VENI CREATOR SPIRITUS | EINFÜHRUNG



Der Heilige Geist!

Allein schon sein Name, GEIST, weist auf das hin, was in Gott vielleicht am Unaussprechlichsten, am Unfassbarsten ist … Für viele Christen bleibt der Heilige Geist in der Tat der unbekannte Gott. Er ist so geheimnisvoll! Wir können ihn uns nicht vorstellen. Gott-Vater natürlich auch nicht. Aber wir haben dennoch dank unserer irdischen Väter eine kleine Idee von dem, was Vaterschaft bedeuten könnte, auch wenn das alles nur ein sehr fernes Bild darstellt … Jesus hat uns den Vater geoffenbart (Ich denke da an das Gleichnis vom verlorenen Sohn …)

Jesus selbst hat uns kein Autoporträt hinterlassen, aber er war ein Mensch wie wir: er hat gesprochen, gegessen und getrunken, geschlafen … Aber der Heilige Geist?

Auch wenn die Heilige Schrift von der ersten bis zur letzten Seite, vom Buch Genesis bis zum Buch der Offenbarung voll von ihm ist, bleibt er dennoch unfassbar – so lebendig ist er! Die biblischen Bilder, die ihn bezeichnen, stammen alle aus der Natur: Der Geist ist

  • stark und unergreifbar wie der Wind

Das ist natürlich sein erster Name: ruah auf hebräisch, πνευμα auf grieschisch, spiritus auf lateinisch: Wind, Lufthauch, aber auch Lebensatem

  • geheimnisvoll und geduldig, treu wie eine Quelle

Wenn Ihr neben einer Quelle seid, könnt Ihr ruhig schlafen gehen: die Quelle bleibt wach, und am Morgen sprudelt sie immer noch. Auch der Geist wird niemals versiegen. Er ist ein lebendiges Wasser, das den Durst stillt, aber auch überflutet und in uns alles ertränkt, was der Gnade Gottes entgegensteht.

  • warm und lebendig wie das Feuer

Wenn Leute um ein Feuer sitzen, schauen sie sich nicht gegenseitig an, sie schauen in die Flammen. Das Feuer verbindet die Menschen. Es ist nicht nur faszinierend, sondern auch gewaltig. Der Geist ist Feuer, das ansteckt und verbrennt, was unrein und falsch ist.

  • zart und freundlich wie eine Taube

In Form einer Taube ist der Geist bei der Taufe im Jordan auf Jesus herabgekommen. Und auch heute noch, selbst in einem nicht-christlichen Kontext, symbolisiert die Taube den Frieden.

Diese und andere Bilder sind kostbar und können uns helfen, besser zu verstehen, wer der Heilige Geist ist. Aber wir wollen jetzt von einem alten Hymnus zum Heiligen Geist ausgehen, dem ältesten der abendländischen Tradition, dem VENI CREATOR SPIRITUS, der sicherlich ins 9. Jhdt. zurückgeht. Wir stützen uns damit auf ein uraltes Gebet, das schon tausende von Generationen vor uns gebetet haben. Wir werden darin die erwähnten biblischen Bilder wiederfinden, aber wir werden auch sehen, dass diese 4 Bilder durch die Theologie und das Gebet weiterentwickelt wurden.

In der Tat: der Heilige Geist schwebt nicht einfach über der Kirche (so wie er im Uranfang über den Wassern schwebte), sondern er durchdringt die Kirche und die Gläubigen von innen her.

In unseren Monastischen Gemeinschaften von Jerusalem singen wir das Veni Creator alle 14 Tage, eine Woche lang, zu Beginn des stillen Gebets am Morgen. Und es ist fast ein Luxus, es so soft zu singen, denn in der abendländischen Tradition wird es vor allem in den großen und feierlichen Liturgien gesungen: zum Pfingstfest, zur Weiheliturgie, zu Professfeiern, bei Konzilien und Synoden, zur Chrisam-Messe, bei Bischofssynoden, zur Papstwahl

Die Theologie, die in diesem Hymnus zum Ausdruck kommt, lässt darauf schließen, dass er etwa in der Mitte des 9. Jhdt. entstanden ist. Sein Vokabular ist ganz durchdrungen von dem des Johannesevangeliums und seiner Theologie des Heiligen Geistes. Und so schenkt uns das Veni Creator in wenigen Sätzen die vielleicht vollständigste Lehre über den Heiligen Geist, fast wie ein ganz dichter theologischer Traktat …

Wer ist der Autor dieses wunderbaren Textes? Aller Wahrscheinlichkeit nach handelt es sich um einen Mönch, Rhabanus Maurus (780 – 856), der zunächst Abt seines Klosters in Fulda war und dann Erzbischof von Mainz wurde. Er war sicherlich einer der größten Theologen seiner Zeit, ein ausgewiesener Kenner der Heiligen Schrift und der Kirchenväter.

