10. DEMUT
118. Die Demut ist die Seele des monastischen Lebens.
(...) Stille, Gehorsam, Wachen, Fasten, Arbeit und Verzicht sind auf sie hin ausgerichtet. So soll die Aufgabe aller Selbstgenügsamkeit und aller Machtsüchtigkeit in der Tiefe des Herzens verwurzelt werden, damit in jedem einzelnen Christus geboren werde, der nichts als Liebe ist. [1]
Denn der Hochmut führt zum Ungehorsam, und auf diese Weise kam die Sünde in die Welt und durch die Sünde der Tod. Die Demut aber führt zum Gehorsam zurück, der selbst die erst Stufe der Demut ist, und der Gehorsam schenkt uns neu dem Leben.
Der Herr zeigt dir den Weg, wie du vollkommene Demut erlangen kannst: “Lernt von mir, denn ich bin gütig und von Herzen demütig, so werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen”. [2] Wenn du also die vollkommene Demut erreichen willst, sieh darauf, was Jesus ertragen hat und ertrage es ebenso. Die wirkliche Demut ist Jesus Christus selbst, der vom Himmel herabkam, nicht um seinen Willen zu tun, sondern den Willen dessen, der ihn gesandt hat. [3] Dein Herr und dein Meister aber zeigt dir dies, damit du handelst, wie er gehandelt hat, denn er kam nicht, um bedient zu werden, sondern um zu dienen. Wenn du seinen Schritten folgst, wirst du in das große Geheimnis der Demut Gottes eintreten, der für uns, als wir alle noch Sünder waren, zum Diener und Erlöser geworden ist, als Zeuge einer unbegreiflichen Liebe.
(...)
124. Die wirkliche Demut verzweifelt niemals an der Liebe Gottes. Der in Weisheit Demütige kann daher aufrecht gehen nach dem Beispiel Christi, der gütig und von Herzen demütig ist, denn Gott hat ihn erhöht. [4] [5] Er weiß, dass er im Tiefsten nichts ist, aber auf dem Grund seiner Erniedrigung und Niedergeschlagenheit, über alle Mutlosigkeit, alles Loslassen seines selbst, über alle Prüfungen hinaus, durch die Gott ihn gebrochen hat (contritio cordis), erinnert er sich, dass er durch die Liebe des Vaters aufgerichtet wurde, als er sich ganz seiner Barmherzigkeit überließ. So kümmert ihn selbst seine eigene Vollkommenheit nicht mehr. Von Gott dem Tod ausgeliefert, lebt er in ihm.
Lass dich bis hin zu dieser Erhöhung erniedrigen. Steige hinab bis zum Gipfel dieses Aufstiegs. Du kannst Gott nicht schauen, ohne zu sterben. [6] Und um deinetwillen hat sich Gott noch tiefer als du erniedrigt. Wenn dich die Demut dir selber sterben lässt, wirst du ihn im Tiefsten deines Selbst finden und unendlich leben. Der Herr erhöht die Demütigen, denen Maria vorangeht. [7] Er führt sie in Gerechtigkeit. Sei demütig, und auch du wirst das Land erben in der Freude eines großen Friedens.
[1]«Seid untereinander so gesinnt, wie es dem Leben in Christus Jesus entspricht.» (Phil 2,5)[2] «Nehmt mein Joch auf euch und lernt von mir; denn ich bin gütig und von Herzen demütig; so werdet ihr Ruhe finden für eure Seele.» (Mt 11,29)[3]«Denn ich bin nicht vom Himmel herabgekommen, um meinen Willen zu tun, sondern den Willen dessen, der mich gesandt hat.» (Joh 6,38)[4] «Nehmt mein Joch auf euch und lernt von mir; denn ich bin gütig und von Herzen demütig; so werdet ihr Ruhe finden für eure Seele.» (Mt 11,29)[5] «Demütigt euch vor dem Herrn; dann wird er euch erhöhen.» (Jak 4,10)[6] « Weiter sprach er: Du kannst mein Angesicht nicht sehen; denn kein Mensch kann mich sehen und am Leben bleiben.» (Ex 33,20)[7] «Denn auf die Niedrigkeit seiner Magd hat er geschaut. Siehe, von nun an preisen mich selig alle Geschlechter.»(Lk 1,48)