VENI CREATOR SPIRITUS
II. Komm, Tröster, der die Herzen lenkt
Komm Heiliger Geist, der du Paraklet genannt wirst, größte Gabe Gottes, lebendiges Wasser, Feuer, Liebe und geistliche Salbung.
Mit dieser Strophe betrachten wir jetzt den Heiligen Geist im Herzen der Kirche. Nachdem wir inständig um sein Kommen gebeten haben, lassen wir uns nun durch diesen Hymnus hineinziehen in einen großen Jubelgesang.
Der erste Name (im biblischen Denken drückt ein Name ja immer die Person, ihre innerste Mitte aus), der dem Geist nach dem Schöpfer-Titel gegeben wird, ist der Name PARAKLET. Dieses Wort, das man nur im Johannesevangelium findet, ist in seinem Facettenreichtum kaum im Deutschen wiederzugeben. Er ist derjenige, der neben einem steht, der Anwalt, der jemanden verteidigt, ihn schützt und für ihn eintritt, der Verteidiger, aber auch der Tröster, der die Last mitträgt … „Ich lasse euch nicht als Waisen zurück,“ sagt Jesus, „ich werde den Vater bitten, und er wird euch einen anderen Beistand geben, der für immer bei euch bleiben soll“ (Joh 14, 18.16). Und das ist genau die Erfahrung der noch jungen Kirche: Sie war „erfüllt von den Tröstungen des Heiligen Geistes“ (Apg 9,31).
Auch da spiegelt das VENI CREATOR unsere eigenen Erfahrungen wider. Es ist wahr: wenn wir voll Vertrauen den Heiligen Geist anrufen, so findet er „Wege und Weisen der Tröstung; er hat Arten der Aufmerksamkeit, die die Zartheit und Findigkeit menschlicher Liebe weit übertreffen …“ (A.Delp).
Sein Trost besteht nicht darin, mit einem Wort die schwierige Situation oder die Verzweiflung von uns zu entfernen, sondern sie von innen her zu durchdringen, bis sie für uns zu einer ganz neuen Wirklichkeit geworden ist. Das ist das Wirken des Geistes in uns. Dadurch macht er uns zugleich fähig, selbst zu wahren Parakleten für andere zu werden, das heißt andere trösten zu lernen: „Er tröstet uns in all unserer Not, damit auch wir die Kraft haben, alle zu trösten, die in Not sind, durch den Trost, mit dem auch wir von Gott getröstet werden“ (2Kor 1,4) – indem wir ihm unsere Hände, unseren Blick, unsere Worte, unsere Arbeit … ganz zur Verfügung stellen.
Der Geist wird nun genannt: Geschenk des höchsten Gottes (Donum Dei altissimi). Die meisten Interpreten dieses Hymnus‘ sind sich darin einig, dass es im Originaltext, in Einklang mit den Kirchenvätern, geheißen hat: „donum Dei altissimum“ – „höchste Gabe Gottes“. Viele biblische Passagen bezeichnen den Heiligen Geist als die Gabe Gottes. Das ist schon fast sein Eigenname, selbst im Inneren der heiligen Dreifaltigkeit, sagen die Väter, wo er wie die gemeinsame Liebe von Vater und Sohn hervortritt, die personifizierte Liebe zwischen Vater und Sohn, die reine Selbsthingabe ist (hl. Augustinus).
Im Folgenden häufen sich dann die Bilder, die diese göttliche Wirklichkeit zu bezeichnen versuchen, die sich im ganzen Leben der Kirche auswirkt: Lebendige Quelle, Feuer, Liebe, geistliche Salbung (die Reihenfolge im lateinischen Original ist bedeutsam!) – das alles weist auf das sakramentale Wirken des Heiligen Geistes hin:
Die Wasserquelle weist auf die Taufe hin,
das Feuer auf die Firmung
die Liebe auf die Eucharistie
die Salbung auf die Chrisam-Salbung bei der Taufe, Firmung, Priesterweihe und Krankensalbung
Wir haben hier also in wenigen Zeilen so etwas wie einen katechetischen Schnelldurchlauf!
