VENI CREATOR SPIRITUS

IV. Entflamme Sinne und Gemüt

Komm Heiliger Geist,

Entzünde dein Licht im Geist, gieße die Liebe ein ins Herz; was gebrechlich ist in unserem Leib, stärke mit deiner ewigen Kraft.


Die drei ersten Strophen haben uns den Geist vorgestellt, der zum Wohl aller handelt – er ist der Schöpfer aller, der Tröster aller … jetzt wird voller Staunen gesagt, dass der gleiche Geist auch in den Tiefen der menschlichen Person handelt. Nach und nach wird hier der Mensch in seiner Ganzheit betrachtet: mit seiner Vernunft, seiner Affektivität, seiner Leibhaftigkeit. Der Geist will alle Dimensionen unseres Wesens erhellen.

So wird hier für jedes konstitutive Element unserer Person die Beziehung zum Heiligen Geist benannt:

Er ist das Licht für unseren Verstand – damit wir die Wahrheit erkennen können (sensus heißt hier Verstand, Intelligenz, und nicht Sinn in der Bedeutung etwa der 5 Sinne. Den Plural, wie auch cordibus im nächsten Vers, erfordert das Versmaß).

Wir rufen deshalb auch den Geist vor unserer Schriftlesung an – der Heilige Geist hat diese Schrift nicht nur inspiriert, er gibt auch uns das Licht, sie zu verstehen. Alles Meditieren würde steril bleiben, wenn der Heilige Geist nicht unseren Geist erhellen würde. Er durchdringt und übersteigt den Buchstaben. Er er-innert uns an alles, was Jesus getan und gesagt hat. Er formt in uns die Seele eines Jüngers, einer Jüngerin.

Darum rufen wir ihn auch gemeinsam an, wenn wir zu bestimmten Versammlungen zusammen kommen, bevor wir um Verzeihung bitten.

Er ist die Liebe für unser Herz, unsere Affektivität, unseren Willen – damit wir Gott nichts anderes vorziehen.

Die Liebe, die durch den Geist in unsere Herzen ausgegossen wurde (dieser Vers inspiriert sich ohne Zweifel an Röm 5,5), ist das neue Gesetz für die Glaubenden, es ist in die Herzen eingeschrieben (Jer 31,33). Der Geist befreit uns so aus unserem Egoismus, damit wir nicht mehr für uns selber leben (Röm 14,8).

Er führt uns in die wahre Gemeinschaft ein – die Gemeinschaft mit dem Vater und dem Sohn, aber auch mit den Brüdern und Schwestern. Er ist immer diese Bewegung „hin zu Jesus“, um ihn gegenwärtig und offenbar werden zu lassen. Er ist, wie Ignatius von Antiochien es so wunderbar ausdrückt, dieses „lebendige Wasser, das leise in uns ruft: Komm zum Vater!“

Je mehr wir den Geist lieben, desto mehr und besser lieben wir auch die anderen. DIE Frucht des Geistes ist die Liebe. Er offenbart sich da, wo Glaube und Liebe wohnen.

Er ist die Heilung unseres Leibes, unserer Schwachheit, damit sich unser ganzes Leben in den Dienst des Geistes stellen kann.

Diese 4. Strophe endet mit der medizinischen Funktion des Heiligen Geistes. Diese Idee wird von dem anderen großen Heilig-Geist-Hymnus des Veni Sancte Spiritus, der 3 oder 4 Jahrhunderte nach dem Veni Creator entstanden ist, noch weiterentwickelt:

„was befleckt ist, wasche rein,

Dürrem gieße Leben ein,

heile du, wo Krankheit quält…“

Auch das ist in allen Dimensionen unseres Lebens zu verstehen: geistlich, moralisch, psychologisch, aber eben auch physisch: „stärke unsere Körper in ihrer Schwachheit durch deine ewige Kraft“, sagt, kürzer, das VENI CREATOR. Der Leib ist für den Herrn und der Herr für den Leib, den Leib in seiner Ganzheit (vgl. Sakrament der Krankensalbung).

