2. Sonntag nach Weihnachten


Und wir haben seine Herrlichkeit gesehen. | Joh 1,14

+ Aus dem heiligen Evangelium nach Johannes (1,1-14)

1Im Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott und das Wort war Gott.

2Dieses war im Anfang bei Gott. 3Alles ist durch das Wort geworden und ohne es wurde nichts, was geworden ist.

4In ihm war Leben und das Leben war das Licht der Menschen.

5Und das Licht leuchtet in der Finsternis und die Finsternis hat es nicht erfasst.

9Das wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet, kam in die Welt.

10Er war in der Welt und die Welt ist durch ihn geworden, aber die Welt erkannte ihn nicht.

11Er kam in sein Eigentum, aber die Seinen nahmen ihn nicht auf.

12Allen aber, die ihn aufnahmen, gab er Macht, Kinder Gottes zu werden, allen, die an seinen Namen glauben, 13die nicht aus dem Blut, nicht aus dem Willen des Fleisches, nicht aus dem Willen des Mannes, sondern aus Gott geboren sind.

14Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt und wir haben seine Herrlichkeit geschaut, die Herrlichkeit des einzigen Sohnes vom Vater, voll Gnade und Wahrheit.

Predigt (Br. Jean-Tristan)

Der Schöpfer des Alls gebot mir,

der mich schuf, ließ mein Zelt einen Ruheplatz finden.

Das haben wir in der heutigen ersten Lesung gehört.

Das Bild des Zeltes ist ein starkes Bild, das sich durch die ganze Bibel hindurch zieht.

Im Gegensatz zu einem Haus oder einem Heiligtum aus Stein, ist ein Zelt zerbrechlich.

Ein Zelt kann zerrissen werden.

Es kann von einem starken Wind plötzlich weggefegt werden.

Aber ein Zelt ist auch ein Symbol der Mobilität und der Freiheit.

Die Nomaden, die unter Zelten leben, sind freie Menschen, die ihre Zeltdörfer schnell ab und wieder aufbauen, wenn eine Gefahr lauert oder um neue Weide für ihre Herden zu finden.

Bei der Wüstenwanderung wohnte Gott selber in einem Zelt mitten unter seinem Volk.

Wenn das Volk an einer Oase ankam, baute man zuerst das Zelt Gottes auf.

Dieses Zelt war der Ort der Begegnung mit Gott.

Dort vertraute man Gott seine Anliegen an.

Dort wurde Gott liturgisch gefeiert.

Im heiligen Zelt diente ich vor ihm, so die Weisheit Gottes in der ersten Lesung weiter.

Lange Zeit hat Gott in einem Zelt gewohnt.

Sogar lange Zeit nach der Ankunft im Gelobten Land.

Als David sich einen prächtigen Palast in Jerusalem bauen ließ, wohnte Gott weiter in einem Zelt.

Deswegen hatte der König Gewissenbisse.

Ich wohne in einem Haus aus Zedernholz, die Lade Gottes aber wohnt in einem Zelt.

Auch nachdem Salomo Gott ein prachtvolles Heiligtum gebaut hat, blieb dieses Bild des Zeltes Gottes präsent.

Im Tempel von Jerusalem war der Ort der Gegenwart Gottes, das Allerheiligste, ein leerer Raum,

wo nur die „Möbel“ des Zeltes Gottes in der Wüste lagen: unter anderem die Bundeslade.

Und als die Babylonier Jerusalem und den Tempel zerstört, und seine Bevölkerung verschleppt haben, hat der Prophet Ezechiel in einer Vision gesehen wie die „Schekina“ die Gegenwart Gottes, die Trümmer des Tempels verließ, und über den verzweifelten Schlangen der Verbannten schwebte und sie nach Babylon begleitete.

Als sein Volk diese neue Wüstenwanderung durchlebte, hat Gott sein Zelt mitten unter ihm wieder aufgeschlagen.

Ich schlug Wurzeln in einem ruhmreichen Volk so die Weisheit Gottes in der ersten Lesung weiter.

Gott ist treu.

Wo er sich einmal verwurzelt hat, entwurzelt er sich nicht mehr.

Im heutigen Evangelium ist das Bild des Zeltes auch präsent, aber nur ganz diskret.

Dort heißt es:

Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt.

Das griechische Originalwort für „wohnen“ heißt „Skenon“ und bedeutet eben „sein Zelt aufzuschlagen“.

„Das Wort ist Fleisch geworden und hat sein Zelt unter uns aufgeschlagen“.

Zerbrechlichkeit, Mobilität und Treue.

Diese drei Dimensionen eines Zeltes befinden sich in dem Christkind der Krippe.

Zerbrechlichkeit: dieses Kind ist so klein, so wehrlos.

Mobilität: dieses Kind wird bald die hastige Flucht seiner Eltern nach Ägypten miterleben.

Und Treue: „Auf den Lichtglanz, der von der Krippe ausgeht, fällt der Schatten des Kreuzes“ hat einmal Edith Stein geschrieben.

Dieses Kind, das nun so zart und goldig aussieht, wird eines Tages ans Kreuz geschlagen werden, aus Treue zu seinem vom Vater erhaltenen Auftrag, die Menschheit von der Knechtschaft der Sünde und des Todes zu befreien.

Schwestern und Brüder, mich spricht heute besonders dieses Bild eines Gottes, der sein Zelt unter uns aufschlägt, an.

Wir sind Nomaden geworden.

Immer im Fluss, immer in Bewegung.

Aber wir sind seltsame Nomaden.

Die echten Nomaden der Wüste wissen genau, wo sie hingehen.

Wir nicht oder nicht mehr.

Die Pandemie, die Skandale in der Kirche, die Klimakrise scheinen alle unsere Sicherheiten und Gewohnheiten auf den Kopf gestellt zu haben.

Wir haben keinen Halt mehr.

Nur eines wissen wir.

Eine neue Wüstenwanderung hat für uns begonnen.

Wo gehen wir hin?

Das wissen wir nicht.

Aber mitten in unserer Karawane hat Gott sein Zelt aufgeschlagen.

Ich schlug Wurzeln in einem ruhmreichen Volk.

Dieses ruhmreiche Volk sind paradoxerweise wir.

Und Gott ist treu.

Wo er sich einmal verwurzelt hat, entwurzelt er sich nicht mehr.

Amen