
in deiner Kraft das Gute tut.
V. Die Macht des Bösen banne weit,
schenk deinen Frieden allezeit.
Erhalte uns auf rechter Bahn,
dass Unheil uns nicht schaden kann.
VI. Lass gläubig uns den Vater sehn,
sein Ebenbild, den Sohn, verstehn
und dir vertraun, der uns durchdringt
und uns das Leben Gottes bringt.
VII. Den Vater auf dem ew´gen Thron
und seinen auferstandnen Sohn,
dich, Odem Gottes Heil´ger Geist,
auf ewig Erd´ und Himmel preist.
Amen.
| Wolfgang Goethe |
I. Komm heil’ger Geist, du Schaffender,
komm, deine Seelen suche heim;
mit Gnadenfülle segne sie,
die Brust, die du geschaffen hast.
II. Du heißest Tröster, Paraklet,
Des höchsten Gottes Hoch-Geschenk,
Lebend'ger Quell und Liebes-Glut
Und Salbung heiliger Geistes-Kraft.
III. Du siebenfaltiger Gaben-Schatz,
Du Finger Gottes rechter Hand,
Von ihm versprochen und geschickt,
Der Kehle Stimm' und Rede gibst.
IV. Den Sinnen zünde Lichter an,
Dem Herzen frohe Mutigkeit,
Daß wir, im Körper Wandelnden,
Bereit zum Handeln sei'n, zum Kampf.
V. Den Feind bedränge, treib' ihn fort,
Dass uns des Friedens wir erfreun,
Und so an deiner Führer-Hand
Dem Schaden überall entgehn.
VI. Vom Vater uns Erkenntnis gib,
Erkenntnis auch vom Sohn zugleich,
Uns, die dem beiderseit'gen Geist
Zu allen Zeiten gläubig flehn.
VII. Darum sei Gott dem Vater Preis,
Dem Sohne, der vom Tod erstand,
Dem Paraklet, dem Wirkenden
Von Ewigkeit zu Ewigkeit.
Amen.