Kommentar | Donnerstag Thérèse von Lisieux| Jes 66,10-14

MITTAGSGEBET | Donnerstag | 01.10.20

Lesung aus dem Buch Jesaja

10Freut euch mit Jerusalem! Jubelt in der Stadt, alle, die ihr sie liebt. Seid fröhlich mit ihr, alle, die ihr über sie traurig wart.

11Saugt euch satt an ihrer tröstenden Brust, trinkt und labt euch an ihrem mütterlichen Reichtum!

12Denn so spricht der Herr: Seht her: Wie einen Strom leite ich den Frieden zu ihr und den Reichtum der Völker wie einen rauschenden Bach. Ihre Kinder wird man auf den Armen tragen und auf den Knien schaukeln.

13Wie eine Mutter ihren Sohn tröstet, so tröste ich euch; in Jerusalem findet ihr Trost.

14abcWenn ihr das seht, wird euer Herz sich freuen, und ihr werdet aufblühen wie frisches Gras. So offenbart sich die Hand des Herrn an seinen Knechten.

Kommentar

Diese Lesung zum heutigen Fest macht mich perplex. Da mich Thérèse von Lisieux schon ewig begleitet, meine ich, sie gut zu kennen. Meine erste Reaktion zu dieser Lesung war: das passt einfach nicht zu ihr!

Privilegierte, geschützte Kindheit zwar, aber nicht ohne Leiden und Prüfungen. Es war sicherlich nicht in ihrer Kindheit, dass sie erfuhr, wie es ist, sich satt zu saugen an einer tröstenden Brust, nach den sukzessiven Verlusten einer an Brustkrebs erkrankten Mutter, der geliebten Amme und ihrer ältesten, als 2. Mutter adoptierten Schwester.

Und auch nicht, als sie Erwachsene war, als sie schlicht gesagt hat: ich fand das Klosterleben, so wie ich es mir vorgestellt hatte, kein Opfer überraschte mich, und doch, begegneten mir mehr Dornen als Rosen.

Man könnte meinen: Normal, denn dieser Friede, dieser Trost, das auf den Armen tragen und auf den Knien schaukeln ist erst für den Himmel, nicht für das Leben auf der Erde. Und schnell kehren wir zurück in unser Tal der Tränen und sehnen uns danach, trauend und weinend, dass uns ein Retter gezeigt wird. Aber ist das die ganze Wahrheit unseres Christseins?

Denn es stimmt auch nicht, dass Thérèse ein trauriger Mensch war. Wirklich, ich bin deshalb allzu glücklich. Sollte ich da nicht voll Freude sein? Und meine Fröhlichkeit nicht zeigen? das hat sie auch geschrieben. Oft ist ihr Verlangen nach Gott so stark, dass sie ihn schon erreicht zu haben scheint. Sie schreibt zu Beginn ihres Berichtes über ihre Berufung: Als beim Gebet meine Begierden mich ein wahres Martyrium erleiden ließen und am Ende ist nur noch Platz für die Freude: Da rief ich im Übermaß meiner überschäumenden Freude: Meine Berufung ist die Liebe! Ja, die Spiritualität der Theresia ist eine des Übergangs.

Die Bilder, Erfahrungen, Gefühle in dieser Lesung sind stark und könnten eine ebenso starke und kategorische Reaktion in uns hervorrufen: entweder, oder, jetzt oder nie, ganz und gar oder gar nicht. Wir wollen in diesem Übermaß bleiben oder nicht daran glauben, dass es überhaupt existiert.

Das Geheimnis von Thérèse liegt darin, diese Spannung, die so unangenehm ist, auszuhalten und sogar zu wählen. Unangenehm ist sie, denn sie fordert von uns eine radikale Glaubensentscheidung, und diese nicht nur einmal! Thérèse akzeptiert, dass sie ganz und gar Verlangen, Sehnsucht ist. Sie sehnt sich danach, wie der Adler hoch im Himmel zu schweben, aber erkennt ihre eigene Schwachheit, dass ihre leichte Daune es nicht ermöglicht. Und sie geht sogar noch weiter und glaubt, dass Gott selbst ihr diese Sehnsucht gibt und, dass er sie niemals etwas wünschen lässt, was er ihr nicht geben würde.

Eine Spiritualität des Übergangs hat sie, in der einer der größten Übergänge, der von der Kindheit zur Reife des Erwachsenseins ist. Der heutige Text zeigt es uns auf diskrete Wese. Es ist kein Kind, das von seiner Mutter getröstet wird, sondern einen Mann, ish auf Hebräisch, genau wie bei der Schöpfung, als der Mensch, Mann und Frau, Ish und Isha erschaffen worden sind.

Schwestern und Brüder, Gott verspricht viel, und einiges steht auf dem Spiel in dieser Art und Weise, alles zu versprechen und uns trotzdem freizulassen, den Weg mit ihm zu gehen. Risiko, dass wir das Objekt der Verheißung verwechseln, dass wir uns verirren und von Menschen oder von der Schöpfung erwarten, was nur Gott uns schenken kann. Und Gott wird es uns schenken, aber er verlangt von uns, dass wir es ganz und gar wollen und wünschen und wählen. Thérèse kommt, um uns mit unserer eigenen Sehnsucht zu versöhnen, denn es ist gut, schweigend zu harren auf den HERRN. Es ist gut, sich nach ihm zu sehnen, wie es Johannes vom Kreuz sagte: denn desto mehr er geben will, desto mehr lässt er die Sehnsucht wachsen.