VENI CREATOR SPIRITUS

VI. Lass gläubig uns den Vater sehn

Komm Heiliger Geist,

gib, dass wir durch dich den Vater entdecken und dass wir auch den Sohn erkennen; an dich, den gemeinsamen Geist beider lass uns allezeit glauben.


Die letzte Strophe des VENI CREATOR ist wie eine Doxologie, und vielleicht ist es auch die tiefste Strophe. Bis hierher blieb unser Blick horizontal: Wie erkennen den Heiligen Geist ausgehend von dem, was in der Schöpfung und der Geschichte von seinem Handeln sichtbar wird. Aber jetzt öffnet sich hier noch ein ganz anderer, ein vertikaler Horizont:

Diese Strophe spricht vom Geist in Bezug zur Dreifaltigkeit. Das alles ist nicht abstrakt; wir bleiben nicht außen vor: die Strophe ist immer noch als Gebet formuliert: lass uns gläubig sehen, lass uns verstehen, lass uns vertrauen …

Der Geist hilft uns, Gott unseren Vater zu nennen; er schenkt uns die Gewissheit, Kinder Gottes zu sein.

Es fällt auf, dass der Geist in der Bibel nie seinen eigenen Namen ausruft, sondern immer den Namen des Vaters oder des Sohnes. Er lehrt uns nicht, ruah zu sagen, sondern Abba! oder Maranatha! Komm, Herr Jesus!

Er offenbart sich, indem er den Vater und den Sohn offenbart.

Wie der Wind und das Licht unsichtbar bleiben und sich nur in ihren Wirkungen zeigen, so bleibt der Geist unfassbar in seiner Natur, aber fassbar für uns in seiner Güte (hl. Basilius).

Das VENI CREATOR endet mit einer Bitte, die vielleicht die tiefste des ganzen Hymnus ist: Wir bitten nicht darum, den Geist zu verstehen, sondern an ihn zu GLAUBEN. Und zwar nicht an eine Lehre zu glauben (lass uns glauben, dass du der Geist des Vaters und des Sohnes bist), sondern an seine göttliche Person zu glauben (lass uns an dich glauben, der du der Geist des Vaters und des Sohnes bist). An seine göttliche Einwohnung in uns.

50 Tage lang haben wir nicht aufgehört, um sein Kommen zu bitten. Was der Geist bei der Verkündigung geheimnisvoll und ganz diskret in Maria gewirkt hat, hat er öffentlich am Pfingsttag in der ganzen Kirche gewirkt. Und das war das Morgenrot eines ganz neuen Lebens. Das will er auch in uns, persönlich und gemeinschaftlich, wirken.

Das Feiern wir an diesem Pfingstfest wieder neu. Der Geist soll uns ganz neu in seine Freundschaft hineinnehmen. Mit ihm wird alles groß und weit in uns.

Der Text des VENI CREATOR SPIRITUS auf lateinisch und deutsch

| Rabanus Maurus zugeschrieben |


I. Veni creator Spiritus,

mentes tuorum visita,

imple superna gratia

quae tu creasti pectora.


II. Qui diceris Paraclitus,

altissimi donum Dei,

fons vivus, ignis, caritas

et spiritalis unctio.


III. Tu septiformis munere,

digitus paternae dexterae

tu rite promissum Patris

sermone ditans guttura.


IV. Accende lumen sensibus,

infunde amorem cordibus,

infirma nostri corporis

virtute firmans perpeti.


V. Hostem repellas longius,

pacemque dones protinus,

ductore sic te praevio

vitemus omne noxium.


VI. Per te sciamus da Patrem,

noscamus atque Filium,

teque utriusque Spiritum

credamus omni tempore.


VII. Deo Patri sit gloria,

et Filio qui a mortuis

surrexit, ac Paraclito,

in saeculorum saecula.

Amen.

| Übertragung von Friedrich Dörr 1972 |


I. Komm, heil’ger Geist, der Leben schafft,

erfülle uns mit deiner Kraft!

Dein Schöpferwort rief uns zum Sein,

nun hauch uns Gottes Odem ein.


II. Komm, Tröster, der die Herzen lenkt,

du Beistand, den der Vater schenkt!

Aus dir strömt Leben, Licht und Glut,

du gibst uns Schwachen Kraft und Mut.


III. Dich sendet Gottes Allmacht aus

im Feuer und in Sturmes Braus;

du öffnest uns den stummen Mund,

und machst der Welt die Wahrheit kund.


IV. Entflamme Sinne und Gemüt,

dass Liebe unser Herz durchglüht

und unser schwaches Fleisch und Blut

in deiner Kraft das Gute tut.


V. Die Macht des Bösen banne weit,

schenk deinen Frieden allezeit.

Erhalte uns auf rechter Bahn,

dass Unheil uns nicht schaden kann.


VI. Lass gläubig uns den Vater sehn,

sein Ebenbild, den Sohn, verstehn

und dir vertraun, der uns durchdringt

und uns das Leben Gottes bringt.


VII. Den Vater auf dem ew´gen Thron

und seinen auferstandnen Sohn,

dich, Odem Gottes Heil´ger Geist,

auf ewig Erd´ und Himmel preist.

Amen.



| Wolfgang Goethe |


I. Komm heil’ger Geist, du Schaffender,

komm, deine Seelen suche heim;

mit Gnadenfülle segne sie,

die Brust, die du geschaffen hast.


II. Du heißest Tröster, Paraklet,

Des höchsten Gottes Hoch-Geschenk,

Lebend'ger Quell und Liebes-Glut

Und Salbung heiliger Geistes-Kraft.


III. Du siebenfaltiger Gaben-Schatz,

Du Finger Gottes rechter Hand,

Von ihm versprochen und geschickt,

Der Kehle Stimm' und Rede gibst.


IV. Den Sinnen zünde Lichter an,

Dem Herzen frohe Mutigkeit,

Daß wir, im Körper Wandelnden,

Bereit zum Handeln sei'n, zum Kampf.


V. Den Feind bedränge, treib' ihn fort,

Dass uns des Friedens wir erfreun,

Und so an deiner Führer-Hand

Dem Schaden überall entgehn.


VI. Vom Vater uns Erkenntnis gib,

Erkenntnis auch vom Sohn zugleich,

Uns, die dem beiderseit'gen Geist

Zu allen Zeiten gläubig flehn.


VII. Darum sei Gott dem Vater Preis,

Dem Sohne, der vom Tod erstand,

Dem Paraklet, dem Wirkenden

Von Ewigkeit zu Ewigkeit.

Amen.