Kommentar | Silvester | 1 Joh 2,18-22

MITTAGSGEBET | Mittwoch | 31.12.20

Lesung aus dem ersten Johannesbrief (2,18-21)

18Meine Kinder, es ist die letzte Stunde. Ihr habt gehört, dass der Antichrist kommt, und jetzt sind viele Antichriste gekommen. Daran erkennen wir, dass es die letzte Stunde ist.

19Sie sind aus unserer Mitte gekommen, aber sie gehörten nicht zu uns; denn wenn sie zu uns gehört hätten, wären sie bei uns geblieben. Es sollte aber offenbar werden, dass sie alle nicht zu uns gehörten.

20Ihr habt die Salbung von dem, der heilig ist, und ihr alle wisst es.

21Ich schreibe euch nicht, dass ihr die Wahrheit nicht wisst, sondern ich schreibe euch, dass ihr sie wisst und dass keine Lüge von der Wahrheit stammt.

KOMMENTAR (Sr. Sarah-Marie FMJ)

Die gerade gehörte Lesung, die diesem letzten Tag des Jahres zugeordnet ist, spricht eine recht gewalttätige Sprache: um Spaltung geht es, die letzte Stunde und damit die Zeit des Gerichts – gewiss, es ist der letzte Tag des Jahres, doch gerne sagen wir: es darf ein Tag des dankbaren Zurückschauens sein. Das passt augenscheinlich nicht gut zusammen. Wir könnten uns jetzt natürlich damit zufrieden geben, dass wir eben in der Weihnachtszeit den ersten Johannesbrief jeden Tag Stück für Stück lesen und so dieser Abschnitt mehr oder weniger zufällig auf den Jahreswechsel fällt.

Doch können wir ebenso gut fragen:

Worum geht es dem Schreiber des Briefes hier im Wesentlichen? Er betont, dass diese unsere Zeit endlich ist und dass wir in der Lage sind, dieses Ende auch als solches wahrzunehmen. Es ist an uns, wie wir diese uns gegebene Zeit füllen wollen. Für die damaligen Hörer war es der Aufruf, dem, was sie als wahr erkannt haben, dem Glauben, den sie angenommen hatten, treu zu bleiben gegen alle äußeren Widerstände hindurch. Zu dem zu stehen, was ihnen Halt ist, mehr noch, ihr Leben füllt und auf ein Ziel jenseits der Zeit ausrichtet, wo sich die Liebe vollenden wird. Für sie im Glauben, dass dieses Ziel bereits nahe ist. Diese Naherwartung haben wir nach 2000 Jahren so nicht mehr, doch der letzte Tag unseres Jahres darf auch für uns ein Tag sein, der uns unsere Endlichkeit bewusst werden lässt, die Zeit dreht ja keine Schleife, sondern schreitet fort.

An uns also heute, das festzuhalten und durchzutragen, was wir in diesem zu Ende gehenden Jahr für unsere Art zu leben, für unseren Glauben vielleicht ganz neu als wahr erkannt haben; was uns in den Wirren der Zeit Halt und Zuversicht gegeben hat, und was diese Kraft auch für unseren weiteren Weg in sich trägt. Und wenn die Lesung heute von Spaltungen spricht, so sind die Differenzen, die da zu Tage treten, gewiss schmerzlich, denn wir verlieren etwas, was uns wichtig schien – zugleich aber kann es auch ein sich trennen von etwas bedeuten, das in dieser Form nicht zur Dynamik des eigenen Lebens passte. So liegt in einer Trennung auch schmerzliche Klärung, die zugleich den Wert des Eigenen hell aufleuchten lassen kann. So darf ich mich heute, an der Schwelle zu einem neuen Jahr, durch die Lesung auch dazu ermutigen lassen, die erkannten Wahrheiten meines Lebens als solche zu schätzen und gleichzeitig die Brüchigkeit des Vergangenen anzuerkennen. Denn auch das ist wahr: nur, wo etwas aufbricht, durchlässig wird, kann Neues hervorkommen.

Wir glauben an einen schöpferischen Gott, der durch seine Menschwerdung das Menschsein verwandelt hat. Sein Geist will uns in die ganze Wahrheit führen. Brechen wir also mit seinem Geleit auf, Schritt für Schritt in das sich nun öffnende Jahr, im Gepäck das Wahre und für uns Gute des Vergangenen und unsere vielleicht auch schmerzlich erfahrene brüchige Offenheit. Im festen Vertrauen, dass sich so wirklich entfalten kann, was Gott in und für und durch uns wachsen lassen will.