Pfingstsonntag | Joh 20,19-23

Empfangt den Heiligen Geist! | Joh 20,22

+ Aus dem Evangelium nach Johannes (17,1-11a)

In jener Zeit 1erhob Jesus seine Augen zum Himmel und sprach: Vater, die Stunde ist da. Verherrliche deinen Sohn, damit der Sohn dich verherrlicht. 2Denn du hast ihm Macht über alle Menschen gegeben, damit er allen, die du ihm gegeben hast, ewiges Leben schenkt. 3Das ist das ewige Leben: dich, den einzigen wahren Gott, zu erkennen und Jesus Christus, den du gesandt hast. 4Ich habe dich auf der Erde verherrlicht und das Werk zu Ende geführt, das du mir aufgetragen hast. 5Vater, verherrliche du mich jetzt bei dir mit der Herrlichkeit, die ich bei dir hatte, bevor die Welt war. 6Ich habe deinen Namen den Menschen offenbart, die du mir aus der Welt gegeben hast. Sie gehörten dir, und du hast sie mir gegeben, und sie haben an deinem Wort festgehalten. 7Sie haben jetzt erkannt, dass alles, was du mir gegeben hast, von dir ist. 8Denn die Worte, die du mir gegeben hast, gab ich ihnen, und sie haben sie angenommen. Sie haben wirklich erkannt, dass ich von dir ausgegangen bin, und sie sind zu dem Glauben gekommen, dass du mich gesandt hast. 9Für sie bitte ich; nicht für die Welt bitte ich, sondern für alle, die du mir gegeben hast; denn sie gehören dir. 10Alles, was mein ist, ist dein, und was dein ist, ist mein; in ihnen bin ich verherrlicht. 11aIch bin nicht mehr in der Welt, aber sie sind in der Welt, und ich gehe zu dir.

Predigt (Pfr. Dirk Peters | Schulseelsorger der Ursulinenschule - Köln)

„Heute schon geatmet?“

I) Atem – Lebensspender

Na, haben Sie heute schon geatmet, liebe Christen? Nein, ich bin nicht verrückt, Sie etwas so Selbstverständliches zu fragen, aber ich sollte meine Frage wohl besser präzisieren: Haben Sie heute schon ganz bewusst geatmet? Ein- und ausgeatmet?

Mir kommen Neugeborene in den Sinn, die, wenn die Nabelschnur unmittelbar nach der Geburt abgeschnitten wurde, ihren allersten eigenen Atemzug machen, meist unterstützt von einem kleinen Klopfen auf den Rücken. Wie von selbst kommt er dann, der Reflex des Ein- und Ausatmens. Willkommen in der Welt, willkommen im großen Lebensatem Gottes, der uns Atmen lässt. Schon auf den ersten Seiten der Hl. Schrift heißt es: „Gottes Geist schwebte (brütete) über dem Wasser“ (Gen 1,2). „Da formte Gott, der Herr, en Menschen aus Erde vom Ackerboden und blies in seine Nase den Lebensatem. So wurde der Mensch zu einem lebendigen Wesen“ (2,7).

Gottes Geist, der Atem des Lebens. Das ist der Grund, weshalb wir atmen können und aufatmen dürfen.

Den Anfang unseres Daseins, ja unser ganzes Leben sind wir in erster Linie Empfangende und erst dann Handelnde. Wie selbstverständlich fügen wir uns ein in den Atem-Kreislauf der Natur: Im Mittel atmen Erwachsene zwölf Mal in der Minute (Kinder 2-3x so viel). Das sind 720 Atemzüge in der Stunde und 17.280 an einem Tag. In einem Jahr kommt man dann auf 6.307.200 Atmungen. Und das Ganze geschieht wie von allein, weil wir Empfangende sind. Unser Leben ist nicht aus sich, nicht aus uns. Man kann es nicht machen, wir dürfen es empfangen. So empfangen wir pro Atemzug einen halben Liter Luft den wir ein- bzw. ausatmen, das sind 6-9 Liter Luft pro Minute und rund 10.000 Liter pro Tag.

Deswegen kann der Psalmist in Psalm 104 sagen: „Nimmst du ihnen den Atem, so schwinden sie hin und kehren zurück zum Staub der Erde. Sendest du deinen Geist aus, so werden sie erschaffen, und du erneuerst das Antlitz der Erde“ (Ps 104,29f). Der Geist Gottes ist es, der lebendig macht.


II) Atem in Corona-Zeiten

In diesem Jahr wird uns das überdeutlich bewusst am Pfingstfest, wo durch das COVID-19-Virus die Lungen im Körper bei schwerer Erkrankung versagen und zu Atem-Stillstand führen können. Aber auch bei nicht so schwerem Krankheitsverlauf ist ein klassisches Krankheitssymptom die Atem-Not. Ja, es hält uns sprichwörtlich in Atem, das Corona-Virus.

Dringlicher denn je erfahren wir, wie kostbar jeder Atemzug ist zwischen dem ersten Schrei des Babys bis zum letzten Seufzer eines Sterbenden, jetzt spüren wir intuitiv wie wichtig die Lunge und überhaupt frische Luft zum Atmen ist, jetzt achten wir aufmerksamer auf diese kostbare Vor-Gabe unseres Lebens.