Die Wasserquelle
Das ist natürlich das Wasser, das uns Jesus verheißen hat: „Wenn du wüsstest, worin die Gabe Gottes besteht … Er hätte dir lebendiges Wasser gegeben“ (Joh 4,10), denn „wenn jemand nicht aus Wasser und Geist geboren wird, kann er nicht in das Reich Gottes kommen“ (Joh 3,5). Der Geist selbst wird lebendiges Wasser genannt: „Wer Durst hat, komme zu mir, und es trinke, wer an mich glaubt … Aus seinem Inneren werden Ströme von lebendigem Wasser fließen. Damit meinte er den Geist …“ (Joh 7,37…39). Es geht hier also um eine Wiedergeburt und um das wahre Leben, das ewige Leben, an dem wir durch die Taufe schon jetzt in diesem Leben Anteil haben.
Das Feuer
Der Geist ist nicht nur Licht; er ist auch Feuer! Nach dem Wasser erscheint dieses Bild ein wenig gegensätzlich – aber der Geist lässt sich auch nicht in einem einzigen Symbol einschließen! Das Feuer erinnert natürlich an die Feuerzungen des Pfingsttages (Apg 2,3-4); das große Heilsereignis, das jedes Jahr am 50. Tag nach Ostern und in jeder Firmung aktualisiert wird.
Das Feuer ist ein „aktives Prinzip“, das erwärmt und erhellt, aber das auch zerstören kann, und selbst das ist noch einmal lebens-not-wendig für uns: der alte Mensch in uns muss ja sterben, sagt Paulus. Der Geist erschafft uns neu, indem er in uns den neuen Menschen erschafft. Johannes der Täufer ruft aus, als er Jesus sieht: „Er wird euch mit Heiligem Geist und mit Feuer taufen!“ (Mt 3,11). Und Jesus selbst wird von sich sagen: „Ich bin gekommen, um Feuer auf die Erde zu werfen!“ (Lk 12,49). Der Geist Jesu Christi wird alle unsere Mittelmäßigkeiten verbrennen und uns von unseren Oberflächlichkeiten reinigen: Er wird in uns Feuer sein!
Die Liebe
„Gott ist Liebe“, schreibt Johannes (1 Joh 4,8), und das ist sicherlich einer der umwerfendsten Sätze des Heiligen Schrift. Auch hier sagen wir mit dem Hymnus: der Geist ist die Liebe in Person: die Liebe von Vater und Sohn, wie wir schon gesagt haben, aber auch die Liebe, die in Fülle durch den Heiligen Geist in unsere Herzen ausgegossen worden ist (Röm 5,5). In diesem Zusammenhang ist die Liebe eine Anspielung auf die Eucharistie, die ja das Sakrament der Liebe schlechthin ist und in der uns Christus durch den Heiligen Geist (Epiklese!) in seinem Ostergeheimnis geschenkt wird. So durchdringt uns die Liebe Gottes, aber sie bleibt nicht bei uns stehen: sie drängt noch über uns hinaus, lädt uns ein, unsere eigene Enge zu überschreiten und so zu lieben, wie Jesus geliebt hat.
Die Salbung
Das Symbol der Salbung bezeichnet die innere Umwandlung, die der Geist in uns vornimmt. Das ist sein grundlegendes Wirken: Er macht uns Christus ähnlich. Dieses Wort fasst in gewisser Weise die ganze Heilsgeschichte zusammen: da ist die Rede von der Salbung der Könige, Priester, Propheten … und der Christus ist der Gesalbte Gottes …
Die Salbung bleibt in den Sakramenten der Kirche präsent, aber neben diesen „rituellen“ Salbungen gibt es auch diese fortdauernden und unsichtbaren (aber nicht weniger geistlichen!) Salbungen, um die wir Gott jedesmal bitten können, wenn wir uns vor einer wichtigen Entscheidung oder wichtigen Handlung befinden.
