Kommentar | Mittwoch der 25. Wo. im JK | Spr 30,5-9

MITTAGSGEBET | MITTWOCH | 23.09.20

Lesung aus dem Buch der Sprichwörter

5Jede Rede Gottes ist im Feuer geläutert; ein Schild ist er für alle, die bei ihm sich bergen.

6Füg seinen Worten nichts hinzu, sonst überführt er dich, und du stehst als Lügner da.

7Um zweierlei bitte ich dich, versag es mir nicht, bevor ich sterbe:

8Falschheit und Lügenwort halt fern von mir; gib mir weder Armut noch Reichtum, nähr mich mit dem Brot, das mir nötig ist,

9damit ich nicht, satt geworden, dich verleugne und sage: Wer ist denn der Herr?, damit ich nicht als Armer zum Dieb werde und mich am Namen meines Gottes vergreife.

Kommentar

Wer den Reichstag in Berlin besucht hat, hat ein besonderes Erlebnis gemacht.

Ich spreche nicht von der Haupterfahrung unter der großen Glaskuppel, sondern von einer besonderen „Nebenerfahrung“… Um die Kuppel zu erreichen, muss man mit einem Aufzug fahren.

Das Besondere an ihm liegt daran, dass es zwei gegenüberstehende Spiegel auf den Wänden gibt. Einer spiegelt den andern, der wiederum spiegelt, was gespiegelt wurde… und so ins Unendliche.

Erst weckt die Situation die Aufmerksamkeit, aber wenn die Fahrt zu lange dauert, wird sie unangenehm…

So hat mich ein Satz der heutigen Lesung beunruhigt:

„Herr ich bitte dich: gib mir weder Armut noch Reichtum.“

Das ist ja die Weisheit Agurs, der diesen Teil des Buches geschrieben habe.

Weder Armut noch Reichtum scheinen wünschenswert und in sich selbst gut zu sein.

Aber wenn man über beide zusammen meditiert, werden sie wie unsere Aufzugspiegel.

Armut und Reichtum stehen einander gegenüber wie ein Widerspruch, der sich ins Unendliche spiegelt.

Die Spiegelungen werfen Fragen auf: was bedeuten Armut und Reichtum? Sind sie wirklich ein Gegensatz? Sind sie tatsächlich in sich schlecht?

Reich oder arm an materiellen Sachen? Oder auch wie unser Lebensbuch ergänzt „an deinem Glauben, deiner Kultur, deiner Gesundheit, deiner Freiheit“ und so weiter? (§94)

Und es spiegelt sich weiter wider:

„Gott hat die für die Welt Armen erwählt, um sie durch den Glauben reich zu machen.“ (§93)

Irrt sich der Weise Agur? Sollte man Armut und Reichtum nicht verweigern, sondern sie suchen und sich danach sehnen?

„Selig, die arm sind vor Gott; denn ihnen gehört das Himmelreich“ (Mt 5, 3)

Das hatte aber Agur schon gespürt, denn er gibt uns diesen Hinweis:

„damit ich nicht, satt geworden, dich [Gott] verleugne und sage: Wer ist denn der Herr?, damit ich nicht als Armer zum Dieb werde und mich am Namen meines Gottes vergreife.“

In der Mitte von Armut und Reichtum gibt es also Gott, der Herr. Im Mittelpunkt unseres Aufzuges steht jemand, der den Weg zur Armut und Reichtum ist: Jesus Christus.

In Ihm spiegeln sie sich nicht mehr wider. Sie sind vielmehr in Ihm vereinigt.

„Um den wahren Reichtum zu erhalten

um die Illusion der falschen Schätze hinter dir zu lassen

um Christus in großer Freiheit und Freude nachzufolgen,

hast du dich entschieden, die Armut liebend anzunehmen.“ (§93)

Arm und reich in Christus.

Vielleicht bin ich aber noch nicht ganz beruhigt mit meinen und Agurs Fragen über Armut und Reichtum… ich bin dennoch mit meinen Fragen umgestiegen und von dem kalten spiegelnden Aufzug zum dem angenehmeren der kleinen Therese: die tröstende und führende Hand Gottes!