VENI CREATOR SPIRITUS

III. Dich sendet Gottes Allmacht aus

Komm Heiliger Geist,

Du, siebenfach in deinen Gaben, Finger der Rechten Gottes, feierliche Verheißung des Vaters, legst uns das Wort in den Mund.


Der Heilige Geist wird die höchste Gabe Gottes genannt – jetzt wird ausgesagt, dass er in seinen Gaben vielgestaltig sei. Es geht hier also um das buchstäblich „charismatische“ Wirken des Heiligen Geistes. Er ist der Ursprung der Einheit und der Vielgestaltigkeit der Kirche.

Lange Zeit hat man im Abendland die Charismen als persönliche, individuelle oder sogar mystische Gnadengaben betrachtet … doch sind sie von Gott immer für das Gemeinwohl aller geschenkt (vgl. 1Kor 12,7), also nicht zuerst für die Heiligung der einzelnen Person, sondern für den Dienst am Aufbau der Kirche. Ihr Ursprung ist übernatürlich; es handelt sich nicht um Naturtalente!

Jede Mission, jede Berufung braucht Charismen – und wir müssen lernen, sie zu empfangen! Das setzt ein ständiges Hinhören auf den Heiligen Geist voraus: Was muss ich tun, um dem Wohl aller zu dienen?

Im Zusammenhang mit diesen Gaben wird der Geist dann der Finger an der Rechten Gottes genannt. Die rechte Hand symbolisiert die Macht, die Stärke. Wir glauben, dass der Geist ein Geist der Sanftmut und der Stärke ist. Denn das Bild des Fingers bezeugt auch den Geist, der uns berührt: er ist der „Ort“, an dem Gott seinem Geschöpf begegnet (vgl. Michelangelo, Die Erschaffung des Adam), wo er sich ihm zuwendet. „Wenn ich die Dämonen durch den Finger Gottes austreibe, dann ist das Reich Gottes schon zu euch gekommen“ (Lk 11,20). In der Parallelstelle sagt Mt: „durch den Geist Gottes“ (Mt 12,28) und bezeichnet damit das machtvolle Wirken Jesu in der Kraft des Heiligen Geistes.

Auf dem Sinai hatte der Finger Gottes das Gesetz auf die Steintafeln geschrieben (Ex 31,18), Paulus erkennt nun in der Gemeinde der Gläubigen einen „Brief Christi, geschrieben mit dem Geist des lebendigen Gottes, nicht auf Tafeln aus Stein, sondern in Herzen von Fleisch“ (2Kor 3,3). Auch für uns ist es die eigentliche Herausforderung, uns vom Geist berühren zu lassen, nicht einfach auf der affektiven Ebene, sondern in der Tiefe unseres Glaubens. Der Finger Gottes sucht unseren Finger …

Je mehr wir auf den Wegen des Geistes gehen, umso mehr treten wir auch in diese Feinfühligkeit des Geistes ein. Das ist sehr schön und befreiend, aber auch anspruchsvoll. Manchmal führt er uns dahin, wohin wir nicht unbedingt gehen wollen … Er lehrt uns, im Heute Gottes zu leben und ihm in der Einfachheit unseres Alltags immer noch eine Chance zu lassen. Jedes JA zu Gott zieht den Heiligen Geist an– Maria ist dafür das beste Beispiel …

Sich leiten lassen. Anpassungsfähig sein. „Ihm den Routenplaner überlassen … so ab und zu sogar das Lenkrad … und dann nicht bremsen …“ (Kard. Danneels). Wir werden so innerlich „richtig justiert“, mit Kraft und Sanftheit, manchmal durch einen leisen Anschub, manchmal durch aufsehenerregende Wundertaten – was macht das schon!

Auch wenn uns der Geist bereits gegeben und über die Welt und in unsere Herzen ausgegossen wurde, ist er immer noch und immer wieder der verheißene Geist. Wie auch das Reich Gottes bereits unter uns gegenwärtig ist, aber noch nicht in seiner ganzen Fülle offenbart ist, so haben auch wir, die wir mit seinem Siegel bezeichnet wurden, den „ersten Anteil am verheißenen Heil“ erhalten (2Kor 1,22).

Der Geist drängt uns, weiterzugehen. Er ist der Geist der Verheißung. „Ich werde die Gabe, die mein Vater verheißen hat, zu euch herabsenden“, sagt Jesus (Lk 24,49). Und nach Pfingsten wird Petrus sofort ausrufen: „Denn euch und euren Kindern gilt die Verheißung!“ (Apg 2,39). Die Verheißung, eines Tages für immer in seiner Gegenwart zu leben.