Der Geist kommt also unserer Schwachheit zu Hilfe (Röm 8,26). Es gibt in der Tat eine tiefe Verbindung zwischen dem Geist und dem Leib, d.h. dem Menschen in seiner Gebrechlichkeit und Verletzlichkeit – von Anfang an ist der Geist der Lebensatem des Erdlings Adam. Und diese machtvolle Sanftmut inmitten unserer Schwachheit wird immer ein Zeichen des Heiligen Geistes sein …

Es kann uns auch passieren, dass eine ausweglose Situation, eine Mauer, eine Schwierigkeit … durch den Geist zu einer Gnade wird, denn er weht, wo er will. Er weht über den getrockneten Gebeinen, und sie leben (Ez 37,3). Er will das Leben, nie den Tod! Und wenn unser Herz trocken ist, wird er zur frischen Brise, die beruhigt; wenn unser Herz kalt geworden ist, erwärmt er unsere Kälte. Jeden Tag, den ganzen Tag über, handelt er in uns, um uns wieder aufzurichten. Der hl. Irenäus erkennt im Gleichnis vom barmherzigen Samariter in ihm den Wirt, dem Christus die verletzte Menschheit bis zu seiner Rückkehr anvertraut hat, damit er für sie Sorge trage.

Der Text des VENI CREATOR SPIRITUS auf lateinisch und deutsch

| Rabanus Maurus zugeschrieben |


I. Veni creator Spiritus,

mentes tuorum visita,

imple superna gratia

quae tu creasti pectora.


II. Qui diceris Paraclitus,

altissimi donum Dei,

fons vivus, ignis, caritas

et spiritalis unctio.


III. Tu septiformis munere,

digitus paternae dexterae

tu rite promissum Patris

sermone ditans guttura.


IV. Accende lumen sensibus,

infunde amorem cordibus,

infirma nostri corporis

virtute firmans perpeti.


V. Hostem repellas longius,

pacemque dones protinus,

ductore sic te praevio

vitemus omne noxium.


VI. Per te sciamus da Patrem,

noscamus atque Filium,

teque utriusque Spiritum

credamus omni tempore.


VII. Deo Patri sit gloria,

et Filio qui a mortuis

surrexit, ac Paraclito,

in saeculorum saecula.

Amen.

| Übertragung von Friedrich Dörr 1972 |


I. Komm, heil’ger Geist, der Leben schafft,

erfülle uns mit deiner Kraft!

Dein Schöpferwort rief uns zum Sein,

nun hauch uns Gottes Odem ein.


II. Komm, Tröster, der die Herzen lenkt,

du Beistand, den der Vater schenkt!

Aus dir strömt Leben, Licht und Glut,

du gibst uns Schwachen Kraft und Mut.


III. Dich sendet Gottes Allmacht aus

im Feuer und in Sturmes Braus;

du öffnest uns den stummen Mund,

und machst der Welt die Wahrheit kund.


IV. Entflamme Sinne und Gemüt,

dass Liebe unser Herz durchglüht

und unser schwaches Fleisch und Blut

in deiner Kraft das Gute tut.


V. Die Macht des Bösen banne weit,

schenk deinen Frieden allezeit.

Erhalte uns auf rechter Bahn,

dass Unheil uns nicht schaden kann.


VI. Lass gläubig uns den Vater sehn,

sein Ebenbild, den Sohn, verstehn

und dir vertraun, der uns durchdringt

und uns das Leben Gottes bringt.


VII. Den Vater auf dem ew´gen Thron

und seinen auferstandnen Sohn,

dich, Odem Gottes Heil´ger Geist,

auf ewig Erd´ und Himmel preist.

Amen.



| Wolfgang Goethe |


I. Komm heil’ger Geist, du Schaffender,

komm, deine Seelen suche heim;

mit Gnadenfülle segne sie,

die Brust, die du geschaffen hast.


II. Du heißest Tröster, Paraklet,

Des höchsten Gottes Hoch-Geschenk,

Lebend'ger Quell und Liebes-Glut

Und Salbung heiliger Geistes-Kraft.


III. Du siebenfaltiger Gaben-Schatz,

Du Finger Gottes rechter Hand,

Von ihm versprochen und geschickt,

Der Kehle Stimm' und Rede gibst.


IV. Den Sinnen zünde Lichter an,

Dem Herzen frohe Mutigkeit,

Daß wir, im Körper Wandelnden,

Bereit zum Handeln sei'n, zum Kampf.


V. Den Feind bedränge, treib' ihn fort,

Dass uns des Friedens wir erfreun,

Und so an deiner Führer-Hand

Dem Schaden überall entgehn.


VI. Vom Vater uns Erkenntnis gib,

Erkenntnis auch vom Sohn zugleich,

Uns, die dem beiderseit'gen Geist

Zu allen Zeiten gläubig flehn.


VII. Darum sei Gott dem Vater Preis,

Dem Sohne, der vom Tod erstand,

Dem Paraklet, dem Wirkenden

Von Ewigkeit zu Ewigkeit.

Amen.