Der Hymnus, um den es hier geht, ist ein ausgesprochen ökumenischer Text: er stammt aus der Zeit, als die Kirche noch ungeteilt war, d.h. noch vor der Kirchenspaltung von 1054 und atmet somit, wie Johannes Paul II es einmal ausgedrückt hat, mit „den beiden Lungenflügeln“ der Kirche und der Theologie.

Es ist gleichzeitig der einzige altlateinische Hymnus, den die Kirchen der Reformation bewahrt haben (Luther hat ihn auch selbst übersetzt) – auch von daher verdient er unsere besondere Aufmerksamkeit. Tauchen wir also jetzt in diesen Hymnus ein!

Der Text des VENI CREATOR SPIRITUS auf lateinisch und deutsch

| Rabanus Maurus zugeschrieben |


I. Veni creator Spiritus,

mentes tuorum visita,

imple superna gratia

quae tu creasti pectora.


II. Qui diceris Paraclitus ,

altissimi donum Dei ,

fons vivus, ignis, caritas

et spiritalis unctio.


III. Tu septiformis munere,

digitus paternae dexterae

tu rite promissum Patris

sermone ditans guttura.


IV. Accende lumen sensibus,

infunde amorem cordibus,

infirma nostri corporis

virtute firmans perpeti.


V. Hostem repellas longius,

pacemque dones protinus,

ductore sic te praevio

vitemus omne noxium.


VI. Per te sciamus da Patrem,

noscamus atque Filium,

teque utriusque Spiritum

credamus omni tempore.


VII. Deo Patri sit gloria,

et Filio qui a mortuis

surrexit, ac Paraclito,

in saeculorum saecula.

Amen.

| Übertragung von Friedrich Dörr 1972 |


I. Komm, heil’ger Geist, der Leben schafft,

erfülle uns mit deiner Kraft!

Dein Schöpferwort rief uns zum Sein,

nun hauch uns Gottes Odem ein.


II. Komm, Tröster, der die Herzen lenkt,

du Beistand, den der Vater schenkt!

Aus dir strömt Leben, Licht und Glut,

du gibst uns Schwachen Kraft und Mut.


III. Dich sendet Gottes Allmacht aus

im Feuer und in Sturmes Braus;

du öffnest uns den stummen Mund,

und machst der Welt die Wahrheit kund.


IV. Entflamme Sinne und Gemüt,

dass Liebe unser Herz durchglüht

und unser schwaches Fleisch und Blut

in deiner Kraft das Gute tut.


V. Die Macht des Bösen banne weit,

schenk deinen Frieden allezeit.

Erhalte uns auf rechter Bahn,

dass Unheil uns nicht schaden kann.


VI. Lass gläubig uns den Vater sehn,

sein Ebenbild, den Sohn, verstehn

und dir vertraun, der uns durchdringt

und uns das Leben Gottes bringt.


VII. Den Vater auf dem ew´gen Thron

und seinen auferstandnen Sohn,

dich, Odem Gottes Heil´ger Geist,

auf ewig Erd´ und Himmel preist.

Amen.



| Wolfgang Goethe |


I. Komm heil’ger Geist, du Schaffender,

komm, deine Seelen suche heim;

mit Gnadenfülle segne sie,

die Brust, die du geschaffen hast.


II. Du heißest Tröster, Paraklet,

Des höchsten Gottes Hoch-Geschenk,

Lebend'ger Quell und Liebes-Glut

Und Salbung heiliger Geistes-Kraft.


III. Du siebenfaltiger Gaben-Schatz,

Du Finger Gottes rechter Hand,

Von ihm versprochen und geschickt,

Der Kehle Stimm' und Rede gibst.


IV. Den Sinnen zünde Lichter an,

Dem Herzen frohe Mutigkeit,

Daß wir, im Körper Wandelnden,

Bereit zum Handeln sei'n, zum Kampf.


V. Den Feind bedränge, treib' ihn fort,

Dass uns des Friedens wir erfreun,

Und so an deiner Führer-Hand

Dem Schaden überall entgehn.


VI. Vom Vater uns Erkenntnis gib,

Erkenntnis auch vom Sohn zugleich,

Uns, die dem beiderseit'gen Geist

Zu allen Zeiten gläubig flehn.


VII. Darum sei Gott dem Vater Preis,

Dem Sohne, der vom Tod erstand,

Dem Paraklet, dem Wirkenden

Von Ewigkeit zu Ewigkeit.

Amen.