Kommentar | Aschermittwoch | Joel 2,12-18

MITTAGSGEBET | Mittwoch | 02.03.21

Lesung aus dem Buch Joël (2,12-18)

12Spruch des Herrn: Kehrt um zu mir von ganzem Herzen mit Fasten, Weinen und Klagen! 13Zerreißt eure Herzen, nicht eure Kleider, und kehrt um zum Herrn, eurem Gott! Denn er ist gnädig und barmherzig, langmütig und reich an Huld und es reut ihn das Unheil. 14Wer weiß, vielleicht kehrt er um und es reut ihn und er lässt Segen zurück, sodass ihr Speise- und Trankopfer darbringen könnt für den Herrn, euren Gott. 15Auf dem Zion stoßt in das Horn, ordnet ein heiliges Fasten an, ruft einen Gottesdienst aus! 16Versammelt das Volk, heiligt die Gemeinde! Versammelt die Alten, holt die Kinder zusammen, auch die Säuglinge! Der Bräutigam verlasse seine Kammer und die Braut ihr Gemach. 17Zwischen Vorhalle und Altar sollen die Priester klagen, die Diener des Herrn sollen sprechen: Hab Mitleid, Herr, mit deinem Volk und überlass dein Erbe nicht der Schande, damit die Völker nicht über uns spotten! Warum soll man bei den Völkern sagen: Wo ist denn ihr Gott? 18Da erwachte im Herrn die Leidenschaft für sein Land und er hatte Erbarmen mit seinem Volk.

KOMMENTAR (Sr. Marlene FMJ)

Heute, am Aschermittwoch, gibt es kein Schuldbekenntnis in der Messfeier, es wird ersetzt durch etwas anderes. Nicht durch ein zusätzliches Gebet, keine Litanei, nicht ein MEHR an Worten steht im Mittelpunkt, sondern ein WENIGER. Das Schuldbekenntnis wird ersetzt durch ein stilles, für sich selbst sprechendes Zeichen, eine Geste, eine Bewegung, ein Hinhalten, ein An- und Aushalten: der Empfang des Aschenkreuzes.

In diesen Tagen sind wir traurig, wütend, wir fühlen uns vielleicht hilflos oder voller Scham aufgrund all der Nachrichten, die uns aus der Ukraine erreichen, oder auch aufgrund innerkirchlicher Missstände. Wie heute von Umkehr, von Fasten, von Buße reden, wenn um uns und auch in uns Verzweiflung, Angst, Wut, Scham und Traurigkeit alles Schöne und jedes Ideal, viele Werte zudecken? Ist das nicht eine Zumutung?

Vielleicht ging es Joel und den Menschen seiner Zeit ähnlich und sie können uns zu Weggefährten werden auf diesem spannenden, bewegten Weg durch diese Zeit: Damals wurde das Land Juda durch Heuschrecken so verwüstet, dass nichts zu essen übrig blieb; auch für die täglichen Opfer im Tempel war nichts mehr da. Darum wirft er dem Volk und auch uns eine Einladung entgegen, ein Wort Gottes, das Bewegung auslöst, Mut macht und Raum öffnet, inmitten von Angst, Lähmung und Unsicherheit: Kehrt euch mir zu, mit ganzem Herzen, mit Fasten, Weinen und Klagen! Nicht eine liturgische Bußfeier soll es sein – eure Feiern und Feste sind mir zuwider, heißt es bei anderen Propheten wie Hosea, Amos und Jesaja, nicht eine Anhäufung von Worten, Lehren und Dogmen, sondern eine wirkliche Bewegung, eine gemeinsame Be-kehrung und Heimkehr: Versammelt alle, holt die Kinder, ein jeder verlasse seine Kammer, eine Hinwendung des ganzen Menschen, zum barmherzigen Gott. Wer weiß, vielleicht ist auch Gott der Erste, der die Umkehr in sich selber lebt, der sich eben nicht ab- sondern uns zuwendet? Ich möchte uns einladen, das Wort umkehren, shuv im hebräischen, heute umzudrehen, und unsere Welt, unsere spirituelle Welt, warum nicht, auch mal auf den Kopf stellen zu lassen, uns anfragen lassen. Umkehren geht nicht, sagt ein libanesischer Dichter: Der Fluss kann nicht umkehren. Niemand kann umkehren, umkehren ist in der Existenz unmöglich. Der Fluss muss das Risiko eingehen, in den Ozean zu fließen, denn nur dann verschwindet seine Angst. Dort wird der Fluss erfahren, dass es nicht darum geht, im Ozean zu verschwinden, sondern der Ozean selbst zu werden. Auch beim Paartanzen geht umkehren nicht. Wir können uns drehen, zu- oder abwenden, es gibt Figuren, eine Choreographie, wir erleben Attraktion, ein Folgen, Sich-Fallenlassen, Sich-Führenlassen. Sogar beim Tango ist die entgegengesetzte Kehre keine wirkliche Abkehr, sondern ein gemeinsames Luftholen, ein Ausholen zum neuen Schwung, zu einer harmonischeren Einheit im Rhythmus. Vielleicht denkt jemand auch an das Gedicht von Madeleine Delbrel, der Ball des Gehorsams: Lehre uns, jeden Tag die Umstände unseres Menschseins anzuziehen wie ein Ballkleid..., Gib dass wir unser Dasein leben, nicht wie einen Lehrsatz, nicht wie ein Schachspiel, sondern wie ein Fest ohne Ende, bei dem man dir immer wieder begegnet, wie einen Ball, wie einen Tanz, in den Armen deiner Gnade, zu der Musik allumfassender Liebe. Welche Anfrage höre ich für mich heute in diesem Wort der Umkehr, der Zukehr? Kehrt euch mir zu, mit ganzem Herzen, mit Fasten, Weinen und Klagen. Womit gehe ich heute auf Gott, auf meine Mitmenschen, und auf mich selbst zu?

Klaus Hemmerle verwendete immer wieder verkehrte, umgekehrte Wortspiele in seinen Predigten, um von der Zuwendung und der Hochachtung Gottes zu uns zu sprechen, ich möchte heute eines davon mit euch teilen: „Gedenke, o Staub, dass du Mensch bist!“ Der Satz klingt ungewöhnlich, denn er ist umgekehrt. Aber diese Umkehrung tut not, sagt uns Hemmerle. Gott hat diesen Staub geformt zu seinem Ebenbild sodass wir im Staub die Größe Gottes leben können. Welch große Herausforderung und auch Zumutung, aus diesem Kleinsein, aus dieser Armseligkeit uns aufzurichten und den Mut zum ganzen Menschsein zu haben. Mut zur Größe, zum Ganzen, zur Gottebenbildlichkeit, zum Sich-der-Welt-und-den-Mitmenschen-zukehren. In der Arbeit, zuhause, auf der Straße, hier im Gebet, an den Ruinen meines Lebens sitzend – überall und allezeit möchte ich diese Umkehr als Zuwendung bewusst leben und aushalten.

Ja, wer weiß, vielleicht ist die Umkehr, das Fasten, Beten und Teilen, zu denen mich der Herr dieses Jahr einlädt, eine neue und bewusst gewählte Zukehr, Zuwendung. Herr, hier bin ich, dir zugewandt. Sende mich.