Aber heute schon inspiriert der Geist unser Reden, wenn wir ihn lassen: er legt uns im rechten Augenblick das Wort der Wahrheit in den Mund … Der Heilige Geist schenkt das Wort und schenkt sich durch das Wort. Dieser Vers des Hymnus‘ spielt an auf alle Charismen, die mit dem Wort zusammenhängen: die Predigt, der Gesang, die Zungenrede …

Der Geist wird so zur leisen „Stimme in unseren Stimmen“, und der Sprechende macht diesem heimlich Redenden Platz: „Der wahre Prophet schweigt, wenn er redet“, sagt Philon von Alexandrien. Darum ist es auch gut, den Heiligen Geist anzurufen, wenn wir Zeugnis geben, unterrichten, predigen müssen …Er allein kann die Herzen derer berühren, die uns zuhören.

Der Text des VENI CREATOR SPIRITUS auf lateinisch und deutsch

| Rabanus Maurus zugeschrieben |


I. Veni creator Spiritus,

mentes tuorum visita,

imple superna gratia

quae tu creasti pectora.


II. Qui diceris Paraclitus,

altissimi donum Dei,

fons vivus, ignis, caritas

et spiritalis unctio.


III. Tu septiformis munere,

digitus paternae dexterae

tu rite promissum Patris

sermone ditans guttura.


IV. Accende lumen sensibus,

infunde amorem cordibus,

infirma nostri corporis

virtute firmans perpeti.


V. Hostem repellas longius,

pacemque dones protinus,

ductore sic te praevio

vitemus omne noxium.


VI. Per te sciamus da Patrem,

noscamus atque Filium,

teque utriusque Spiritum

credamus omni tempore.


VII. Deo Patri sit gloria,

et Filio qui a mortuis

surrexit, ac Paraclito,

in saeculorum saecula.

Amen.

| Übertragung von Friedrich Dörr 1972 |


I. Komm, heil’ger Geist, der Leben schafft,

erfülle uns mit deiner Kraft!

Dein Schöpferwort rief uns zum Sein,

nun hauch uns Gottes Odem ein.


II. Komm, Tröster, der die Herzen lenkt,

du Beistand, den der Vater schenkt!

Aus dir strömt Leben, Licht und Glut,

du gibst uns Schwachen Kraft und Mut.


III. Dich sendet Gottes Allmacht aus

im Feuer und in Sturmes Braus;

du öffnest uns den stummen Mund,

und machst der Welt die Wahrheit kund.


IV. Entflamme Sinne und Gemüt,

dass Liebe unser Herz durchglüht

und unser schwaches Fleisch und Blut

in deiner Kraft das Gute tut.


V. Die Macht des Bösen banne weit,

schenk deinen Frieden allezeit.

Erhalte uns auf rechter Bahn,

dass Unheil uns nicht schaden kann.


VI. Lass gläubig uns den Vater sehn,

sein Ebenbild, den Sohn, verstehn

und dir vertraun, der uns durchdringt

und uns das Leben Gottes bringt.


VII. Den Vater auf dem ew´gen Thron

und seinen auferstandnen Sohn,

dich, Odem Gottes Heil´ger Geist,

auf ewig Erd´ und Himmel preist.

Amen.



| Wolfgang Goethe |


I. Komm heil’ger Geist, du Schaffender,

komm, deine Seelen suche heim;

mit Gnadenfülle segne sie,

die Brust, die du geschaffen hast.


II. Du heißest Tröster, Paraklet,

Des höchsten Gottes Hoch-Geschenk,

Lebend'ger Quell und Liebes-Glut

Und Salbung heiliger Geistes-Kraft.


III. Du siebenfaltiger Gaben-Schatz,

Du Finger Gottes rechter Hand,

Von ihm versprochen und geschickt,

Der Kehle Stimm' und Rede gibst.


IV. Den Sinnen zünde Lichter an,

Dem Herzen frohe Mutigkeit,

Daß wir, im Körper Wandelnden,

Bereit zum Handeln sei'n, zum Kampf.


V. Den Feind bedränge, treib' ihn fort,

Dass uns des Friedens wir erfreun,

Und so an deiner Führer-Hand

Dem Schaden überall entgehn.


VI. Vom Vater uns Erkenntnis gib,

Erkenntnis auch vom Sohn zugleich,

Uns, die dem beiderseit'gen Geist

Zu allen Zeiten gläubig flehn.


VII. Darum sei Gott dem Vater Preis,

Dem Sohne, der vom Tod erstand,

Dem Paraklet, dem Wirkenden

Von Ewigkeit zu Ewigkeit.

Amen.