Kommentar zum Zweiten Lied vom Gottesknecht | Jesaja 49,1-6

MITTAGSGEBET | DIENSTAG DER KARWOCHE | 07.04.20

Lesung aus dem Buch Jesaja (49,1-6)

1Hört auf mich, ihr Inseln, merkt auf, ihr Völker in der Ferne! Der Herr hat mich schon im Mutterleib berufen; als ich noch im Schoß meiner Mutter war, hat er meinen Namen genannt.

2Er machte meinen Mund zu einem scharfen Schwert, er verbarg mich im Schatten seiner Hand. Er machte mich zum spitzen Pfeil und steckte mich in seinen Köcher.

3Er sagte zu mir: Du bist mein Knecht, Israel, an dem ich meine Herrlichkeit zeigen will.

4Ich aber sagte: Vergeblich habe ich mich bemüht, habe meine Kraft umsonst und nutzlos vertan. Aber mein Recht liegt beim Herrn und mein Lohn bei meinem Gott.

5Jetzt aber hat der Herr gesprochen, der mich schon im Mutterleib zu seinem Knecht gemacht hat, damit ich Jakob zu ihm heimführe und Israel bei ihm versammle. So wurde ich in den Augen des Herrn geehrt, und mein Gott war meine Stärke.

6Und er sagte: Es ist zu wenig, dass du mein Knecht bist, nur um die Stämme Jakobs wieder aufzurichten und die Verschonten Israels heimzuführen. Ich mache dich zum Licht für die Völker; damit mein Heil bis an das Ende der Erde reicht.

Kommentar zur Lesung

Ein Gesicht setzt sich uns heute auf geheimnisvolle Weise aus. Unergründlich und verwundbar, am Ende seiner Kräfte und zugleich geehrt und verherrlicht, erfüllt von einer unerklärlichen Gegenwart, die sich unserem Zugriff entzieht und uns zugleich fasziniert und uns unwiderstehlich an sich zieht.

Wenn wir dieses Gesicht betrachten, es geduldig und suchend anschauen, drängt sich uns still eine Frage auf, der wir nicht ausweichen können - fast wie eine brennende Wunde, die uns auf den Leib rückt und von der wir nicht mehr geheilt werden:

Und ihr? Was sagt ihr?

Für wen haltet ihr mich? (Mt 16,15)

Wir ahnen: Diese vier Lieder vom Gottesknecht, die wir in diesen Tagen der Heiligen Woche hören, kommen von weither her zu uns und gehen noch weit über uns hinaus. Eines Tages haben sie sich für immer eingeschrieben in das Angesicht des Vielgeliebten, des eingeborenen Sohnes des Vaters.

Er war so ganz anders, als wir uns den Großen, den Erwählten Gottes vorgestellt hätten. Ihm ging es nicht um die Liebe zur Macht, sondern allein um die Macht der Liebe.

In selbst gewählter, liebender All-Ohnmacht kam er, um zu retten, was verloren ist. Von ihm singen die Lieder:

Er zerbricht nicht das geknickte Rohr und löscht den glimmenden Docht nicht aus (Jes 42,3),

er stärkt die Müden durch ein aufmunterndes Wort (Jes 50,4), er trägt unsere Krankheit und nimmt unsere Schmerzen auf sich (Jes 53,4).

So unglaublich es klingt: unser Gott, Jesus Christus, hat eine Schwäche für die Schwachen.

Ihm ist das Zerbrochene und Gescheiterte, ihm sind die Dunkelheiten unseres Lebens nicht fremd. Er hat sie sich zu eigen gemacht, hat sie an seinem Leib ausgehalten und sich genau darin mit uns für immer verbunden.

Bis zum äußersten Ende, bis an das Ende der Erde und bis zum Äußersten unserer selbst geht seine göttliche Liebe;

bis zum letzten, bis aufs Blut hält er diesen Neuen Bund mit uns durch.

Wir können aus der Welt hinaussterben, aber nicht mehr aus der Gemeinschaft mit ihm.

Die ist stärker als der Tod.

Die umfängt alles mit Heil und Leben.

Das ist der Osterweg des Gottesknechtes.

Auf diesem Weg wird seine Gnade heute noch ihre Kraft auch in unserer Schwachheit erweisen (2Kor 12,9).

Wenn wir mit ihm gehen.

Und zulassen, dass er uns, tatsächlich uns! meint

und so liebt.

Das ist dann unsere Ostergeschichte.