Manchmal spüren wir fast körperlich diese Salbungen: wir empfinden einen großen Frieden, eine innere Ruhe, eine echte Gelassenheit … Das ist eine ganze Lebenshaltung! Aber das ist auch viel tiefer als alles Empfinden und Erspüren. Aus dieser Salbung leben bedeutet: alles in der Gegenwart und unter der Führung des Heiligen Geistes tun. Bereit sein, den „Wohlgeruch Christi“ (2Kor 2,15) überall dort zu verbreiten, wo Gott uns hingestellt hat.
Der Text des VENI CREATOR SPIRITUS auf lateinisch und deutsch
| Rabanus Maurus zugeschrieben |
I. Veni creator Spiritus,
mentes tuorum visita,
imple superna gratia
quae tu creasti pectora.
II. Qui diceris Paraclitus,
altissimi donum Dei,
fons vivus, ignis, caritas
et spiritalis unctio.
III. Tu septiformis munere,
digitus paternae dexterae
tu rite promissum Patris
sermone ditans guttura.
IV. Accende lumen sensibus,
infunde amorem cordibus,
infirma nostri corporis
virtute firmans perpeti.
V. Hostem repellas longius,
pacemque dones protinus,
ductore sic te praevio
vitemus omne noxium.
VI. Per te sciamus da Patrem,
noscamus atque Filium,
teque utriusque Spiritum
credamus omni tempore.
VII. Deo Patri sit gloria,
et Filio qui a mortuis
surrexit, ac Paraclito,
in saeculorum saecula.
Amen.
| Übertragung von Friedrich Dörr 1972 |
I. Komm, heil’ger Geist, der Leben schafft,
erfülle uns mit deiner Kraft!
Dein Schöpferwort rief uns zum Sein,
nun hauch uns Gottes Odem ein.
II. Komm, Tröster, der die Herzen lenkt,
du Beistand, den der Vater schenkt!
Aus dir strömt Leben, Licht und Glut,
du gibst uns Schwachen Kraft und Mut.
III. Dich sendet Gottes Allmacht aus
im Feuer und in Sturmes Braus;
du öffnest uns den stummen Mund,
und machst der Welt die Wahrheit kund.
IV. Entflamme Sinne und Gemüt,
dass Liebe unser Herz durchglüht
und unser schwaches Fleisch und Blut
in deiner Kraft das Gute tut.
V. Die Macht des Bösen banne weit,
schenk deinen Frieden allezeit.
Erhalte uns auf rechter Bahn,
dass Unheil uns nicht schaden kann.
VI. Lass gläubig uns den Vater sehn,
sein Ebenbild, den Sohn, verstehn
und dir vertraun, der uns durchdringt
und uns das Leben Gottes bringt.
VII. Den Vater auf dem ew´gen Thron
und seinen auferstandnen Sohn,
dich, Odem Gottes Heil´ger Geist,
auf ewig Erd´ und Himmel preist.
Amen.
| Wolfgang Goethe |
I. Komm heil’ger Geist, du Schaffender,
komm, deine Seelen suche heim;
mit Gnadenfülle segne sie,
die Brust, die du geschaffen hast.
II. Du heißest Tröster, Paraklet,
Des höchsten Gottes Hoch-Geschenk,
Lebend'ger Quell und Liebes-Glut
Und Salbung heiliger Geistes-Kraft.
III. Du siebenfaltiger Gaben-Schatz,
Du Finger Gottes rechter Hand,
Von ihm versprochen und geschickt,
Der Kehle Stimm' und Rede gibst.
IV. Den Sinnen zünde Lichter an,
Dem Herzen frohe Mutigkeit,
Daß wir, im Körper Wandelnden,
Bereit zum Handeln sei'n, zum Kampf.
V. Den Feind bedränge, treib' ihn fort,
Dass uns des Friedens wir erfreun,
Und so an deiner Führer-Hand
Dem Schaden überall entgehn.
VI. Vom Vater uns Erkenntnis gib,
Erkenntnis auch vom Sohn zugleich,
Uns, die dem beiderseit'gen Geist
Zu allen Zeiten gläubig flehn.
VII. Darum sei Gott dem Vater Preis,
Dem Sohne, der vom Tod erstand,
Dem Paraklet, dem Wirkenden
Von Ewigkeit zu Ewigkeit.
Amen.