Der russisch-orthodoxe Mönch Seraphim von Sarow aus dem 19. Jahrhundert sagt: „Wer aufmerksam auf seinen Atem lauscht, ist nicht weit von Gott.“


III) Aufatmen unter der Zusage Jesu

Im heutigen Evangelium begegnet uns der Lebensatem Gottes wieder. Es herrschte vermutlich „dicke Luft“ im Raum, in dem sich die Jünger und Jüngerinnen Jesu nach seinem Tod versammelt hatten. Sie hielten den Atem an, ob der Ereignisse um Jesu Tod, ja, sie fühlten sich wie abgeschnitten vom Lebensatem, Furcht und Angst jagten ihnen die Ereignisse ein, so mancher hielt sprichwörtlich den Atem an. In diese ihre innere Verschlossenheit tritt nun der Herr in ihre Mitte und hauchte sie an und sprach: „Empfangt den Heiligen Geist.“

Jesus wollte seine Jünger wieder aufatmen lassen, ja, ihm ist wesentlich, dass sein Lebensatem eingehen kann in seine verzagten Freunde und Freundinnen. Die dicke Luft muss dem Lebenshauch des Schöpfers weichen, der unsere Welt seit Schöpfungsbeginn durchpulst, durchströmt.

Und sofort beginnt sich das Leben Bahn zu brechen in den Jüngern, sie lassen sich senden und setzen diese Sendung sofort in die Tat um. Die Lesung aus der Apostelgeschichte gibt Zeugnis vom Einstellungswandel der Jünger, mutig gehen sie aus ihrem Inneren heraus, zeigen sich öffentlich und bekennen ihren Glauben an den Auferstandenen.

Dort, wo der Geist Jesu am Werk ist, herrscht ein besonderes Klima, und in diesem (angstfreien) Klima finden sie Mut zum Glaubensbekenntnis und Kraft zur Unterscheidung der Geister.

Geburtsstunde der Kirche! Sie empfängt den Lebensatem, denn es braucht, um ihren Auftrag zu erfüllen, um ein Raum zu sein, in dem Menschen heute auf-atmen können, wenn sie bedrückt, belastet, verzagt, verschlossen und entmutigt sind.

Auch als Kirche sind wir immer zuerst Empfangende und wir können nur weitergeben, was wir zuvor empfangen haben. Das Pfingstereignis, die Geistsendung ist wie die Lunge der Kirche, ohne sie kann sie nicht über-leben.

Deshalb sollten wir immer wieder den Kehrvers eines Liedes aus dem Gotteslob beten, und wenn es wieder möglich ist, vor allem singen: „Atme in uns, Heiliger Geist, brenne in uns, Heiliger Geist, wirke in uns, Heiliger Geist, Atem Gottes, komm!“


IV) Geist zur Unterscheidung der Geister

Wenn dieser Atem Gottes in uns ist und unser Denken, Beten, Reden und Tun durchströmt, dann werden wir auch fähig sein zur Unterscheidung der Geister. Und die ist not-wendiger denn je.

Ich möchte das nur skizzenhaft an einer Überlegung erläutern, die im Gesamtduktus meiner pfingstlichen Überlegungen steht: Die menschliche grenzenlose Profitgier hat zu verheerenden Zuständen in unserer Schöpfung geführt. Der Raubbau an der Natur hat einen unübersehbaren Bumerangeffekt. Die Amazonien-Synode im letzten Jahr und mehr noch die überaus lesenswerte Enzyklika „Laudato si“ von Papst Franziskus aus dem Jahr 2015 machen uns klar: Alles in unserer Welt hängt miteinander zusammen und ist miteinander verbunden – ALLES – !

Muss es uns nicht extrem beunruhigen, wenn beispielsweise die „Lunge der Welt“, die Regenwälder Südamerikas, einer Profitmaximierung geopfert werden? Schon jetzt sind 20 % des gesamten Regenwaldbestandes verschwunden. Die Lunge unseres Planeten wird krank und mit der Mutter Erde kommt schließlich der Mensch in selbstverschuldete Atem-Not. Das wird jetzt, da hunderttausende Menschen an der Lungenkrankheit gestorben sind, schmerzhaft konkret und bewusst. COVID 19 zerstört die Lunge im Körper, wir zerstören die Lunge der Erde, ein unheimlicher Zusammenhang.

Spüren wir, dass wir eine grundsätzlich andere Lebenseinstellung benötigen? Zu uns und der ganzen Schöpfungswirklichkeit?

Pfingsten 2020 bietet den Kairos zur Unterscheidung der Geister. Der Geist Gottes als Lebensspender: das heißt, das Leben steht nicht zu unserer Disposition. Nicht wir sind Herren über das Leben alles Geschöpflichen, sondern der Geist Gottes ist es, der lebendig macht und lebendig erhält.

Der Atem, der diese Welt am Leben erhält, ist nicht unsere Tat, sondern ist Gabe, nicht unser Werk, sondern Geschenk.

Tauchen wir in diesen Lebensatem mit unserem ganzen Sein ein und bitten:

Atme in uns, Heiliger Geist, dass wir Heiliges denken.

Treibe uns, du Heiliger Geist, dass wir Heiliges tun.

Locke uns, du Heiliger Geist, dass wir Heiliges lieben.

Stärke uns, du Heiliger Geist, dass wir Heiliges hüten.

Hüte uns, du Heiliger Geist, dass wir das Heilige nimmer verlieren.

Amen.